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KITZINGEN: Wenn Flecken den Blick trüben

KITZINGEN

Wenn Flecken den Blick trüben

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    Eingeschränkte Sicht: Bei Augenkrankheiten wie der Retinopathie sehen die Betroffenen nach und nach immer mehr schwarze Flecken.
    Eingeschränkte Sicht: Bei Augenkrankheiten wie der Retinopathie sehen die Betroffenen nach und nach immer mehr schwarze Flecken. Foto: Foto: Simulationsfilme der Woche des Sehens, www.woche-des-sehens.de/filme

    Die Teller und Tassen stehen auf bunten Servietten. Die eine ist blau mit großen gelben Blumen, die andere grün gemustert, die dritte rot. Wenn sich die zwölf bis 14 Frauen alle acht Wochen zum Gedankenaustausch treffen, ist es nicht wichtig, dass die Servietten zusammenpassen. Wichtig ist, dass sie bunt sind. Denn nur so ist es möglich, die weißen Gedecke auf dem weißen Tisch zu erahnen. Die Frauen sind stark sehbehindert, einige von ihnen fast blind.

    Seit 27 Jahren gibt es in Kitzingen den Frauentreff des Blinden- und Sehbehindertenbundes Bayern. Lange wurde er von Erika Wehner geleitet, jetzt haben Erika Schuhmann aus Iphofen und Christine Thaler aus Obervolkach ihn übernommen. Am zweiten Mittwoch jedes ungeraden Monats kommen die Frauen in der Kitzinger Caritas zusammen. Einige kommen seit Jahren regelmäßig. Man tauscht Erfahrungen aus, ist unter Gleichgesinnten. Die anderen wissen, mit welchen Problemen man kämpft.

    „Ein Sehender kann sich das gar nicht vorstellen.“

    Christine Thaler, Blinden-Beraterin

    Kuchen gibt es oft beim Treffen, diesmal steht sogar eine Torte auf dem Tisch. Eine der Frauen hatte Geburtstag. Die Torte gibt Anlass zum Austausch übers Backen – und zeigt, welche Schwierigkeiten Sehbehinderte haben. „Die nächste Anschaffung ist eine sprechende Waage“, sagt eine der Frauen. „Ich rechne um“, sagt eine andere: „Vier gehäufte Esslöffel sind 100 Gramm.“ „Am besten sind Becherkuchen“, meint eine dritte. Das Lesen eines Rezeptes, das Erkennen der Zahlen auf der Waage, das Einstellen der Temperatur am Herd. Getränke einschenken, Gemüse schneiden, farblich passende Kleidung anziehen, den Computer bedienen, eine Straße überqueren: Im Alltag gilt es viele Hürden. „Ein Sehender kann sich das gar nicht vorstellen“, sagt Christine Thaler. Sie weiß, wovon sie spricht. Drei Prozent Sehkraft hat die 51-Jährige noch. Ihre Augen sind hinter der dunklen Brille kaum zu erkennen.

    Wie bei vielen der Frauen ist auch die Sehkraft von Dolores Hartmann-Krstic in den letzten Jahren immer schlechter geworden. Auf einem Auge sieht sie inzwischen fast nichts mehr, auf dem anderen noch 25 Prozent. Die Stäbchen im Auge sterben ab, der Augapfel kann die Netzhaut nicht mehr versorgen. Die 56-Jährige sitzt zum zweiten Mal in der Runde. „Man braucht solche Treffen“, sagt sie. Sie helfen, damit fertig zu werden, dass man das Augenlicht verliert. Dolores Hartmann-Krstic wird blind. Sie weiß das seit dem 19. November 2012. Das Datum hat sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

    Wie sieht es in einem aus, wenn man so eine Diagnose hört? „Man kann den Kopf hängen lassen oder den Kragen recken“, sagt die Kleinlangheimerin. Und sie ist niemand, der den Kopf hängen lässt. Sie ist zum Blindeninstitut gegangen und hat den Leuten dort „Löcher in den Bauch gefragt“, hat ein Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert, um mit dem weißen Stock zurechtzukommen. Hat eine Kamera gekauft, damit sie nicht überall hinlaufen muss, um etwas zu erkennen. Sie macht Fotos, zoomt die Bilder groß. „Sonst rennt man als Sehbehinderter ja bloß noch hin und her.“

    Bei einem Arztbesuch hat sie Erika Schuhmann kennengelernt, die ebenfalls stark sehbehindert ist. Über sie kam Hartmann-Krstic zum Gesprächskreis, tauscht sich dort mit den anderen aus. Einigen Frauen merkt man an, dass ihre Sehfähigkeit eingeschränkt ist. Sie blicken ihr Gegenüber nicht an, halten den Kopf schräg. Das machen Menschen, wenn nur die Sehstäbchen am Rande des Blickfelds noch funktionieren, erklärt Christine Thaler. Wer sich mit Dolores Hartmann-Krstic unterhält, merkt dagegen kaum etwas von ihrer Sehbehinderung. Aber sie spricht darüber: „Ich genier' mich nicht.“

    Wer schlecht sieht, orientiert sich an Farben, an bestimmten Punkten und vor allem am Gehör. Jede Frau kennt die Stimmen der anderen, zudem sitzt jede immer am gleichen Platz. Ordnung ist wichtig. Zuhause geht das. Außerhalb dagegen ist die Orientierung viel schwieriger. Beim Arztbesuch zum Beispiel, wenn man ins Sprechzimmer 2 geschickt wird. Sehbehinderte sind es gewohnt, nachzufragen. „Da, wo die Türe offen steht“, ist dann meist die Antwort – doch die hilft auch nicht weiter. Immer nachfragen, immer erklären, immer auf andere angewiesen sein, das verkraftet nicht jeder.

    Es gibt viele Angebote, die das Leben erleichtern, aber man muss sich darüber informieren. Dabei helfen Thaler und Schuhmann als ehrenamtliche Beraterinnen des Blindenbundes. Sie wissen, wer bei Sozialfragen unterstützt, sie zeigen, welche Hilfsmittel es gibt. Den Einkaufsfuchs zum Beispiel, mit dem man das Produkt scannt und der dann sagt, was es ist. Das Gerät, das piepst, wenn das Wasser im Topf kocht. Das Vergrößerungsprogramm am Computer. Das Vorlesegerät, die Lupen, die so wichtige Ausleuchtung in der Küche oder am Arbeitsplatz.

    Mit dem Verlust des Augenlichts geht allerdings oft auch der des Arbeitsplatzes einher. So wie bei Dolores Hartmann-Krstic. Sie hat als Restaurantfachfrau im Service gearbeitet. „Das geht jetzt nicht mehr“, sagt sie schlicht. Sie hat sich nach einer Umschulung erkundigt. Doch es gibt nicht viele Berufe, die Blinde ausüben können, und nicht jeder ist geeignet dafür. „Wer als Maurer gearbeitet hat, hat so dicke Hornhaut an den Fingern, dass er die Punktschrift nicht lesen kann“, erklärt Christine Thaler. Als Schriftdolmetscher für Blinde kann er also beispielsweise nicht arbeiten.

    Beratung ist die eine Sache, die der Sehbehindertenbund bietet, Betreuung ist die andere, eigentlich noch viel wichtigere. Denn wer erfährt, dass er erblindet, verliert erst einmal den Boden unter den Füßen. „Wir haben auch die Aufgabe, die Leute aufzubauen. Viele fallen in ein Loch“, sagen die Beraterinnen. „Man muss den Menschen da abholen, wo er steht“, erklärt Erika Schuhmann. Und das ist eben bei jedem Menschen anders. Manchen genügt ein Telefongespräch ab und an, andere wünschen sich mehrmalige Besuche und öfteren Kontakt. Und auch die Angehörigen gilt es zu betreuen und zu informieren. Wie geht man damit um, dass Mutter oder Vater kaum noch etwas sehen? Weder bevormunden noch alleine lassen, betonen Thaler und Schuhmann. Der Mittelweg ist der richtige. „Dann ist es auch für einen Blinden möglich, selbstständig zu leben.“

    Hilfe für Sehbehinderte

    Bayern: Der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB) ist die Selbsthilfeorganisation der über 80000 blinden und sehbehinderten Menschen in Bayern. Er vertritt ihre Interessen gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Es gibt zehn Beratungs- und Begegnungszentren.

    Unterfranken: Für den Landkreis Kitzingen ist die Bezirksgruppe Würzburg zuständig. Sie befindet sich in der Juliuspromenade 40-44 in Würzburg. Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. von 9 bis 13 Uhr, Di. von 9 bis 16 Uhr. Besondere Beratungs- und Gesprächstermine nach Vereinbarung. Der BBSB Würzburg ist zu erreichen unter Tel. 09 31/4 45 00 und E-Mail: wuerzburg@bbsb.org.

    Landkreis: Für den Landkreis Kitzingen gibt es zudem zwei Gesprächskreise. Die Frauengruppe trifft sich am zweiten Mittwoch jeden ungeraden Monats um 14 Uhr in den Räumen der Caritas in der Schrannenstraße 10 in Kitzingen. Zudem gibt es jeweils am letzten Mittwoch eines Monats einen Stammtisch für Männer und Frauen. Informationen über Treffpunkt und Uhrzeit gibt es beim BBSB Würzburg oder bei Christine Thaler, Tel. (0 93 81) 62 32.

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