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Wo die Gespenstschrecke sich mit dem Riesenbockkäfer trifft

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Wo die Gespenstschrecke sich mit dem Riesenbockkäfer trifft

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    An Land stellen Insekten etwa 90 Prozent der tierischen Biomasse (im Bild Präparate).
    An Land stellen Insekten etwa 90 Prozent der tierischen Biomasse (im Bild Präparate). Foto: Alle FOTOs Mathias Orgeldinger

    Nur ein toter Käfer ist ein guter Käfer.“ In Paul Verhoevens Science-Fiction-Satire „Starship Troopers“ kämpft die Menschheit gegen gigantische außerirdische Killer-Insekten. Der umstrittene Streifen steht stellvertretend für eine Reihe von Horrorfilmen, die den blutigen Kampf zwischen Mensch und Insekt thematisieren. Dabei benutzen die Kerbtiere gar kein Blut, um den Sauerstoff zu den Körperzellen zu transportieren. Der Gastransport erfolgt in einem Röhrensystem allein durch Diffusion. Diese Tracheen-Atmung ist zwar vergleichsweise bis zu hundertmal effizienter, begrenzt aber die maximale Köpergröße des „Ungeziefers“ – ob irdisch oder außerirdisch – auf wenige Dezimeter.

    Doch Körpergröße ist nicht alles, wie die Ausstellung „Auf sechs Beinen zum Welterfolg“ im Naturkundehaus des Nürnberger Tiergartens facettenreich dokumentiert. Neben 1000 präparierten Arten, Fossilien und zahlreichen Exponaten zur Beziehung Mensch-Insekt sind auch lebende Käfer, Gespenstschrecken, „Wandelnde Blätter“ und tropische Schmetterlinge zu sehen. Drei Körpersegmente, (meist) vier Flügel, sechs Beine: An Land stellen Insekten etwa 90 Prozent der tierischen Biomasse. Mit etwa 1,3 Millionen beschriebenen Arten sind sie die erfolgreichste Tiergruppe. Gleichwohl wird ihre ökologische und ökonomische Bedeutung meist unterschätzt. Eutropia, die Gesellschaft für Biosphärenschutz und -forschung, setzt sich für den Erhalt dieser Artenvielfalt ein. Mit der Insekten-Ausstellung möchte sie den Besucher für die Formen- und Farbenvielfalt der Natur begeistern und Interesse an ökologischen Zusammenhängen wecken.

    Der kleinste und größte Käfer gehören natürlich dazu. Der Federflügler Oligella ist mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, mit Titanus giganteus möchte man dagegen nicht das Zimmer teilen, obwohl er sich nur für Früchte und Baumsäfte interessiert. Denn der Amazonas-Riesenbockkäfer kann bis zu 20 Zentimeter lang werden – fünf Zentimeter kürzer als seine Larven. Tracheen-Atmung und Gewicht erlauben nur den Abwärtsgleitflut – wenn er auf einen Baum steigen will, muss Titanus giganteus klettern.

    Auch die meisten Gespenstschrecken können nicht gut fliegen. Die goldäugige Peru-Gespenstschrecke (Peruphasma schultei) wurde 2004 im Nationalpark Cordillera del Condor entdeckt. Jetzt schmückt sie ein Terrarium in Nürnberg. Das klingt nach Ausbeutung der letzten Naturreservate, zumal die Spezies nur in einem fünf Hektar großen Gebiet vorkommt. Doch der Eindruck täuscht. Unter dem Dach der Naturschutzorganisation INIBICO NGO wird die Gespenstschecke von den dort ansässigen Indianern und Campesinos gezüchtet. Der Verkauf der Eier sichert ihnen eine ökologisch verträgliche Einkommensquelle. Da 50 Prozent der Nachzuchten ausgewildert werden, profitiert auch die Natur vom Geschäft mit der Rarität.

    Nahe verwandt sind die Heuschrecken, die mitunter zur „biblischen Plage“ werden. Wer das Buch der Bücher aufmerksam liest, entdeckt Insekten an über 100 Stellen. So steht im Buch Jona (4,6-8) geschrieben, dass der Herr einen „Wurm“ schickte, der die Staude, die dem Propheten den lebenswichtigen Schatten spendete, über Nacht verdorren ließ. Naturwissenschaftler rätselten seit Jahrhunderten über dieses Phänomen. 2002 entdeckte ein Forscher an der Küste Israels eine neue Bärenspinnerart (Olepa schleini), dessen Raupen sich von den Stängeln des Rizinusstrauchs ernähren. Das war eine wissenschaftliche Sensation, denn in Israel war kein Insekt bekannt, das den giftigen Pflanzensäften von Ricinus communis gewachsen war. Die Raupe des Nachtfalters kann den Strauch so stark schädigen, dass er in kurzer Zeit abstirbt.

    Insekten als Schädlinge – davon kann jeder ein Lied singen. In Zeiten, in denen es noch keine Insektizide gab, füllten die Klagelieder ganze Bibliotheken. Doch wegen Wanderheuschrecken und Kartoffelkäfern, Malariamücken und Tsetsefliegen, wegen Kleidermotten, Pestflöhen, Mehlkäfern, Bettwanzen, Borkenkäfern, Buchdruckern und Schildläusen sollte man nicht die ganze Tiergruppe in Sippenhaft nehmen. Die Kerbtiere sind unentbehrlich fürs Ökosystem Erde. Nicht umsonst wurden im alten Ägypten zwölf verschiedene Skarabäus-Arten verehrt. Die Menschen vom Nil erkannten im Pillendreher den Schöpfergott Kephri, der aus der Erde kam, die Sonnenscheibe tagsüber vor sich herschob und am Abend vergrub. Analog zum Käfer, der mit seinen Hinterbeinen Dungkugeln aufrollt und vergräbt, die den Larven als Nahrungsvorrat dienen.

    Auf diese Weise wird der Boden aufgelockert und mit Nährstoffen versorgt. Neben den Pillendrehern beteiligen sich auch die Totengräber und Mistkäfer an der Entsorgung von Wirbeltierkot und -kadavern. Nicht wenige Insekten können als „Nutztiere“ bezeichnet werden. Welche Frau würde auf ihren (naturkosmetisch erzeugten) Lieblingslippenstift verzichten, nur weil sein Farbstoff (Karmin, E120) aus den zerriebenen Körpern der Cochenille-Schild- laus besteht? Wie sollte sie hautverträgliche Wimperntusche auftragen, ohne Schellack zu benutzen? Aus den harzähnlichen Ausscheidungen der Schellack-Schildlaus wurden auch die ersten Grammophonplatten hergestellt. Diabetiker, deren Wunden schlecht heilen, verwenden Gaze-Pflaster mit steril gezüchteten Goldfliegenlarven, weil diese das nekrotische Gewebe schnell und schonend entfernen können. Schon die Mayas wandten diese Maden-Therapie an, um Wunden zu säubern.

    Andere Länder, andere Sitten: In Mexiko werden geröstete Heuschrecken zum Bier serviert, in Thailand isst man Insekten am Spieß, und so mancher Japaner hat schon Riesenwasserwanzen verzehrt. Da die bis zu sechs Zentimeter großen Tiere sehr beweglich und stechlustig sind, betäubt man sie mit einer speziellen Flüssigkeit, deren Zusammensetzung vom Gastgeber streng gehütet wird. Ein Griff mit Stäbchen, ein Biss in den Kopf – dann können die Viecher wenigstens nicht mehr stechen. Ganz schön eklig, oder? Krimiautoren jedenfalls profitieren von Insekten. Mit Hilfe der Forensik wurde schon mancher Mordfall geklärt – nicht nur im Roman. Das Entwicklungsstadium einer Larve kann dem Fachmann verraten, wann, wo und unter welchen Witterungsverhältnissen eine Leiche abgelegt wurde.

    Unter den vielen kleinen Helfern aus dem Insektenreich haben nur zwei den Status von Haustieren erreicht: die Honigbiene und der Echte Seidenspinner. Die Biene versorgt uns nicht nur mit Honig und Wachs, auch mit zahlreichen Produkten, die unter dem Stichwort Apitherapie als Naturheilverfahren verwendet werden. Vor rund 4000 Jahren begannen die Chinesen mit der Seidenspinnerzucht. Das Monopol auf echte Seide, die aus den Fäden des Puppenkokons gewonnen wird, hielt bis zum sechsten Jahrhundert. Pfiffige Mönche versteckten damals die Eier des Nachtfalters und die Samen seiner Futterpflanze, des Maulbeerbaumes, in Gänsefederkielen und schmuggelten sie so nach Europa.

    Selten konnte man in so kurzer Zeit so viel über Insekten lernen wie in der Nürnberger Ausstellung. Sie lehrt uns Ehrfurcht vor der Natur. Denn eines ist sicher: Sollte sich die Menschheit eines Tages von der Erde verabschieden, wird es immer noch Insekten geben.

    Im Blickpunkt

    Ausstellung im Naturkundehaus Die Ausstellung „Auf sechs Beinen zum Welterfolg“ im Naturkunde- haus des Nürnberger Tiergartens, Am Tiergarten 30, 90480 Nürnberg, ist noch bis zum 15. April geöffnet, täglich von 9 bis 16 Uhr. Weitere Informationen über Insekten gibt's bei EUTOPIA e.V., Gollenbergstr. 12, 82299 Türkenfeld, Tel. (0 81 93) 66 51 E-Mail: verein@eutropia-ev.de Internet: www.eutropia-ev.de

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