Groß und mächtig steht er in der Landschaft, kein Watzmann, aber doch eine Herausforderung: der 10,80 Meter hohe Kletterpfeiler der Sektion Main-Spessart des deutschen Alpenvereins (DAV) im Saaletal bei Gräfendorf. Seit 25 Jahren können sich die Kletterer an der Wand aus gemauerten Sandsteinblöcken ausprobieren, berichtet Ulrike Kühl, Beirätin und Pressereferentin der Sektion, die am Sonntag, 29. Juni, von 11 bis 18 Uhr Mitglieder und Öffentlichkeit zur Jubiläumsfeier mit Pfeilerfest einlädt.
Der Klotz ist geschichtsträchtig. Der frei stehende Brückenpfeiler, über den sich allerdings nie eine Brücke spannte, ist ein Überbleibsel der legendären Strecke „E 46“ aus dem Jahre 1938, die nie realisiert wurde. Zwischen Fulda und Würzburg sollten 70 Kilometer Autobahn entstehen, doch wurden die Bauarbeiten 1940 wegen des Zweiten Weltkrieges eingestellt. Übrig geblieben sind verschiedene Bauwerke, unter anderem der Pfeiler in Gräfendorf.
Der stach auch Roland Ziegler aus Gemünden ins Auge. „Mit einem Freund bin ich öfters vorbeigefahren und wir haben uns gedacht: hier müsste es gehen.“ 1986 war das und gemeinsam mit Michael Reuß (Wombach) und den Brüdern Wolfgang und Stefan Netrval (Karlstadt) erschloss Ziegler den Pfeiler. Bei der Erstbesteigung warfen sie einen Stein mit Bindfaden über das Bauwerk. Daran wurde anschließend das Seil hinübergezogen und es konnte nach oben gehen.
Die neue Liebe wollte auch gepflegt sein. Bald standen erste Maßnahmen wie das Abdichten des „Gipfels“ mit Zementschlamm gegen eindringendes Regenwasser an. Der Pfeiler wurde gesäubert und erste Griffe und Tritte vom Gerüst aus mit Hammer und Flex geformt. Innerhalb zweier Samstage stand nach längerer Vorbereitung das Geländer auf dem „Gipfel“. Anschließend wurden Sicherungshaken angebracht.
Am 5. August 1989 um 11 Uhr weihte die DAV-Sektion Main-Spessart den „Pfeiler“ als Kletterturm ein und übergab ihn seiner Bestimmung. Heutige Klassiker-Routen wie der „Schweißtreiber“, „Lets fetz“, „Quertreiber“, „Pessimist“ oder die „Schlafkappe“ waren entstanden. Damals gab es insgesamt ca. 15 Touren bis zum Schwierigkeitsgrad 8. Erste Kletterkurse wurden durchgeführt, Erfahrungen ausgetauscht und an Neuanfänger weitergegeben.
Ein Trainingsstützpunkt war entstanden fürs Klettern nach Feierabend und eine Alternative, wenn der Weg in die Fränkische Schweiz wieder mal zu weit sein sollte. Im Jahr 2007 konnte die Sektion schließlich das Grundstück mitsamt Pfeiler erwerben.
2011 fanden unter Leitung von Michael Reuß, dem Fachübungsleiter Alpinklettern und Verantwortlichen der Kletterabteilung, umfangreiche Sanierungsarbeiten statt. Die Plattform des Pfeilers musste erneut abgedichtet werden. Diesmal wurde mit Unterstützung des Malerbetriebes Hübner aus Wombach ein Gerüst gestellt. Viele freiwillige Helfer packten mit an und erbrachten rund 220 Stunden Arbeitseinsatz.
Reuß: „Ich bin immer wieder stolz wenn ich am Pfeiler bin und Erwachsene, Familien und junge Leute treffe, die die Wiese und den Pfeiler belagern und ihrem Hobby, dem Klettern nachgehen. Hierfür lohnt sich der ehrenamtliche Einsatz diesen Klettertreff weiter zu erhalten.“
Heute bietet der Pfeiler mit teilweise geschlagenen und gebohrten Griffen 34 Routen in den Schwierigkeitsgraden 3 bis 9 nach UIAA–Skala. Alle Routen müssen zunächst im Vorstieg begangen werden. Wird das Seil über das Sicherungsgeländer gelegt sind Topropes möglich. Insgesamt stehen 700 Quadratmeter Kletterfläche zur Verfügung.
Jeden ersten Samstag von Mai bis Juli findet am Kletterpfeiler Schnupperklettern statt. Jeder der sich einmal am Klettern versuchen will, bekommt kostenlos Material gestellt und wird unter fachmännischer Anleitung des Kletterteams die „Wand hochgeschickt“.