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Abenteuer einer Fahrt von Lohr nach Amerika

Lohr

Abenteuer einer Fahrt von Lohr nach Amerika

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    Großer Bahnhof für einen Auswanderer, der die Heimat besuchte: Die
ehemalige Bäckerei und Weinwirtschaft Brand geschmückt mit der
US-Flagge.
    Großer Bahnhof für einen Auswanderer, der die Heimat besuchte: Die ehemalige Bäckerei und Weinwirtschaft Brand geschmückt mit der US-Flagge. Foto: FOTO PRIVAT

    Der nun folgende Text ist ein geschichtliches Dokument und dient der historischen Bildung. Er sollte vor dem Hintergrund des chauvinistischen Zeitgeistes des späten 19. Jahrhunderts verstanden werden und gibt nicht etwa die Meinung der Redaktion wider. Ausdrucksweise, Grammatik und Interpunktion wurden wie im Original belassen.

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    achdem ich von euch, ihr teuren Freunde, Abschied genommen hatte und das verhängnisvolle Schiff Friedrich Wilhelm betreten und die Mauern Lohrs weit hinter mir gelassen hatte, überschlich mich ein Gefühl von Wehmut, welches ich euch nicht beschreiben kann. Die Fahrt von Lohr nach Frankfurt war wegen Mangel an Unterhaltung sehr langweilig.

    In Frankfurt angelangt accordirte ich noch denselben Abend über Liverpool nach New York um den Preis von 60 Gulden (für einen Gulden erhielt man damals zirka 20 Pfund Roggenbrot beziehungsweise 7 Pfund Schweinefleisch; der Sackenbacher Lehrer verdiente im Jahr zirka 180 Gulden bei freier Wohnung und einigen Naturalien).

    Nun so auf der Fahrt nach Biberich alleinstehend und von den übrigen Lohrern in Mainz schon verlassen, warf mich doch die Schicksalsgöttin wieder an die Seite eines guten Freundes nomine (namens) Kohler. Hiermit stelle ich Fortuna ferner anheim, wohin sie mich in Begleitung dieses Freundes werfen wird. Ich schließe hiermit meine erste Notiz über meine Reise bis Biberich.

    Am 23. Mai fuhren wir von Biberich weg, um unsere Reise bis Rotterdam fortzusetzen. Wir glitten ruhig über die Wellen des alten Vaters Rhein und ergötzten uns an den Naturschönheiten, welche sich unseren Augen darboten. So in Träumen über die alte so glückliche Zeit dieser alten Ritterburgen versunken, wurden wir durch das Gesummse einiger 100 Auswanderer aufgeschreckt, welche in Coblenz zu uns stießen.

    Nun begann unser Elend. Unser Dampfschiff war so voll Menschen, daß auf dem Verdeck kaum noch ein Unterkommen für die Leute war. Die ganze Nacht war ein Gelärme und Kindergeschrei, daß uns die Sinne vergingen und wir halb betäubt von dem gräßlichen Gestanke nur kurze Zeit Schlaf fanden. Endlich nach langen Leiden zeigte sich die Morgenröte. [. . .]

    Nun wurde die Fahrt durch die Visitation, welche preußische Zollbeamte vornahmen, unterbrochen. [. . .]

    Als wir in Rotterdam ankamen, fuhren wir um drei viertel zwölf desselben Tages auf einem Colosse von Dampfschiff von Rotterdam ab hinunter und in die Nordsee. Sobald das Schiff von den Wellen der tückischen Nordsee berührt wurde, befiehl uns alle zur gleichen Zeit die Seekrankheit. Tief in der Nacht schliefen wir nach unsäglichen Mühen und Kotzereien ein. . .

    In Hull durften wir uns nach genauer Untersuchung ans Land begeben, wo wir überall von den dortigen deutschen Gastwirten, welche aber Juden waren, in Empfang genommen wurden.

    Um 11 Uhr mittags fuhren wir mit einem Zug nach Liverpool. Dort angelangt wurden wir in ein deutsches Gasthaus geführt, frei verköstigt und logiert. Als wir am 27. Mai um 4 Uhr unser Schiff betraten und uns unsere Plätze angewiesen wurden, mußten wir feststellen, daß wir die einzigen Deutschen waren und niemand auf dem Schiff Deutsch verstand.

    Hier saßen wir nun wie die Pilger in der Wüste Sahara, welche von den lauernden Augen der Sarazenen bewacht werden. Es waren noch etwa 400 Irländer mit uns auf dem Schiffe. Ihr werdet wohl diese Sorte Leute aus der Geschichte kennen. Sie sind bekannt durch ihre Rohheit, Unzucht und Unverträglichkeit gegen andere Nationen. Diese Leute sind im Vergleich mit uns um 100 Jahre in der Bildung zurück. Kupferhäute (Indianer) in Amerika besitzen mehr Bildung.

    Unser Schiff war ungefähr so lang wie das Lohrer Spital und eineinhalb Mal so breit. Der untere Raum war gefüllt mit Waren und Proviant, der zweite Stock mit Passagieren und der dritte Stock war die Kajüte des Kapitäns und seiner Familie und der Kajüten-Passagiere. Hier wurden uns unsere Plätze angewiesen. Ich und noch ein Deutscher erhielten die Bettstelle Nr. 9 und Kohler unter uns die Nr. 10. Unter unseren Betten standen unsere Koffer, welche wir öffnen konnten, wenn wir wollten. Rechts und links von uns lagen Irländer, und wir gerade wie die Beute eines Tigers zwischen den Krallen. Nachdem wir alles gehörig verschlossen hatten, legten wir uns voll Sorge in unsere Hängematten.

    Am 28. Mai mußten wir auf das Verdeck, wo wir für eine Woche Proviant faßten, nämlich Tee, Zucker, Zwieback und Mehl.

    30. Mai, früh um 4 Uhr: Die Anker wurden gelichtet, ein Dampfboot zog unseren Coloss aus dem Hafen und die Segel wurden gesetzt. Um 7 Uhr kochten wir uns Tee, um 8 Uhr wurde Wasser gefaßt. Am Mittag kochten wir uns Kaffee und am Abend eine kräftige gebrannte Suppe.

    31. Mai: Wir haben in Erfahrung gebracht, daß unsere Mitpassagiere (die Irländer) ein ausgeliefertes Volk ist und wahrscheinlich in Amerika auf einer englischen Besitzung anstatt Sklaven Dienst tun wird. [. . .]

    Auf dem Schiff wird sehr auf Reinlichkeit geachtet. Früh, wenn die Schiffsuhr 6 geschlagen hat, werden sie (die Irländer) mit Knuten, das Zeichen der Knechtschaft, aus ihren Hängematten gejagt und zur Reinigung des Schiffes angetrieben.

    Übelkeit, Geisterbleiche, Gestank und Flöhe und Läuse

    1. Juni: Allgemeine Kotzerei. Unser Schiff flog wegen des guten Windes wie ein Pfeil durch die Wellen. Daher auch das allgemeine Übelbefinden an diesem Morgen. Geisterbleich und mit hohlen Augen schlichen die Menschen umher. Im Zwischendeck wurden die Luken geöffnet, damit der Gestank verziehen konnte. Als wir nun so auf dem Verdecke saßen und unsere Reisegesellschaft musterten, so nahmen wir vieles wahr, was wir noch nicht gesehen hatten. Hier saß ein Läusequartier, dort ein Flohquartier, hier rauchten die alten Vetteln ihre irdenen Pfeifchen und dort in einer einsamen Ecke des Schiffes wurde g........ - eine wiederholte Charakterschilderung dieser Säue.

    2. Juni: An diesem Morgen konnten wir beinahe nicht aus unserem Bette, da sich in dieser Nacht ein solch heftiger Wind einstellte, welcher das Schiff stets wie einen Ball hin und her warf. Es war uns schlechter denn je, und wir fühlten uns gezwungen liegen zu bleiben. Jedoch gewann ich die Gewalt endlich über mich aufzustehen und einige Zwetschgen zu kochen, damit wir uns wenigstens laben konnten. Auch heute mußten wir wieder auf das Verdeck. Hier sah ich ein Schauspiel, das wenigstens mir nicht bekannt war. Es kam nämlich ein großer Zug Fische ganz in die Nähe des Schiffes. Die Fische ließen sich von Zeit zu Zeit mit dem halben Leib sehen und verschwanden dann wieder mit einem Satz.

    Auch sahen wir am Abend große weiße Vögel mit zugespitztem Schnabel und Schwanz, welche sich von Zeit zu Zeit, je nachdem sie ermüdet waren, auf das Wasser setzten und sich forttragen ließen. Ebenso sahen wir auch noch eine andere Art, aber bei weitem kleiner als die ersten, die mit unseren Enten zu vergleichen war, aber ungeheuer schnell flog.

    3. Juni: Über diesen Tag kann ich nicht viel sagen, denn es war mir so schlecht, daß ich es kaum über mich bringen konnte, die Bleifeder zu ergreifen. Ich habe ein so elendes Gefühl in mir, daß ich mir wünschte, ich wäre gestorben. Und wenn es uns auch nicht so wäre, so müßte es uns so werden, wenn wir auf dem Verdeck bei dem Sauvolke sind. Hätte ich gewußt, daß ich bei meiner Überfahrt solche Menschen zur Gesellschaft bekäme, ich würde lieber mit einer Herde Ochsen oder Sauen übergefahren sein. Ich will mich jetzt nicht weiter ausdrücken, sonst werde ich Mysantrop.

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    4. Juni: Als wir an diesem Morgen miteinander auf das Verdeck gingen, um unseren Leichnam durch die morgenfrische Seeluft zu erquicken, bemerkten wir einen Haifisch, der sich ganz in unserer Nähe bewogen gefühlt hatte sehen zu lassen. Für einen der noch keinen Haifisch gesehen hat, ist er sehenswert. Auf beiden Seiten rechts und links des Kopfes warf er Wasserstrahlen wie die eines Springbrunnens empor. Auch er erschien eine Zeitlang auf der Oberfläche und verschwand dann wieder. So ist zwar immer etwas zu sehen, aber alles wird einem durch die Seekrankheit zuwider.

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