Gegen den Klimawandel ist auch der Spessart nicht gefeit. Kaum einer bestreitet, dass Waldumbau nötig ist. Strittig aber ist das Wie. Dabei geht es nicht nur darum, welche Bäume besser oder schlechter geeignet sind. Denn junge Bäume haben natürliche Fressfeinde, Hirsche und Rehe. Deshalb geht Lohrs Stadtförster jetzt zusammen mit dem Ökologischen Jagdverband in die Offensive: Waldumbau durch Naturverjüngung geht auch ohne teure Einzäunungen, sagt Bernhard Rückert –aber nur wenn man für vernünftige Wildbestände sorgt. Die aktuellen jedenfalls seien vielerorts zu hoch.
Deshalb unterstützt er auch die Initiative hunting4future des Ökologischen Jagdverbands (ÖJV), dem sich die Stadt Lohr angeschlossen hat. Diese begnügt sich nicht damit, ein Faltblatt herauszugeben. Sie wirbt für ihre Sache und tritt auch den Beweis dafür an, dass es funktioniert. Welcher Wald wäre als Aushängeschild besser geeignet als der Lohrer, der zu den größten kommunalen in Deutschland gehört? Jene 4100 Hektar, die Rückert mit seiner 15-köpfigen Mannschaft nicht erst seit vorgestern ökologisch nachhaltig bewirtschaftet? Wolfgang Kornder, Vorsitzender des Ökologischen Jagdverbands Bayern, hat sich deshalb das Revier Rückerts ausgeguckt, um Jäger, Förster und Politiker wach zu rütteln.
Rückerts Konzept: Viel Wild in kurzer Zeit erlegen
Rückert kam 1988 als Revierförster zur Stadt, vier Jahre später übernahm er die Leitung der städtischen Forstverwaltung. Erst vergangenes Jahr zeichnete der Bund Naturschutz den 64-Jährigen als Vorreiter für eine naturgemäße Waldwirtschaft aus. Sein Jagd-Konzept: Zu guten Zeiten jagen, aber möglichst konzentriert und dabei viel Wild in kurzer Zeit erlegen, etwa durch Stöberjagden oder Drückjagden.

Dass sich das bewährt hat, zeigt Rückert Gleichgesinnten vor Ort. Es ist der einzige Tag dieses Winters, an dem auch im Tal (wenn auch nur kurz) eine ansehnliche Schneedecke liegt. Oben am "Dicker Rohn", nur fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, ist sie richtig dick. Die Schneelast hat einzelne Bäume quer über die Forststraßen gedrückt. Die Schäden durch Sturmböen sind oft größer, schaffen bisweilen kleine Inseln im Wald.
An einer solchen hält der Tross mit Kornder an der Spitze. Rückert hat auf kleinen Windwurf-Flächen, insgesamt einen halben Hektar groß, Weißtannen als Mischbaumart beipflanzen lassen. Diese wurzeln tief, sind demnach widerstandsfähiger gegen Sturm und auch Trockenheit. Und sie bieten Laubbäumen so etwas wie Windschatten.
Eichen und Buchen kommen von allein

Die Pflänzchen sind knie- bis hüfthoch, sehen noch recht mickrig aus, obwohl schon fünf Jahre alt. Bei einigen haben Rehe die Knospen abgeknabbert. Ein Teil davon wird eingehen, bei anderen setzt sich ein Seitentrieb durch. Hier aber bleiben wohl genügend stehen, um hinreichend Schutz für Laubbäume zu schaffen. Man müsse nur dafür sorgen, dass das Wild nicht überhand nimmt und alle Jungpflanzen verbeisst, sagt Rückert. Eichen und Buchen siedeln sich von allein an.
Ganz oben, in 500 Metern Höhe, hat Anfang 2018 der Tornado Burglind gewirbelt, eine gut zehn Kilometer lange Schneise geschlagen von Neuhütten bis Lohr. Am Dicker Rohn standen keine Fichten. Der Tornado machte einen stabilen Bestand von Eichen und Buchen platt.

"Wir haben uns entschieden, die Fläche der Sukzession zu überlassen", erläutert Rückert. "Buche, Kiefer, Lärche, Fichte, Birke und Aspe, die fliegen so rein." Deshalb habe die Stadt nur stabile und auch wirtschaftlich interessante Baumarten eingebracht: Weißtanne und Eiche, gesät und gepflanzt in Grüppchen. Die Eichen sind bereits kniehoch, die Tannen sind an diesem Tag vollkommen von Schnee bedeckt.
Einmal im Jahr eine ganz große Jagd
Die Überlebenschancen hängen wiederum vom Wild ab. "Es darf einfach nicht zu viel da sein – egal wie man es macht", sagt Rückert. Für diesen Bereich heißt das: einmal im Jahr eine ganz große Jagd, eine größere und ein, zwei kleinere mit zehn bis 15 Jägern. Dies aber nur zu Zeiten, wo es erfolgversprechend ist: im Frühsommer, im Herbst und im Winter. Im Sommer wird schon seit zehn Jahren Jagdruhezeit praktiziert.
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"An wenigen Tagen effektiv jagen und das Wild ansonsten in Ruhe lassen", pflichtet ihm auch Matthias Wallrapp bei, der Forstbetriebsleiter des Stiftung Juliusspital Würzburg. Zuständig für 3350 Hektar in der Vorrhön, ist er einer der Mitstreiter bei hunting4future.
Dass vielerorts zu wenig geschossen wird, weist sogar das Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2018 des bayerischen Forstministeriums aus. Die Zahlen schwanken zwar teilweise erheblich. Über den Daumen gepeilt aber ist jede zweite Hegegemeinschaft im roten Bereich, was heißt: Abschussquote erhöhen, wenn nicht sogar deutlich.
Kritik an zu niedrigen Abschussplänen
Dabei sei dieses Bild noch geschönt, meinen die Öko-Jäger. "Manche Abschusspläne sind einfach zu niedrig", sagt Kornder. In der Regel unterschreiben Grundeigentümer und Landratsamt das, was die Jagdpächter vorlegen. Und diese würden oft einen höheren Wildbestand anstreben, um mehr sehen und leichter schießen zu können. "Im Extremfall ist der Wald nur noch Kulisse für die Jagd." Zudem, so macht Kornder deutlich, glichen Abschusspläne einer "arabischen Frontlinie": Keiner könne kontrollieren, ob das, was auf dem Papier angegeben wird, auch den Tatsachen entspreche.
Auf der anderen Seite kommt erschwerend dazu: "Nicht einmal die, die mehr schießen wollen, dürfen es tun", verdeutlicht Rückert. "Manche Behörden entsprechen nicht dem Wunsch der Eigentümer", haut Wallrapp in die gleiche Kerbe. "Das ist wirklich ein Skandal." Es sei schon schwierig, wenn man im eigenen Besitz nicht machen könne, was man für nötig halte.
Mancher Jäger sollte öfters üben
Wollen und Dürfen sind zwei Paar Stiefel. Wollen und Können ebenso. So manchem Jäger täte es gut, seine Fertigkeiten des öfteren im Schießkino zu üben, bemerkt Wallrapp kritisch. Für die Jäger aus Main-Spessart bieten sich dafür Schweinfurt, Gelnhausen und Fulda an.
Ein ganzes Bündel von Umständen also führt aus Sicht der Öko-Jäger dazu, dass der Wildbestand unterm Strich zu hoch ist. Der großflächige Waldumbau gehe aber nur, wenn der Bestand stimme, betont Kornder.
Wallrapp bekräftigt das mit einer weiteren Argumentation: Bayern nehme viel Geld in die Hand für den Umbau zu klimarelevanten Wäldern, sagt er. Forstet man konventionell auf, geht die Hälfte davon für Zaunbau und Einzelschutzmaßnahmen drauf. "Das ist Verschwendung von Steuergeldern", verdeutlicht Wallrapp. Rückert veranschaulicht es auf andere Art: Solang der Wildbestand zu hoch ist, investiere der Freistaat vordergründig in Bäume, in der Praxis letztlich in Rehfutter.
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