Nicht immer lassen sich Ärger und Streit alleine regeln. Wer wenig Geld hat und sich nicht auskennt, kommt nicht zu seinem Recht? Stimmt nicht. Auch Menschen mit geringem oder keinem Einkommen haben Möglichkeiten sich rechtlich vertreten zu lassen. Das gilt auch im Bereich des Gemündener Amtsgerichts.
"Unser Recht ist nichts für Unwissende," sagt Bernhard Schneider und schaut von den Formularen auf. Die Überschriften lauten "Information zur Beratungshilfe", "Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe", "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe". Formalitäten, die schon die Gebildeteren unter uns kaum verstehen. Der 66-Jährige ist Rechtsanwalt in Gemünden; seit 1983. Sein Spezialgebiet: das Familienrecht.
Der gebürtige Fellener hat acht Sprachen gelernt und lernt immer noch. Besucht gerne Sprachkurse bei der Volkshochschule. Er lernt Neues auch, um einen Zugang zu den Menschen zu finden. "Gemünden wird immer internationaler. Wir haben mittlerweile über 60 Nationen in der Stadt." Wenn er einen Mandanten in seiner Landessprache ansprechen kann, ist das Eis schnell gebrochen.
Mancher Mandant kann nicht lesen
Oft seien es aber nicht die Migranten, die dringend Hilfe nötig hätten. "Die Leute, die es bis zu uns schaffen, gehörten in ihrem Heimatland oft zu den gebildeten und wohlhabenden Kreisen." Die kämen mit Dolmetscher und genauen Vorstellungen. Und sie seien vorbereitet. Finanzielle Unterstützung und Betreuung bräuchten viel mehr Menschen mit schlechter Bildung und geringem Einkommen. "Die Leute müssen seitenweise Anträge ausfüllen. Und können teilweise noch nicht einmal lesen."
Anwalt Bernhard Schneider weist niemanden einfach ab. Schneider: "Ich habe beruflich mit Menschen aller Gesellschaftsschichten zu tun: Hartz-IV-Bezieher und Milliardäre." Erstere bekämen die Information, dass sie auch ohne Geld zu ihm kommen können, oft über Hören-Sagen. "Das spricht sich herum," sagt er. Wenn jemand mit einem rechtlichen Problem zu ihm komme, schicke er ihn oder sie erst einmal zum Amtsgericht Gemünden.
Den Beratungshilfeantrag gibt es am Gericht
Dort kann der oder die Betroffene einen Beratungshilfeantrag stellen. Mit diesem geht es dann zurück zu ihm, oder einem anderen Anwalt der Wahl. Dieser rechnet sein Honorar mit dem Amtsgericht ab. "Ich dürfte einmalig 15 Euro von meinem Mandanten mit Beihilfeschein verlangen." Dieser Betrag diene als kleine Hürde, damit die Leute nicht mit jeder Kleinigkeit kämen.
Wie oft kommt Beratungsbeihilfe vor? Im Jahr 2019 wurden am Amtsgericht Gemünden 282 Anträge auf Beratungsbeihilfe gestellt. 232 davon bewilligt, informiert der auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Richter Rainer Beckmann, der seit knapp zwei Jahren am Amtsgericht Gemünden arbeitet. "Die meisten Betroffenen werden sich im Internet über die Möglichkeit der Beratungshilfe informiert haben. Hinweise auf Beratungshilfe werden jedoch auch über soziale Stellen wie die Caritas gegeben."
Das Spektrum der möglichen Themen, die einem Beratungshilfeantrag zugrunde liegen, sei weit. Es könne sich um mietrechtliche, sozialrechtliche oder arbeitsrechtliche Fragen handeln. Auch das Familien- und Strafrecht spiele eine Rolle. Wenn Schwierigkeiten beim Ausfüllen des Antrags auftauchen, könne man sich auch telefonisch bei Gericht um Hilfestellung bemühen.
Einsatz eines gerichtlichen Betreuers
Und was, wenn die Betroffenen schon mit dem Verstehen und Ausfüllen des Antrages auf Beratungsbeihilfe überfordert sind? Dann käme die Einleitung eines Betreuungsverfahrens in Betracht, so Beckmann. Das Betreuungswesen liegt in den Händen des Landratsamtes Karlstadt. Laut Landratsamt stehen im Landkreis Main-Spessart derzeit 1886 Personen unter gerichtlicher Betreuung.
Die Anregung zur Betreuung geht laut Beckmann überwiegend nicht von den Betroffenen selbst aus. Meistens hätten die Amtsgerichte auf ihrer Homepage ein Formular, mit dem man eine Betreuung anregen könne. Das Gericht ermittele dann von Amts wegen.
Prozess-und Verfahrenkostenhilfe
Ein rechtlicher Betreuer sei vorrangig als Hilfestellung zu sehen, so Anwalt Schneider. Und das sei keineswegs als etwas Negatives zu betrachten. Auch simple Hilfsbereitschaft könne der Grund dafür sein, jemanden beim Amtsgericht zu melden. "Das kann jeder tun. Wenn Sie einen Menschen sehen oder kennen, von dem Sie meinen, er käme im Alltag überhaupt nicht zurecht und benötige Hilfe, wenden Sie sich an das Amtsgericht. Die müssen dem nachgehen."
Eine weitere Form der Hilfestellung, so der Bernhard Schneider, sei die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe. Vorrangig werde diese für Scheidungen benötigt, wenn zum Beispiel ein Ehepartner keine finanziellen Mittel hat, um sich scheiden zu lassen. Das komme häufig vor. "Aktuell haben wir viele Scheidungen," sagt er.
Das Betreuungswesen im Landkreis Main-SpessartEs gibt drei Arten von Betreuerinnen und Betreuer im Landkreis Main-Spessart:1. Die Betreuer kommen aus der eigenen Familie oder dem nahen sozialen Umfeld (betrifft 1012 Betreute im Landkreis).2. Ehrenamtliche Betreuer: Im Landkreis sind es 14 Ehrenamtliche, die insgesamt 31 Personen betreuen.3. Berufliche Betreuerinnen: Von den derzeit 86 im Landkreis Tätigen kommen 29 aus Main-Spessart. Alle zusammen kümmern sich aktuell um 843 Betreute.Aktuell sucht das Landratsamt weitere Berufsbetreuer. Die Vergütung der Berufsbetreuer richtet sich nach dem VBVG (Vormünder- und Betreuervergütungs-Gesetz). Für die Tätigkeit eines Betreuers ist keine spezifische Ausbildung erforderlich. In der Praxis hat sich in den letzten Jahren laut Richter Rainer Beckmann eine „Professionalisierung“ gezeigt. Die meisten Betreuer hätten eine im weitesten Sinne soziale oder rechtliche Vorbildung bzw. praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet. Die Vergütung erfolgt pro Monat und pro Fall nach gewissen Kriterien, die sich aus dem VBVG ergeben. Je mehr Fälle ein Betreuer zu bearbeiten hat, desto mehr verdient er.Quelle: jen/Amtsgericht Gemünden