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RETZSTADT: Autismus: Angst und Panik durch Veränderungen

RETZSTADT

Autismus: Angst und Panik durch Veränderungen

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    Ihr Sohn Johannes ist 20 Jahre alt. Nach Beendigung der Förderschule in Marktheidenfeld besucht er nun eine Tagesstätte für erwachsene Menschen mit Autismus in Nürnberg. Der Verein, der 1999 gegründet wurde und heute 65 Mitglieder zählt, strebt an, auch in Würzburg eine solche Einrichtung zu etablieren, die zusätzlich Wohnen ermöglichen soll. Johannes fährt täglich von Retzstadt nach Nürnberg und zurück.

    Autismus ist eine angeborene Entwicklungsstörung, eine schwere Störung in der Beziehungs- und Kontaktfähigkeit. Die Symptome zeigen sich im sozialen Umgang mit Menschen, in der Kommunikation und manifestieren sich in sich stets wiederholenden Handlungen. Autismus ist nicht heilbar, aber die Betroffenen können sich im Laufe ihres Lebens weiterentwickeln, erklärt Renate May.

    Die Symptome, die sich bei Kindern gewöhnlich in den ersten drei Lebensjahren zeigen, sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Typische Verhaltensweisen sind zum Beispiel das Vermeiden von Blick- und Körperkontakt, das Festhalten an Gewohnheiten, häufige Stereotypien wie das Drehen von Gegenständen, Wedeln, Klopfen und so weiter. Die Kinder wirken wie taub, haben keine oder eine auffällige Sprache, wiederholen Sätze, scheinbar ohne den Inhalt zu verstehen. Sie zeigen ihre Wünsche durch Hinführen. Es gibt kein Spielen mit anderen Kindern.

    Als Renate May die Diagnose erhielt, dass ihr Sohn eine autistische Behinderung hat, war Johannes schon sechs Jahre alt. „Nach der Geburt im ersten Jahr war alles völlig normal“, sagt die Mutter. Die erste Auffälligkeit war, dass der Kleine nicht mit dem Sprechen anfing. Ein Hörtest in der Uniklinik Würzburg ergab, dass schlechtes Hören nicht die Ursache sein konnte. Im Gegenteil, das Kind drehte den Kopf in Richtung des Arztes, noch bevor jemand anders das Geräusch hören konnte. „Aber Autismus was damals noch kein Thema.“ Johannes kam in die Frühförderung und machte Ergotherapie, zuerst zuhause, dann in der Tagesstätte in Marktheidenfeld.

    Im Nachhinein sieht die Mutter die Hinweise, die schon früher auf Autismus deuten. Das Kind hat geschrien, aber keine Tränen geweint. Es hat die Laute anderer Babys nicht ertragen können und mit Schreien reagiert. Andererseits hat Johannes mit den Eltern gelacht – wenn auch nicht spontan. Er hat sich bei einer Umarmung nicht versteift, auch wenn er sie nicht aktiv erwidert hat. Eine Ergotherapeutin brachte den Begriff Autismus ins Spiel. Renate May las sich in die Thematik ein und sah die Übereinstimmungen. Im Frühdiagnosezentrum in Würzburg wurde dann die Diagnose gestellt.

    Autistische Menschen brauchen eine klare Struktur. Sie brauchen engmaschige Pläne in Handlung, Raum und Zeitablauf, sagt Renate May. Veränderungen machen ihnen Angst, lösen Panikanfälle aus. Die Mays haben ihr Leben den Bedürfnissen des Kindes untergeordnet: „Sonst ist ein Zusammenleben mit Johannes nicht möglich.“ Wenn der Junge aus dem Schulbus steigt, gibt es Essen, danach Espresso. „Ich könnte nicht einmal vor dem Essen die Mülltonne rausstellen.“ Der Turnus darf nicht geändert werden.

    Johannes muss Schranktüren schließen und dreht Wasserhähne gerade, rückwärtsfahrende Autos entsprechen nicht seinem Bild von Ordnung. Die größte Beeinträchtigung sieht die Mutter in der Geräuschempfindlichkeit. „Kirchenglocken, Vogelgezwitscher und Hundegebell kann er nicht ertragen“, nennt sie als Beispiele. Dabei komme es nicht auf die Lautstärke an. Das Geräusch von Motorrädern mag er.

    Der Junge hat ständig die Hände an den Ohren. Das mache er schon vorbeugend, wenn er nur einen Luftballon im Fernsehen sehe. Dafür könne er aber bei einem Musikstück ein einzelnes Instrument herausgreifen und für sich nachahmen. Johannes kann – eingeschränkt – sprechen. Er kann auch lesen. Als er in der siebten oder achten Klasse in der Förderschule war, hatten sich Lehrkräfte zum Thema „Autismus“ weitergebildet. Ab da wurde er adäquat gefördert. Er bekam einen Schulbegleiter, der ihn auch beim Schreiben gestützt habe.

    Johannes braucht bei bestimmten Tätigkeiten Impulse von außen. Er würde das Wasser, das in eine Badewanne läuft, ohne Aufforderung nicht abdrehen. Handlungen, die weit komplizierter sind, hat er aber automatisiert. So könne er alleine Kaffee kochen, sagt Renate May.

    In der Nürnberger Tagesstätte für erwachsene Menschen mit Autismus geht es Johannes gut. „Ich merke an seinem Verhalten, dass er dort fachgerecht betreut wird.“ Genügend gut ausgebildetes Personal sei das A und O. Der Versuch, den jungen Mann in die nächstgelegene Tagesstätte in Schweinfurt zu integrieren, schlug fehl. „Die Einrichtung hat sich für seine Bedürfnisse als unzureichend erwiesen“, sagt Renate May. Nach vier Tagen blieb er wieder zu Hause, bis die Mutter für ihn den Besuch der Nürnberger Tagesstätte – wegen der Übernahme der Mehrkosten vor Gericht – durchsetzte.

    „Wenn er die Hilfe bekommt, die er braucht, kann er ein gutes Leben führen“, sagt Renate May. „Und es wäre so einfach.“

    Kontakt

    Autismus Unterfranken e.V. Information – Hilfe – Förderung Regionalverband im Bundesverband Autismus Deutschland Vorsitzende: Renate May Unterdorfstr. 29, 97282 Retzstadt Telefon.: 0 93 64/48 67, Fax: 0 93 64/81 22 21 E-Mail: autismusufr@web.de Internet: www.autistisches-kind.selbsthilfe-wue.de

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