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LOHR: Behindertenfahrdienste unter Druck

LOHR

Behindertenfahrdienste unter Druck

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    Die Schulbus-Flotte des Roten Kreuzes in der Nägelseestraße in Lohr. Die Anbieter von Behindertenfahrdiensten stehen auch in Main-Spessart unter wirtschaftlichem Druck.
    Die Schulbus-Flotte des Roten Kreuzes in der Nägelseestraße in Lohr. Die Anbieter von Behindertenfahrdiensten stehen auch in Main-Spessart unter wirtschaftlichem Druck. Foto: Foto: Wolfgang Dehm

    Arbeitszeit ist nicht gleich Arbeitszeit. Das erfahren derzeit viele Menschen in Main-Spessart, die behinderte Kinder und Jugendliche morgens in Förderstätten und Schulen bringen – und nachmittags wieder abholen. Dafür entlohnen sie ihre Arbeitgeber unterschiedlich. Denn es geht ums Geschäft.

    Mitarbeiter von Behindertenfahrdiensten starten ihren Arbeitstag vor der eigenen Haustür. So ist es seit Jahren üblich. Die Fahrer steigen in ihren vom Arbeitgeber gestellten Kleinbus, den sie am Abend vorher mit heim genommen haben. Dann fahren sie zum ersten Kind, laden es ein und düsen zum nächsten. Das setzt sich fort, bis alle Fahrgäste an Bord sind. Sie werden an der Schule abgesetzt; dann geht's für den Fahrer heim.

    Am Nachmittag das selbe Spiel in die andere Richtung: Schüler an der Bildungsstätte abholen, an ihre Wohnorte schaffen, heimfahren.

    Das Problem: Die Arbeitgeber – gemeinnützige Organisationen und Vereine wie Bayerisches Rotes Kreuz, Johanniter, Malteser und Arbeiter-Samariter-Bund – sehen es unterschiedlich, was Arbeitsweg ist und was nicht. Und entlohnen es – oder nicht.

    Das BRK Main-Spessart und die Malteser wenden das Besetztzeitenmodell an. Demnach bekommt ein Fahrer nur die Zeit bezahlt, in der er Gäste in seinem Bus sitzen hat.

    Wohnt ein Fahrer beispielsweise in Himmelstadt, muss Kinder in Wernfeld und Gemünden abholen und zur St.-Kilian-Förderschule Lohr bringen, erhält er Geld nur für die Vormittagstour Wernfeld – Gemünden – Lohr – und für die Fahrt mit den Schützlingen am Nachmittag zurück. Alles andere gilt als privat.

    Frank Weber, Regionalgeschäftsführer der Malteser Hilfsdienst gGmbH Thüringen/Bayern, findet das in Ordnung. „Der Weg ist für den Mitarbeiter viel kürzer, als wenn er nach Würzburg gefahren wäre, ums Auto zu holen“, erklärt Weber, warum das Modell für einen in Main-Spessart wohnenden Fahrer lohne. Allerdings besäßen die Malteser im Landkreis keine Betriebsstätte, von der Mitarbeiter zu ihren Touren starten könnten.

    Außerdem würden die Fahrten „maximal kurz“ geplant, also so, dass der Mitarbeiter so wenig Weg wie möglich zwischen seiner Wohnung und der seines ersten (und letzten) Fahrgastes zurücklegen müsse.

    Die Malteser beschäftigen laut Weber im Raum Lohr/Marktheidenfeld rund 40 Mitarbeiter auf 31 Bussen – die meisten auf geringfügiger Basis. Sie verdienen 9,64 Euro/Stunde netto.

    Das ist auf den ersten Blick mehr, als die Johanniter zahlen. Laut Regionalvorstand Ralph Knüttel bekommen die Fahrer dort 8,50 Euro pro Stunde – also den Mindestlohn. Plus Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und übertariflichen Urlaub.

    Der wesentliche Unterschied: Für die Johanniter-Fahrer werden Rundtouren geplant, die jeweils nah an ihren Wohnorten vorbeiführen. Für den (kurzen) Weg vom Wohnort auf die Routen gibt es kein Geld. Dafür werden auch Leerfahrten – sofern sie auf der Rundtour liegen – vergütet.

    Das macht es Knüttel leicht, die Besetztzeiten zu kritisieren. Er sieht Arbeitgeber „moralisch verpflichtet“ den Fahrern gegenüber. „80 Prozent brauchen das Geld dringend, weil sie selbst behinderte Kinder haben oder die Rente aufbessern müssen.“

    Die Fahrer würden „anspruchsvolle Arbeit“ leisten. Sie müssten Kinder und Jugendliche, deren Verhalten anstrengend sein könne, sicher zum Ziel bringen – auch bei Eis und Schnee. Die Fahrer seien körperlich gefordert: beim Ein- und Ausladen von Rollstühlen, beim Anschnallen.

    „Ich glaube, dass wir bei der nächsten Ausschreibung Fahrten an Mitbewerber verlieren.“

    Johanniter-Vorstand Ralph Knüttel zum Besetztzeitenmodell

    Das Modell der Johanniter mag humaner klingen als das der Malteser. Auf einem umkämpften Markt scheint es nicht konkurrenzfähig.

    Das mussten die Verantwortlichen des BRK-Kreisverbandes erfahren. Mitte 2015 kündigte die Lebenshilfe Main-Spessart ihren Beförderungsvertrag. Bei der Neuvergabe unterlag das BRK (noch ohne Besetztzeitenmodell) ausgerechnet den Maltesern (mit diesem Bezahlmodel). Dem BRK fehlten plötzlich 14 Touren. Also entschieden sich Kreisgeschäftsführer Thomas Schlott und Kreisvorsitzender Eberhard Sinner, das Besetztzeitenmodell einzuführen.

    Der Kreisverband praktiziert laut Schlott zwei Bezahlvarianten. Er entlohnt die meisten Fahrer mit dem Mindestlohn, zieht ihnen aber pauschal 20 Minuten für den Weg von der Wohnung zur Arbeit ab. 28 Mitarbeiter, die die St.-Kilian-Schule Lohr anfahren, erhalten 9,40 Euro pro Stunde. Aber sie büßen noch mehr wegen des Wegs zur Arbeit ein.

    Womit weder Schlott noch Sinner rechneten: In einigen Medien bezogen sie Prügel. Der Vorwurf: Das BRK würde den Mindestlohn unterlaufen. Es ließ seine Praxis vom Hauptzollamt Schweinfurt prüfen. Es überwacht, ob der Mindestlohn eingehalten wird – und hatte keine Bedenken.

    Die hegt auch Malteser-Mann Weber nicht: „Als wir das Besetztzeitenmodell 2010 ohne wirtschaftliche Not einführten, gab es keinen Mindestlohn – und keine Wallungen.“ Er glaubt, dass die Malteser „sachgerecht und marktüblich bezahlen“.

    Die „marktübliche Bezahlung“ der Fahrdienste – sie macht auch dem Arbeiter-Samariter-Bund Würzburg-Mainfranken zu schaffen. Regionalgeschäftsführer Martin Klug nennt keinen konkreten Stundenlohn. Aber es habe „oft Pauschalvereinbarungen gegeben, um der Situation gerecht zu werden, dass die Träger der Behinderteneinrichtungen in der Regel nur die Besetztkilometer vergüten“.

    Klug verweist auf die Rechtsauffassung des Bundesfinanz- und des Bundesarbeitsministeriums, wonach „die Tätigkeit und die Vergütung des Fahrdienstes im Regelfall ab dem Zuhause des Fahrers beginnen und dort enden soll. So seien auch die Leerfahrten „als mindestlohnpflichtige Arbeitszeit zu werten“. Der ASB hat seine Vergütung dementsprechend ab diesem Schuljahr (2016/2017) angepasst. „Den Zuschlag für zwei langjährige Beförderungsaufträge“ habe der ASB „nicht mehr erhalten“.

    Auch Ralph Knüttel von den Johannitern glaubt, „dass wir bei der nächsten Ausschreibung Fahrten an Mitbewerber verlieren“. Er fürchtet um einige der 140 Touren im Bezirk. Seiner Meinung nach müsse die Bundespolitik aktiv werden, „damit Gleichheit herrscht bei den Fahrdiensten“. Ansonsten suchten einige sich immer neue Schlupflöcher.

    Knüttel hat den SPD-Bundestagsabgeordneten Bernd Rützel auf das Problem angesprochen. Der sei stellvertretender Sprecher des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundesparlament. Rützel habe zugesagt, sich mit dem Schweinfurter Hauptzollamt ins Benehmen zu setzen.

    Und was machen die Johanniter, wenn das Problem sich nicht löst? Ihre Wirtschaftlichkeit steht auf dem Spiel. „Dann nehmen wir das Besetztzeitenmodell an“, so Knüttel. Er hofft, dass es nicht soweit kommt.

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