Mein Schreibtisch ist das Schulhaus“, sagt Christian Conradi. Der Direktor des Franz-Ludwig-von-Erthal-Gymnasiums tankt Energie, wenn er durch die Gänge des Nägelsee-Schulzentrums wandert, mit Schülern und Lehrern spricht und die Kunstwerke der Kinder und Jugendlichen bewundert, mit denen sie dem Inneren des Lohrer Rostblocks ihren Stempel aufgedrückt und die Betonwände ansprechend gestaltet haben.
Conradi leitet seit August 2009 das Gymnasium. Zuvor arbeitete er viele Jahre im Ausland, unter anderem in Simbabwe und – vor seinem Wechsel nach Lohr – als Schulleiter einer deutschen Schule in Guatemala. Als er sich von dort aus das Gymnasium via Google im Internet ansah, dachte er beim Anblick des Rostblocks mit den Oberlichtern: „Von außen hat das den Charme eines Supermarktes.“ Als er jedoch das Gebäude zum ersten Mal betrat, sei er „baff erstaunt“ gewesen, denn „die Kunstwerke der Schüler machen das Innere zu etwas Besonderem.“
Warum entscheidet sich ein „Weltenbummler“, der 13 Jahre im Ausland lebte und arbeitete unter 18 Gymnasien, die zur Wahl stehen, ausgerechnet für Lohr? Und was macht ein Oberbayer in Unterfranken?
„Böse Zungen könnten eine 'Strafversetzung' vermuten“, lacht der gebürtige Münchner und klärt auf: „Meine Frau und meine beiden Töchter mussten bisher immer dahin gehen wo ich hinging.“ Jetzt fand es Conradi an der Zeit, in eine Gegend zu ziehen, in der sich auch seine Frau Sabine wiederfinden und nahe bei ihrer im Frankfurter Raum lebenden Familie sein könne. Seine beiden erwachsenen Töchter studieren. „Aus guatemaltekischer Sicht sieht es so aus, als sei Lohr ein Vorort von Frankfurt“, erzählt Conradi, der sich hier im Spessart sowohl an seiner neuen Schule als auch privat wohl fühlt. Ein konstruktives und herzliches Miteinander verbindet den 54-Jährigen mit Franz Wolf, dem Rektor der Mittelschule und Uli Heck, dem Geschäftsführer des Zweckverbandes. Das ist auch nötig, denn das Trio ist maßgeblich an der Sanierung und Umgestaltung des Lohrer Rostblocks in den kommenden Jahren beteiligt.
Dann bekommt sicher auch Conradi ein schöneres Büro als jetzt. 20 Quadratmeter groß ist der Raum und nach seinem ersten Jahr dort weiß der 54-Jährige: „Im Winter muss man von den Außenwänden wegrücken weil man sonst erfriert und im Sommer ist es eines der heißesten Zimmer im ganzen Schulkomplex.“ In diesem kurzen Sommer schwitzten nicht nur die Gymnasiasten sondern auch ihr Direktor bei bis zu 33 Grad vor sich hin. Seinem Vorschlag, das Büro mit Wolf zu tauschen – „er hat ein viel größeres als ich“, grinst Conradi – konnte dieser jedoch nichts abgewinnen. „Dafür habe ich ihm sein Stehpult abgeluchst“, verrät der 54-Jährige. Wolf habe das Teil nie so recht genutzt und er arbeite gerne auch im Stehen, denn „da kann ich mich besser konzentrieren“, sagt er.
Das Verhältnis zwischen Gymnasium und Mittelschule bezeichnet Conradi als konstruktiv und gut. „Miteinander kommt man weiter als allein mit abgesteckten Grenzen. Wir nutzen die Synergieeffekte beider Schulen; dadurch kommt für uns beide das Beste raus.“
Ebenso pflegt Conradi auch den Umgang mit seinen Mitarbeitern und dem Kollegium. Den Apple-Computer seines Vorgängers hat er zwar noch an seinem Schreibtisch stehen, aber inzwischen alle relevanten Unterlagen in das gemeinsame Microsoft-System überstellt. „Ich wollte hier nicht abgekoppelt werden sondern die Synergieeffekte mit meinen Mitarbeitern nutzen“, sagt er.
Deshalb ist Conradi auch ein Verfechter der offenen Tür. Nur selten ist sie geschlossen, es sei denn ein vertrauliches Gespräch mit Schülern, Eltern oder Lehrern steht an. Und auch dieses führt Conradi nie hinter seinem Schreibtisch. Viel besser geht das an dem runden Besprechungstisch in seinem Büro. Auf dem Tisch steht ein Glas mit Bonbons. „Wenn jemand hierher kommt und etwas auf dem Herzen hat, dann hat er sich das vorher schon mehrmals überlegt“, weiß Co
nradi und sagt: „Dann hilft ein Bonbon auf jeden Fall.“ Außerdem behaupteten böse Zungen, dass sich ein „Beschwerdeführer“ mit einem Bonbon im Mund nicht so gut artikulieren könne. „Da ist was dran“, schmunzelt der Direktor. Eine Box mit Taschentüchern vervollständigt das Notwendige, denn „oft fließen hier auch Tränen.“ Deshalb ist Conradi auf alle Eventualitäten vorbereitet.
Als er in sein Büro einzog, hat er einige Möbel rausgeschafft und Pflanzen aufgestellt. „Ich brauche Luft und Platz“, sagt er. Vom Kunstlehrer erbat er sich Bilder aus dem Leistungskurs und ergänzte das Ganze mit einem Bild, das seine Tochter Ruth in Guatemala gemalt hatte. Einen Stein mit einer Eidechse hat sie ihm ebenfalls gestaltet. Dieser liegt auf dem Schreibtisch, der sonst total aufgeräumt wirkt.
„Ich bin ein Fan eines leeren Schreibtisches“, erklärt Conradi. Ein Schubfach steht auf seinem Tisch, in das alles kommt, was er bearbeiten muss. Stück für Stück arbeitet er es ab und leitet es weiter. „Mein Credo lautet: ,Wenn du ein Papier in die Hand nimmst, überlege, was du damit machst und nimm kein Papier mehr als zweimal in die Hand'“, sagt er. „Das hilft mir, konsequent zu sein.“
Er habe schon immer Lehrer werden wollen, erzählt Conradi. „Und ich würde den Beruf sofort wieder wählen.“ Er liebt es, mit Menschen zu arbeiten und unterrichtet selbst noch fünf Stunden pro Woche Sport und Biologie. „Die Nähe zu den Schülern und Lehrern hilft, die Bodenhaftung zu behalten“, sagt er. „Unser Bildungsauftrag ist nicht nur das Abitur sondern die Erziehung der Schüler zu mündigen Bürgern. Dieser Prozess und der Weg dorthin, das ist unser Ziel.“ Eine Schule sei
keine Dosenfabrik, sagt er und ärgert sich, wenn die Einrichtung nur auf Rentabilität und Zahlen beschränkt wird.