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NEUBRUNN: Das Gesicht in fremden Händen

NEUBRUNN

Das Gesicht in fremden Händen

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    „Der Herr Führ ist ein Künstler“, sagt die Tumorpatientin im Bild über Sven Führ. Der Epithetiker, der im Neubrunner „Institut Schilling“ arbeitet, fertigt ihr eine künstliche Nase.
    „Der Herr Führ ist ein Künstler“, sagt die Tumorpatientin im Bild über Sven Führ. Der Epithetiker, der im Neubrunner „Institut Schilling“ arbeitet, fertigt ihr eine künstliche Nase. Foto: FOTO Kerstin Volkmer

    Kaum etwas anders würde man so ungern in fremde Hände geben wie sein Gesicht. Was ist mehr Spiegel der Seele und Abbild der Lebensgeschichte als etwas so Einzigartiges und Persönliches? „Das Gesicht ist die Visitenkarte des Menschen“, sagt Norbert Schilling.

    Naturgetreue Nachbildungen

    Der Neubrunner muss es wissen: Ihm liefern jährlich bis zu 140 Menschen die Kostbarkeit Gesicht aus. Schilling ist Epithetiker. Das heißt, er bildet für Tumorpatienten, seltener auch Unfallopfer, naturgetreu Augen, Nasen, Wangen oder Ohren nach.

    Wo einmal ganz selbstverständlich gewachsenes, durchblutetes Gewebe in einmaliger Ausformung war, klafft nach einer Operation, einem Brand oder sonstigem Unfall oft nur noch ein unübersehbares Loch. Meist schon in der Klinik treffen Schilling und seine sechs Mitarbeiter mit den Patienten und behandelnden Ärzten zusammen, beraten, wie sich der Defekt ausgleichen lässt, welche Materialien und Befestigungen sich für den künstlichen Ersatz anbieten.

    Verschraubt und geklebt

    Auf die Aufklärung folgt das Handwerkliche im Neubrunner Betrieb: Abformung, Gipsmodell, Wachsmodell, Anprobe, Korrektur. Am Ende soll die Epithese exakt sitzen und sich dezent einfügen. Damit sie hält, wird verschraubt, magnetisch befestigt, geklebt oder mit einer Brille stabilisiert.

    Was so viel Geschick und Fingerspitzengefühl erfordert, ist eine Kunst, die Menschen glücklich machen kann. „Es haben schon manche geweint vor Freude“, erzählt Norbert Schilling von überwältigten Patienten, die ein Äußeres zurückbekamen, mit dem sie anderen wieder unter die Augen treten konnten.

    „Ich kann Menschen helfen“, beschreibt der gelernte Zahntechniker, was ihm sein Beruf bedeutet, der so selten ist, dass es in Deutschland bisher keine anerkannte Ausbildung gibt. Nach mehreren Berufsstationen kam der gebürtige Stuttgarter 1996 aus familiären Gründen nach Würzburg. In die Unistadt zog damals ein Münchener Arzt, der Schillings älteren, inzwischen verstorbenen Sohn behandelte.

    Immer mehr Patienten

    Norbert Schilling gründete das „Institut Schilling“ in Würzburg-Versbach. Als immer mehr Patienten aus dem ganzen Bundesgebiet nach Würzburg kamen, folgten Zweigstellen in Homburg an der Saar und Köln.

    Von Versbach nach Neubrunn zogen die Schillings, nachdem sie den Vierseithof mit der roten Fassade im Mühlweg entdeckt hatten und sagten: „Der muss es sein.“ Vielen Neubrunnern ist Norbert Schilling als First Responder (Ersthelfer) bei der Feuerwehr bekannt.

    Individuelle Beatmungsmasken

    „Wir sind sehr, sehr erfolgreich“, bilanziert Norbert Schilling heute die geschäftliche Entwicklung. Neben den Epithesen fertigt er individuelle Beatmungsmasken. In diesem Bereich versorgt er mit zwei Lizenznehmern nach eigenen Worten rund drei Viertel des deutschen Marktes.

    Bei allem beruflichen Erfolg hat die Liebesbeziehung zu dem alten Anwesen und der heimeligen Marktgemeinde einen Knacks bekommen. „Wenn's so bleibt, gehe ich“, sagt der Geschäftsmann, Jahrgang 1961, der durchwegs offene, unverblümte Worte spricht und dem jedes Zaudern fern zu liegen scheint.

    Probleme mit Maut-Vermeidern

    Der mögliche Trennungsgrund: Seit der Einführung der Lkw-Maut häufe sich der Schwerlastverkehr. Die vorbei donnernden Lastwagen lassen den Putz bröckeln, die Fassade reißen und vor allem die Nerven leiden, sagt Schilling.

    Unter den Vorzeichen wolle er nicht die gewünschte räumliche und personelle Erweiterung angehen. Schon aus Rücksicht auf seinen Sohn, den er aus seinem Freundeskreis reißen müsste, wolle er nicht weg aus Neubrunn. Aber wenn sein Haus weiter um halb vier Uhr morgens zu beben anfange, werde er gehen.

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