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Das weiße Gold des Spessarts

Lohr

Das weiße Gold des Spessarts

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    Kleine Steinchen zeigen den Weg.
    Kleine Steinchen zeigen den Weg.

    Kleine weiße Steinchen auf dem Waldboden weisen den Weg und führen zu dem Bergwerk, das einst als wichtiger Arbeitsplatz für die umliegenden Spessartdörfer galt. Am Katharinenbild in der Nähe des heutigen Oberbeckens des Speicherkraftwerks Sintersbachtal zwischen Ruppertshütten und Lohr wurde von 1894 bis 1934 Schwerspat abgebaut und zur Weiterverarbeitung mit Fuhrwerken ins Tal gebracht. Unterwegs verloren gegangene Steine des „weißen Goldes“ legten ihre Spuren, denen wir heute noch folgen können.

    Schwerspat (fachlich: Baryt), im Spessart weit verbreitet, ist eine Mineralart mit außergewöhnlichen Eigenschaften: weiß schimmernd und wegen hoher Dichte extrem schwer, ist es in reinem Zustand ein farblos durchscheinendes Mineral.

    Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert war Schwerspat gefragt, denn vermahlen wurde es als Zusatz bei vielen Produkten der Bauindustrie eingesetzt. Dies führte im Spessart zur Blüte des Schwerspatabbaus und entwickelte sich zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Gegend, deren Bevölkerung in der Regel von landwirtschaftlichen Einkünften lebte.

    „Die Bezeichnung ,weißes Gold des Spessarts' kommt weniger von der Wertigkeit des Minerals, sondern leitet sich eher von der damaligen Wertigkeit dieser Arbeitsplätze ab“, so Joachim Lorenz, Mineraloge aus Karlstein (Landkreis Aschaffenburg). In seinem Buch „Spessartsteine“ beschreibt er einige der bedeutenden Plätze des Schwerspatbergbaus im Spessart, der aus etwa 75 Gruben und Abbauversuchen bestand. Die Grube „Katharinenbild“ in der Nähe der Sohlhöhe war eine von ihnen.

    Laut den Dokumenten des Bergamts Bayreuth, das zuständig für den nordbayerischen Bergbau war, wurde diese Grube 1894 von dem Unternehmen „Aschaffenburger Barytwerke Böttcher und Fromm“ eröffnet (nachzulesen in der Themenausgabe der Zeitschrift „Spessart“). Nach einem Jahr wirtschaftlicher Schwierigkeiten und einer kurzzeitigen Stilllegung der Grube erwarb 1896 Baron von Winkler die Anlage. Gemeinsam mit Curt Lefse gründete er die „Schwerspatgrube Katharinenbild GmbH“ und errichtete einen weiteren Schacht mit zwei Richtstrecken, die nach Osten 43 Meter und nach Westen 45 Meter Länge erreichten. („Teufen“ nennen Bergleute den Bau eines Schachts.)

    Im weiteren Verlauf wechselten die Betriebsführer oft. Eine Grubenöffnung war ein unternehmerisches Wagnis, da trotz geologischer Untersuchungen im Vorfeld nie klar war, wie sich der Abbau des Minerals im Berg technisch gestalten ließe. Tiefe Versuchsschächte, um den Gangverlauf des Baryts zu untersuchen waren nötig. Die Finanzierung dieser nicht immer erfolgreichen Aktionen musste geleistet werden, bevor die erste Tonne Baryt verkauft wurde.

    1905 erwarb Wilhelm Langgut aus Wertheim die Grube und bewirtschaftete sie bis 1911. 1912 wurde sie von Jakob Brehm mit acht Bergleuten kurzzeitig erneut aktiviert. Danach lag die Grube wieder zehn Jahre still, bis im Sommer 1922 der Verwalter der Deutschen Schwerspatgesellschaft mbH Reinke mit drei Arbeitern erneut mit Aufschlussarbeiten begann. Bis 1924 waren 15 Bergleute in der Grube beschäftigt, 1925 nur noch sechs. Laut Urkunde des Bergamts Bayreuth wurden in dieser letzten Phase keine nennenswerten Mengen Schwerspat mehr gefördert. Die Arbeiten dienten der Erkundung des Gangverlaufs im Hinblick auf eine künftige Förderung. 1934 liefen auf dem Gelände noch einmal kurze Untersuchungsarbeiten. Seitdem ruhen Schlegel und Eisen in der Grube Katharinenbild.

    1981 wurden die Grubeneingänge eingefasst und mit Eisentoren versehen. Axel Scholz, seit 27 Jahren Revierleiter im Staatsforst Sackenbach, war während seines damaligen Praktikums mit dieser Aufgabe betraut.

    Nach Schließung der Grube „Katharinenbild“ haben die Stollen im Laufe der Jahre eine neue Verwendung gefunden: Sie dienen als Winterquartier für eine Vielzahl von Fledermausarten und zählen, neben den Kellerräumen der an der gegenüberliegenden Mainseite gelegenen Ruine Schönrain, als bedeutendste Behausung der selten gewordenen Säugetiere in diesem Gebiet. Eine Abordnung der Koordinationsstelle für den Fledermausschutz in Nordbayern an der Universität Erlangen besucht jährlich das ehemalige Bergwerk zur Kontrolle der Bestandsentwicklung. Dazu wird das Eisentor des „oberen“ Stollens geöffnet und die 220 Meter langen Gänge nach Fledermäusen untersucht.

    Eine weitere große Anlage in der Geschichte des Schwerspatabbaus im Spessart fand sich im Bergwerk Neuhütten: „Ich möchte die Zeit nicht missen, ich habe viel gelernt“, erinnert sich Rudolf Kunkel an seine Zeit als Bergmann: „Acht Stunden unter Tage bei totaler Dunkelheit. Angst? Nein, es war normal für uns.“ Nach Ende der Schulzeit kam er 1957 im Alter von 13 Jahren als Lehrhauer in die Grube „Neuhütten“ auf dem Grundstück seines Vaters, der ebenfalls als Bergmann für die Chemische Fabrik Niederrhein GmbH in Neuss, die die Schürfrechte der Grube gepachtet hatte, tätig war. Mit 10 Pfennig pro Tonne gefördertem Schwerspat trug Rudolf Kunkel seinen Beitrag zur Familienkasse bei.

    In Schichtarbeit wurden von Montag bis Samstag 48 Arbeitsstunden erbracht; mit einem Urlaubsanspruch von lediglich 16 Tagen im Jahr. Bohrungen und der Abtransport des Minerals zählten zu seinen Aufgaben. Ab dem Alter von 15 Jahren durfte er zudem selbst Sprengungen vornehmen. Mit Lederhelm und Karbidlampe als einzige Schutzausrüstung leistete er täglich körperlich schwere Arbeit. Atemwegserkrankungen, wie sie beim Kohleabbau durch die dabei entstehende Staubentwicklung möglich waren, gab es nicht.

    Das Einatmen von Quarz, ein Bestandteil von Schwerspat, über einen längeren Zeitraum konnte jedoch Silikose zur Folge haben. „Ich war ein junger Kerl“, erzählt Kunkel, „es gab für mich noch keine Alternative“. 40 Arbeiter waren in den Stollen in Neuhütten beschäftigt, bis sie 1966 geschlossen wurden.

    Die hohen Kosten des untertägigen Abbaus und gestiegene Qualitätsanforderungen machten nach rund 100 Jahren den Bergbau unrentabel. Andere, meist synthetische Stoffe, haben das „Gold des Spessarts“ ersetzt und seinen Abbau unwirtschaftlich gemacht. Die Gewinnung des Spessarter Schwerspates im Untertagebetrieb wurde mit der letzten Grube „Christiane“ bei Rechtenbach 1972 eingestellt. Zu Übertage-Maßnahmen liefen noch längere Zeit Pachtvereinbarungen. Laut Vertrag mit dem Forstamt Lohr durfte bis in den 90iger Jahren die Firma „Deutsche Baryt-Industrie Dr. Rudolf Alberti GmbH & Co. KG“ aus dem Harz in der Gemarkung Neuendorf Schwerspat abschürfen.

    Deutschlandweit gibt es aktuell noch zwei Bergwerke, die Schwerspat abbauen – der Großteil dieses Rohstoffes wird importiert, überwiegend aus China und Indien.

    Die Verwendungsmöglichkeiten für Schwerspat sind vielseitig. Die Farb- und Kunststoffindustrie benötigt den gemahlenen Spat als Füllmittel: In Lacken, Klebstoffen, Form- und Spritzteilen in der Automobilindustrie sowie Fugenmassen ist Schwerspat zu finden. Wegen seiner Strahlen- und Schallschutzeigenschaften findet Schwerspat auch in der Bau- und Kernindustrie sowie in der Medizin Verwendung.

    Die Natur hat die ehemaligen Abbaustellen im Spessartwald noch nicht ganz zurückerobert, ehemalige Schurfstellen, Pingen und Halden lassen sich mit geübtem Auge noch immer entdecken. Und die kleinen weißen Steine als von den Bergleuten hinterlassene, immerwährende Spur auf dem Waldboden zeigen noch immer den Weg.

    „Acht Stunden unter Tage bei totaler Dunkelheit. Angst? Nein, es war normal für uns.“

    Rudolf Kunkel, früherer Schwerspat-Bergmann

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