„Bis zur fünften Klasse konnte ich fast kein Deutsch“, sagt der heute 32-Jährige. Seine Situation als Kind in Deutschland empfindet er im Nachhinein als katastrophal: „Das war echt der Hammer, die deutschen Kinder haben uns immer ,Kanaken‘ und ,Kümmel‘ gerufen.“ Das sei heute nicht mehr so, ist er froh. Die türkischen Kinder hätten es heute besser.
Drei Handys baut der mehrfache Unternehmer vor sich auf dem Tisch auf, während er seine Geschichte erzählt. Könnte ja sein, dass gerade ein Kunde anruft, der Ünaydins Umzugsfirma braucht. „Umzüge Move“ steht auf seinen Werbezetteln, jedoch nicht sein Name. Der könnte Kunden abschrecken, sagt er. Es gebe viele, die einem Türken nicht trauen würden.
Ist er eigentlich Türke? Irgendwann habe er sich das selbst gefragt und entschieden, dass der Bezug zu Deutschland überwiegt. Seit neun Jahren hat er nun die deutsche Staatsbürgerschaft, seit sechs Jahren ist er Mitglied der Jungen Union.
„Es gibt Leute, die fragen mich am Telefon als erstes, was für ein Landsmann ich bin“, berichtet er. „Dann sage ich, dass ich von Zypern komme und Grieche bin, das finden sie dann in Ordnung.“ Es hätten sogar schon Leute aufgeatmet: „Gott sei Dank nicht vom türkischen Teil Zyperns.“ „Ja, Gott sei Dank“, habe er da schon geantwortet.
Solchen Vorurteilen begegne er gerade auf den Dörfern rund um Karlstadt am häufigsten. Etwa 20 Prozent der Kunden hätten diese Einstellung, schätzt er. „Das ist unverschämt.“ In großen Städten dagegen werde nicht nach seiner Herkunft gefragt, erst recht nicht in den USA, wo er sich einmal für drei Wochen mit der Idee aufhielt, eine Umzugsfirma zu gründen. Es zog ihn dann aber doch wieder zurück nach Karlstadt.
Kaum Deutschkenntnisse
Geboren in Istanbul, kam Cüneyt Ünaydin (sprich Dschüneyt) mit vier Monaten nach Karlstadt. Den Kindergarten besuchte er nicht, das sei damals noch nicht so üblich gewesen wie heute. Als Erstklässer ging er bei Osman ªiktaº in eine rein türkische, jahrgangsgemischte Klasse, die in Laudenbach untergebracht war – weit weg von der Karlstadter Grundschule, deren Teil die Klasse eigentlich war. Nur zweimal in der Woche gab es Deutschunterricht. Es wurde Türkisch gesprochen. In der zweiten Klasse folget der Umzug nach Karlstadt – in den Pavillon oberhalb der Förderschule, also immer noch ein Stück abseits der Grundschule.
Auch auf der Straße sei der Unterschied zwischen deutschen und türkischen Kindern groß gewesen. „Das war Hammer, ey“, kommt Cüneyt Ünaydin in Fahrt, wenn er davon erzählt. So seien die Gruppen schon häufiger aneinandergeraten. Wenn einer „Kanake“ gerufen habe, „da hast du gleich gekocht“. Ja, Schlägereien hätten da auch dazugehört – oder nein, mehr so Schubsereien.
Der Mentalitätsunterschied habe sich zum Beispiel schon darin geäußert, dass die deutschen Kinder immer um 19 Uhr zu Hause sein mussten, während die türkischen bis 22 Uhr auf der Straße bleiben durften. Auch in anderen Punkten sei das türkische Leben freier gewesen. „Wenn wir unseren Vater nach Geld gefragt haben, dann haben wir schon mal zehn Mark gekriegt. Ein deutsches Kind hat vielleicht fünf bekommen.“ Gleichzeitig habe er sich als Türke aber oft geschämt in Karlstadt.
Erst in der fünften Klasse begann für Cüneyt Ünaydin der Kontakt mit Deutschen. Erst da ging er zusammen mit deutschen Kindern in eine Klasse. Erst da begann er Deutsch zu lernen. Für den deutschen Quali reichten die Kenntnisse dann nicht aus, wohl aber für den türkischen.
Es folgte eine Lehre bei der Bäckerei Schwenk am Kirchplatz, die er nicht zu Ende führte. Vielmehr machte er sich nach einem Jahr mit einer Imbissbude selbstständig. Er stellte sie beim damaligen Autohaus Kress in der Würzburger Straße auf. „Wo heute Mc Donald's ist, habe ich vorher schon Hamburger gemacht.“ Kurios, aber zugleich ein Hinweis auf sein Gespür für einen guten Standort.
„Wenn der Vertreter von Coca Cola kam und nach dem Chef fragte, sagte ich: Ich bin der Chef.“ Da hätten die zunächst immer bloß gelacht. Zwei Jahre lang arbeitete er anschließend im Mittelmeerrestaurant „Marmaris“ in Würzburg – zunächst als Hilfskoch, am Ende als Chefkoch, erzählt er mit etwas Stolz. Dort habe er viel über Mittelmeerküche gelernt.
Es folgten drei Jahre als Pizza-Bäcker im Karlstadter „Eku-Treff“ bei Gaby Pinna, ehe der Umschwung kam. 1998 kaufte Cüneyt Ünaydin sein erstes Haus in der Brunnengasse 9 und versuchte es mit einer eigenen Firma für Entrümpelungen und Second Hand. In einer Garage Richtung Jahnanlage gab es alles von der Waschmaschine bis zur Stehlampe. „Du musst deinen Arsch bewegen, sonst läuft nix“, drückt er seine Einstellung aus. Nebenbei arbeitete er als Pizzabäcker im italienischen Lokal „Punta del Sud“ im Tiefenweg.
Im Jahr 2000 kaufte er das Haus Langgasse 8 und eröffnete das „Pizza-Eck“. Doch irgendwann lief Pizza nicht mehr so gut, sodass er ab 2004 den Laden für vier Jahre verpachtete.
Er selbst wandte sich wieder den Transporten zu. 2005 kaufte er für 1000 Euro einen Lkw mit einem Jahr TÜV und begann mit Umzügen. Inzwischen hat er zwei Lkw, einen Lkw-Anhänger, einen VW-Bus und zwei Pkw sowie derzeit in der Hochsaison 13 feste Mitarbeiter – ausschließlich Deutsche. Auf türkische könne er sich nicht verlassen. So habe einer den Lkw in Berlin eine Stunde lang einfach auf der Straße stehen lassen, bis Cüneyt Ünaydin von der Polizei angerufen wurde.
Inzwischen hat er auch in der Langgasse 8 wieder eine eigene Gaststätte namens „Pizza Roma“ mit Pizza sowie indischen und pakistanischen Spezialitäten. Koch ist der Pakistani Mayit.
Obwohl Mieten nicht so seine Sache sei, hat Cüneyt Ünaydin in der Langgasse 20 ein Büro für die Umzugsfirma angemietet. Nebenbei betreibt er dort neben seinem Umzugsbüro ein Internetcafé – „mehr so als Service“. Geld werfe das praktisch nicht ab.
Bei Flohmärkten fing alles an
„Die Leute sind oft neidisch auf das, was ich erreicht habe“, ärgert er sich. Dabei werde oft übersehen, dass er praktisch rund um die Uhr arbeite. Der Geschäftssinn stecke ihm und seiner Familie einfach im Blut. Schon als Kind verkaufte er bei den Flohmärkten in Karlstadt Sachen. Und um die Umsatzchancen zu erhöhen, mietete er für seine Schwester gleich noch an anderer Stelle einen Standplatz an.
Inzwischen habe er gute Kontakte zu vielen Geschäftsleuten in ganz Deutschland, stellt Cüneyt Ünaydin heraus. Doch zugleich halte er auch weiter den Kontakt zu den Menschen am Rande der Gesellschaft, spendiere ihnen hie und da etwas. Auch für die Karlstadter Tafel sei er ein paar Mal gefahren. Bei allem Geschäftssinn werde er sich nie verschließen, wenn Hilfe gebraucht wird. „Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich selber arm aufgewachsen bin.“
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