Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Karlstadt
Icon Pfeil nach unten

OBERWITTBACH: Dort, wo meine Wiege stand . . .

OBERWITTBACH

Dort, wo meine Wiege stand . . .

    • |
    • |
    Die Musikanten Walter Lichtneckert, Willi Steigmeier, Helmut Freudenberger und Peter Wolf (von links) sind die Begleiter der Spinnstube.
    Die Musikanten Walter Lichtneckert, Willi Steigmeier, Helmut Freudenberger und Peter Wolf (von links) sind die Begleiter der Spinnstube. Foto: Foto: Reinwarth

    Die Atmosphäre ist heimelig. Lieder von der Heimat machen die Runde, als die vier Musikanten einen Freddy Quinn-Schlager aus den 50er Jahren intonieren. „Dort, wo meine Wiege stand, da ist mein Heimatland“, summen in der warmen „Gemeinde-Stube“ des Marktheidenfelder Ortsteils Oberwittbach an die 40 Frauen mit.

    Ihre Heimat sehen sie beim Blick nach draußen auf die Scholle der Spessartausläufer. Es ist Spinnstuben-Zeit. Der Umstand, dass heute das Spinnrad nicht im Mittelpunkt steht und als „Handwerkszeug“ aus der guten alten Zeit nur für den Fotografen hervorgeholt wird, tut dem gemütlichen Nachmittag keinen Abbruch. Erst vor zwei Wochen war damit ein Bällchen Schafwolle zu einem Strickfaden gesponnen worden.

    Vor gut zwölf Jahren traf sich eine Gruppe von zwölf „Jung-Seniorinnen“, die sich allesamt der Michelriether Grafschaftskirche verbunden fühlen, mit der Idee, für das Winterhalbjahr eine „Spinnstube“ ins Leben zu rufen – ein Schritt, über den auch Grafschaftspfarrer Reinhold Völler hoch erfreut war. Fortan trafen sich Seniorinnen aus den Grafschaftsdörfern in zweiwöchigem Rhythmus zur „Oberwittbacher Spinnstube“. Damals nahmen rund 70 Frauen das spontane Angebot an. Auch wenn die Besucherzahlen heute etwas weniger geworden sind, die Freude an gemütlichen Nachmittagen ist geblieben.

    Wir besuchten die „Öiwerwittwer“ (Oberwittbacher) Spinnstube, die als Hort ländlicher Brauchtumspflege und Heimatverbundenheit mit regelmäßigen Gästen aus „Micheth“ (Michelrieth), „Stammerich“ (Steinmark), „Krädemi“ (Kredenbach) und „Altfld“ (Altfeld) verstanden werden soll.

    Als der Mann von der Zeitung den kleinen Saal im ersten Stock des Gemeindehauses betritt, blickt er zunächst einmal in fragende Gesichter. Nicht wenige davon sind ihm aus der eigenen Kindheit und Jugendzeit bekannt. Als älteste Besucherin hat die 91-jährige Maria Mohr aus Michelrieth in der Runde Platz genommen. Als das Musikanten-Quartett wieder ein Volkslied mit heimatlichem Inhalt anstimmt, kommen Kindheits- und Jugenderinnerungen auf. Auch bei dem in einem Altfelder Bauernhaus aufgewachsenen Chronisten ist plötzlich das Langzeitgedächtnis so präsent, als wäre alles erst gestern gewesen.

    Das Gestern – das sind die Jahre Ende der 40er und Anfang der 50er. Es war die Zeit, als wir mit einem Zehner „Sonntagsgeld“ in der Tasche beim Wolfs Kaspar ein Eis kaufen konnten und die Dreschmaschinen von Dorf zu Dorf zogen. Für uns Kinder gab es in der damals noch „schlechten Zeit“ die guten „Dreschbröter“ – herzhaftes, selbst gebackenes Bauernbrot und gut mit Butter und „Schilee“ (Marmelade) bestrichen. Es war auch die Zeit, als die „Kirb“ (Kirchweih) tagelang richtig gefeiert wurde und die Kirweburschen mit Eimern voller „Öpfelmoust“ (Apfelmost) durch das Dorf zogen. „Häut is Kirb, morn is Kirb und die ganze Wuche“ kam es damals aus den Kehlen der Dorfjugend.

    Frisch gebrühter Kaffee

    Zurück zur Spinnstube. Mittlerweile zieht der Duft von Kaffee aus der kleinen Küche. Auf den Tischen stehen Teller mit Kuchen. Anneliese Freudenberger, eine Schulkameradin des Chronisten, liest spontan eine lustige Geschichte vor. Später empfiehlt sich der Bischbrunner Heimatkundler Norbert Köhler mit einer kleinen Autorenlesung. Auch einige „Herren der Schöpfung“ sitzen in der Seniorinnen-Runde, unter ihnen der 87-jährige Altfelder Altbürgermeister Georg Fertig, der in der Vergangenheit immer wieder mal mit Lichtbildvorträgen zur Unterhaltung beigetragen und als Freund der Altfelder Flieger gezeigt hat, wie die kleine Grafschaftswelt von oben aussieht.

    Pfarrer Reinhold Völler, der die Spinnstuben-Zeit regelmäßig eröffnet, war ebenso ein gern gesehener Referent wie Marktheidenfelds früherer Bürgermeister und „Jakobsweg-Pilger“ Leonhard Scherg und ein Bruder von Kloster Triefenstein oder die Kreuzwertheimer Heimatdichterin Gusti Kirchhoff. Ausflüge sorgen für eine weitere Programmauflockerung. „Es war widder e mol richtig schö!“, werden die Spinnstuben-Frauen sagen, wenn sie sich auf den Weg in ihre Heimatdörfer machen.

    Spinnstuben-Quartett

    Die Musikantengruppe aus Oberwittbach, die keinen Namen hat und sich ähnlich einer „Stuben-Musik“ präsentiert, gehört zu dem regelmäßigen Frauen-Treff wie das 13-köpfige Organisations-Team. Die Musiker üben selten und spielen nur bei der Spinnstube – und zwar zum Nulltarif. Was sie seit Jahren verbindet, ist der Umstand, dass sie – heute in der Summe 300 Jahre alt – in Michelrieth in den ersten Nachkriegsjahren zusammen die Schulbank gedrückt haben. Chef ist der Oberwittbacher Helmut Freudenberger, früherer Landwirt. Er ist der stimmliche Begleiter und bespricht mit seinen Kollegen das etwa 40 Stücke umfassende Repertoire. Willi Stegmeier aus Altfeld bedient das Keyboard, Peter Wolf aus Michelrieth spielt Geige und Walter Lichtneckert aus Marienbrunn Gitarre. Text: arth

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden