Die Bude von Jacques Matéos auf dem Schweinfurter Volksfest gehört in eine andere Zeit. Eine Zeit, in der man die Menschen noch mit Kunststücken begeistern konnte. Etwa indem man mit Bällen jonglierte oder auf den Händen lief. Beides kann Jacques Matéos. Eines aber kann er ganz besonders gut: Scherenschnitt-Porträts. Nur wenige Sekunden lässt er seine kleine Schere kreuz und quer durch das schwarze Stückchen Papier huschen, dann hält er das Ergebnis hoch: Den Kopf seines Gegenüber im Profil – unverkennbar und präzise getroffen.
Seit 30 Jahren macht er das, und seit 18 Jahren kommt der in Düsseldorf lebende Franzose nach Schweinfurt. Das Volksfest hier ist eines der letzten, die er besucht. Das Geschäft läuft nicht mehr, die Menschen interessieren sich für andere Attraktionen, sagt Matéos. „Ich habe schon so viele Volksfeste aufgegeben. Düsseldorf etwa. Da hatte ich einen prima Standort, und trotzdem habe ich in drei Tagen nichts verdient.“
Auch in Schweinfurt waren diesmal die ersten Tage schlecht für ihn. „Ich hoffe, dass wenigstens so viel hereinkommt, dass ich das Hotel und den Strom hier zahlen kann“, sagt er, und man merkt ihm an, dass er sich auf den endgültigen Abschied vorbereitet.
Es gab auch andere Zeiten. Da haben sich die Menschen geprügelt, um von ihm porträtiert zu werden, erzählt er. Die Bude des „Scherenschnitt-Weltmeisters“ ist vollgehängt mit den Bildern Prominenter, die es geschafft haben: Henry Kissinger, Helmut Kohl, Willy Brandt, Lew Kopelew, Barbara Stamm. Letztere kannte er gar nicht. „Irgendjemand sagte, die ist wichtig, also habe ich es gemacht.“ Das Bild mit Barbara Stamm stellt er deshalb auch nur aus, wenn er seine Bude in Unterfranken aufbaut.
Millionär auf den Kanaren
Er war im Fernsehen, als dort Showmaster wie Rudi Carrell und Chris Howland den Ton angaben. In den USA wollte ihn ein Manager groß rausbringen, im Rumänien Ceaucescus wäre er beinahe für zwölf Jahre hinter Gittern gelandet, weil er keine Papiere hatte. In den 1970ern ging er auf die Kanaren, ein altes Zeitungsbild zeigt ihn auf den Händen laufend. „500 Kilometer habe ich in meinem Leben auf den Händen zurückgelegt“, berichtet Matéos, und spätestens da wird klar, dass das Fabulieren auch zu seinen Talenten gehört. „Auf den Kanaren nannten sie mich den Millionär“, erzählt er, die Geschäfte liefen gut. 1983 stand er sogar im Guiness-Buch der Rekorde: 485 Scherenschnitte in drei Stunden, das hatte bis dahin noch niemand geschafft.
Überboten hat das seither vermutlich auch niemand, denn Jacques Matéos ist einer der Letzten seiner Art. Als er anfing, war Scherenschnitt eine anerkannte Kunstform – die übrigens ein Deutscher erfand, der sich auf dem Eiffelturm bestaunen ließ. Matéos kam aus Tours, wo er die Kunstakademie besucht hatte, nach Paris, um auf Geheiß seiner Patin Briefträger zu werden. Aber Montmartre war spannender als sein Zustellbezirk, also ließ er sich als Briefträger vertreten, um seiner Kunst nachgehen zu können. Als er dann in die Provinz versetzt werden sollte, quittierte er den Dienst.
„Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben, und die Jahrzehnte des Reisens sind mein Kapital. Aber ich würde das heute nicht mehr so machen“, sagt Matéos. Die Unsicherheit, die Mühsal des Reisens, der Zwang weiterzuarbeiten, um die Rechnungen zu bezahlen. Jacques Matéos ist 71 Jahre alt. Wäre er Briefträger geworden, könnte er schon lange pensioniert sein. Aber dann hätte er sie nicht miterlebt, die Zeiten, als man die Menschen noch mit Kunststücken begeistern konnte.