Hiobsbotschaft für die rund 120 Beschäftigten des Lohrer Faurecia-Werkes: Vertreter aus der Chefetage des französischen Automobilzulieferers teilten den Mitarbeitern am Dienstag vor Ort mit, dass Faurecia das Werk noch in diesem Jahr schließen werde.
Wohl nur für einen Teil der Mitarbeiter gibt es die Aussicht auf Weiterbeschäftigung: Die mittelständische Kokinetics GmbH mit Sitz in Kriftel bei Frankfurt ist an einer Übernahme der Lackiererei und des Auftrags für den Bau von Sitzelementen für den Mercedes Sprinter interessiert. 70 bis 90 Mitarbeitern droht aber wohl der Verlust des Arbeitsplatzes.
Bis August will der potenzielle Käufer, der derzeit gut 200 Mitarbeiter beschäftigt, das Lohrer Faurecia--Werk auf Herz und Nieren prüfen. Sollte er sich danach zum Kauf entscheiden, können nach Aussage von Faurecia „mindestens 30 Mitarbeiter“ damit rechnen, weiterbeschäftigt zu werden.
Für die Mehrzahl der Lohrer Faurecia-Mitarbeiter sieht die berufliche Zukunft aber eher düster aus. Dementsprechend waren die Mienen derjenigen, die am Dienstag nach der Informationsveranstaltung, bei der das nahende Aus verkündet wurde, in ihren Autos vom Werksgelände an der Heinz-Paulisch-Straße fuhren. Keiner von ihnen war in der Laune, den wartenden Journalisten Fragen zu beantworten. Nur einer rief im Vorbeifahren aus dem Seitenfenster: „Alles Lüge.“ Ein Insider beschrieb die Stimmung als „zornig bis niedergeschlagen“.
Emotionen kochen hoch
Emotional war nach Aussage von Percy Scheidler, dem ersten Bevollmächtigten der IG-Metall Verwaltungsstelle Aschaffenburg, der Verlauf der Versammlung, bei dem die Faurecia-Personalchefs zuvor die schlechten Nachrichten überbrachten. Der Ton sei gegenüber der Chefetage „nicht immer freundlich“ gewesen. Erneut wurde der schon in den vergangenen Monaten erhobene Vorwurf laut, dass der Konzern nichts für den Erhalt seines Lohrer Standortes getan habe. Auch Scheidler sagte, dass Faurecia nichts unternommen habe, um den Lohrer Betrieb auf neue Beine zu stellen.
Wie berichtet hat die Lohrer Produktionsstätte, in der heute Sitzelemente für Autos hergestellt werden, in den vergangenen Jahren immer wieder turbulente Phasen und wirtschaftliche Krisenzeiten durchlebt. In ihren Glanzzeiten in den 1980er Jahren beschäftigte die damalige Heinz Paulisch GmbH noch rund 450 Menschen. Damals wurden vor allem Sitze für Züge produziert. Später folgten etliche Besitzerwechsel, fast jeder ging einher mit einem Mitarbeiterabbau.
Das Kriseln hielt auch nach der Übernahme durch den französischen Faurecia-Konzern im Jahr 2009 an. Für auslaufende Großaufträge konnten keine Nachfolger an Land gezogen werden. Zum Jahreswechsel 2011/2012 sorgte in der Belegschaft die Tatsache für Aufregung, dass in den Lohrer Werkshallen im großen Stil Maschinen abgebaut und an andere Standorte verlegt wurden. Nicht zum ersten Mal war der Vorwurf zu hören, dass Faurecia den Lohrer Standort gezielt ausbluten lasse, um in Osteuropa billiger zu produzieren.
Großauftrag nach Tschechien
Eine Befürchtung, die sich nun offenbar bewahrheitet. In der Versammlung am Dienstag wurde den Mitarbeitern laut Aussage des Betriebsratsvorsitzenden Peter Mähler jedenfalls verkündet, dass einer der beiden in Lohr derzeit noch bearbeiteten Großaufträge, die Produktion von Sitzelementen für den Audi A4, von Lohr nach Tschechien verlagert werde.
Diese Nachricht sei „die Überraschung des Tages“ gewesen, schildert Mähler. Bis zuletzt seien sich die Lohrer Mitarbeiter eigentlich sicher gewesen, dass der noch bis 2015 laufen Auftrag dem Lohrer Werk erhalten bleibe. Stattdessen habe die „Belegschaft die Mitteilung bekommen, dass die Werksleitung die Schließung des Standortes beschlossen hat“.
Faurecia: Betrieb nicht rentabel
In einer Pressemitteilung, die Faurecia verschickte, noch während in Lohr die Belegschaft informiert wurde, erklärt der Konzern die Schließung mit auslaufenden Aufträgen, Volumenrückgängen bei bestehenden Aufträgen und dem Ausbleiben von Neuaufträgen. Weil der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich gewesen sei, habe man in den vergangenen Monaten verstärkt nach einem Käufer gesucht und diesen in der Kokinetics GmbH gefunden. Der Automobilzulieferer gilt als Spezialist für alles, was sich am Autositz bewegt. Das international tätige Unternehmen, hinter dem laut Scheidler eine Investorengruppe steht, produziert Sitz- und Getriebeelemente.
Der potenzielle Käufer plant laut Faurecia-Pressemitteilung, die gesamte Werksfläche in Lohr zu mieten. Die Produktionsteile, die Kokinetics nicht übernehmen wolle, werde Faurecia bis spätestens November 2012 nach Tschechien verlagern.
Für die Mitarbeiter, die bei Kokinetics keine Weiterbeschäftigung finden, sollen laut Gewerkschafter Scheidler nun möglichst schnell Verhandlungen über Sozialplan und Abfindungen beginnen. Laut Faurecia beschäftigt man im Lohrer Werk derzeit 108 Mitarbeiter. Hinzu kommen einige Leiharbeiter.
Faurecia kündit an, für die Mitarbeiter, die keine Zukunft in dem Lohrer Werk haben, „alles zu tun, um sie bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz bestmöglich zu unterstützen“. Wenn möglich werde man anbieten, sie an anderen Faurecia-Standorten zu beschäftigen.
Nach Ansicht des Betriebsratsvorsitzenden Mähler steht jedoch selbst die Übernahme von Teilen der Produktion durch Kokinetics noch auf „sehr wackeligen Beinen“. Auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt sei es für die Mitarbeiter bei einem Altersdurchschnitt von 48 Jahren wohl eher schwierig eine neue Anstellung zu finden.
Der Gewerkschafter Scheidler kündigte an, dass man den potenziellen Käufer davon überzeugen wolle, dass das Lohrer Werk und die für den Verkauf in Frage kommenden Produktionsbereiche mit nur 30 Arbeitsplätzen unmöglich zu bedienen seien. Am Donnerstag wollen Betriebsrat und Gewerkschafter dem potenziellen Käufer einen Besuch abstatten. Sie sind eingeladen zur Feier des 66-jährigen Betriebsbestehens von Kokinetics.
Scheidler hofft, dass bis Ende Juli die Verhandlungen bezüglich Übernahme, Sozialplan und mögliche Abfindungen so weit gediehen sind, dass die Lohrer Faureciamitarbeiter Klarheit über ihre Zukunft haben.