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LOHR: Flüchtlinge machen sich selbstständig

LOHR

Flüchtlinge machen sich selbstständig

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    Syrische Flüchtlinge haben ein Lebensmittelgeschäft in Lohr übernommen, den „Ceren Markt“. An der Kasse: Zena Wakg, die Ehefrau von Ayman Dadouch (hinten rechts) mit einer Kundin, die wie viele andere an diesem Montag stapelweise dünnes arabisches Fladenbrot kauft.
    Syrische Flüchtlinge haben ein Lebensmittelgeschäft in Lohr übernommen, den „Ceren Markt“. An der Kasse: Zena Wakg, die Ehefrau von Ayman Dadouch (hinten rechts) mit einer Kundin, die wie viele andere an diesem Montag stapelweise dünnes arabisches Fladenbrot kauft. Foto: Foto: Björn Kohlhepp

    „Wir wollen nicht zu Hause sitzen, das macht krank“, sagt Ayman Dadouch. Nicht herumzusitzen nennt der 40-jährige Syrer als wichtigsten Grund, warum er mit seinem Landsmann und Freund Abdulla Amra, 34, zum 1. September das bisherige türkische Lebensmittelgeschäft „Ceren Markt“an der Ecke von Stadtmühlgasse und Turmstraße in Lohr übernommen hat.

    Und ihr eigenes Geld verdienen und Steuern zahlen wollen sie, sagt Dadouch, der – wie sein Geschäftspartner auch – samt Familie als Kriegsflüchtling nach Lohr gekommen ist. „Ich will nicht, dass das Jobcenter oder das Landratsamt für mich bezahlt.“

    „Ich will arbeiten, nicht reden.“

    Ayman Dadouch, Inhaber des „Ceren Markts“

    Bis Ende Juli führten Hatice und Yasar Oymak den Lebensmittelladen, insgesamt fünf Jahre lang. „Wir mussten leider aufhören wegen der Kinder“, sagt Hatice Oymak, nicht etwa des Umsatzes wegen. An diesem Montag schaut sie mit ihrem Mann im Laden vorbei, plaudert mit den neuen Inhabern und gibt Tipps. Die Wurst etwa hätten sie auf Anraten von Yasar Oymak etwas billiger gemacht, sagt Ayman Dadouch. Bevor dort erst türkische und jetzt arabische Lebensmittel einzogen, befand sich im Geschäft bis August 2011 die Metzgerei Mayer.

    Um die Mittagszeit füllt sich der Laden. Deutsche, türkische und arabische Kundschaft kauft ein. Die aus Kroatien stammende Lohrerin Janja Delic ist froh, dass das Geschäft von den beiden anerkannten Asylbewerbern weitergeführt wird und sie beispielsweise Maisprodukte dort bekommt, wie sie sie aus ihrer Heimat kennt. „So was findet man sonst nicht in der Stadt.“ Sie schwärmt auch von den Wassermelonen, die es im „Ceren Markt“ im Sommer gibt.

    Stapelweise laden die Kunden am Montag dünnes arabisches Fladenbrot in Plastikbeuteln auf das Band. Dadouchs Frau Zena, 26, hat die Erklärung: „Am Samstag hatten wir kein Fladenbrot mehr und haben gesagt, dass wir am Montag wieder neues haben.“ Die muntere Syrerin hat wegen ihres 22 Monate alten Sohnes Tamer nie einen Deutschkurs besucht, sondern hat zu Hause und in Gesprächen mit Deutschen deutsch gelernt. Ihre Aussprache ist nahezu akzentfrei.

    Hochschwanger habe sie 2015 auf dem Weg nach Deutschland mit den beiden älteren Kindern und ihrem Mann 15 Tage lang laufen müssen, nachdem sie mit dem Boot von der Türkei nach Griechenland und von dort über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Passau geflohen waren. Unterwegs habe es wenig Wasser gegeben und in Deutschland habe die im achten Monat Schwangere nur noch 45 Kilogramm gewogen, sagt sie. Als zwei Monate später ihr Sohn im Krankenhaus in Wertheim zur Welt kam, sie Schmerzen hatte, aber sich nicht verständigen konnte, habe sie sich gesagt: „Ich muss deutsch lernen, so geht das nicht.“ Die 26-Jährige will Arzthelferin lernen. Ihr Mann unterstütze sie dabei. „Mein Mann kann kochen, hilft putzen und wickelt Tamer.“

    Sie und ihr Mann erzählen beide, wie erleichtert sie waren, im Juli 2015 in Passau von der Polizei freundlich begrüßt zu werden. „Keine Angst“, hätten die Polizisten gesagt und mit den Kindern gespielt.

    Besonders an Ungarn haben Ayman Dadouch aus Homs und Abdulla Amra, die sich hier kennenlernten, keine guten Erinnerungen. „Schlechte Menschen“ seien ihnen dort begegnet, es habe wenig zu essen gegeben. Amra erzählt, dass ihn Polizisten geschlagen hätten.

    Warum sie gerade nach Deutschland kommen wollten? „Ich habe gehört, die Leute in Deutschland sind gut, es gibt gute Schulen und Demokratie“, sagt Amra, der vier Kinder zwischen drei und zwölf Jahren hat.

    Tatsächlich fühlen sie sich in Lohr wohl, die Sachbearbeiter von Jobcenter und Landratsamt hätten sie bei ihrem Schritt in die Selbstständigkeit sehr unterstützt. Ein älterer Gemündener sei für Dadouchs Kinder ein Ersatzopa geworden, sagt der 40-Jährige. Der Syrer, der in seiner Heimat als Automechaniker gearbeitet hat, wohnt mit seiner Familie wie Partner Amra in Partenstein. Nach einem Deutschkurs und zwei Praktika wollte er unbedingt Geld verdienen. „Ich will arbeiten, nicht reden.“

    Amra arbeitete in Damaskus als Autohändler und war Inhaber eines großen Lebensmittelgeschäfts. Zweimal in der Woche fährt er nach Frankfurt und Nürnberg, um neue Ware, darunter Obst und Gemüse, einzukaufen. Jetzt gibt es im Laden arabische, türkische und deutsche Produkte.

    Er habe zuvor selbst dort eingekauft, erzählt Dadouch, es habe jedoch nur wenige arabische Produkte gegeben. Jetzt gibt es etwa Molokhia, eine Art Spinat, gefüllte Auberginen, arabische Süßspeisen, Rosenwasser zum Trinken, grün geernteten Weizen namens Freekeh oder Mastix-Harz, das in der arabischen Küche als Gewürz zum Einsatz kommt.

    Dadouch hält dem Reporter ein kleines Päckchen Chips hin. Die Herstellerfirma habe früher in Syrien produziert, jetzt stellt sie laut Etikett offenbar aufgrund des Krieges in Ägypten her. Dass auf einer Packung mit getrocknetem Molokhia „halal“ („nach islamischem Recht erlaubt“) steht, hält er für einen Scherz oder Verarschung. Was soll das, es sei ja kein Fleisch darin?

    Ungläubig nimmt er zur Kenntnis, dass auch auf deutschen Produkten, die nur aus Obst oder Gemüse bestehen, mitunter „vegan“ oder „glutenfrei“ stehe.

    Wie zuvor die Oymaks, wollen Amra und Dadouch demnächst Obst und Gemüse auch mit einem Stand auf dem grünen Markt in Lohr verkaufen.

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