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LOHR: Gottschalks Weihnachten in Camp Warehouse

LOHR

Gottschalks Weihnachten in Camp Warehouse

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    In ihnen ist der Bub wieder heil aus Afghanistan zurückgekommen: Die Bundeswehrstiefel von Sven Gottschalk in Mutters Schlafzimmer.
    In ihnen ist der Bub wieder heil aus Afghanistan zurückgekommen: Die Bundeswehrstiefel von Sven Gottschalk in Mutters Schlafzimmer. Foto: Foto: Roland Pleier

    Sven Gottschalk hat Tagebuch geführt. Nie vorher hatte er das gemacht und nie mehr danach. Doch als er im November 2004 als Zeitsoldat nach Afghanistan aufbrach, da war ihm schon klar, dass die 16 Wochen in Kabul ein tiefer Einschnitt in seinem Leben sein würde.

    Klar strukturiert hat er es aufgeschrieben: Tagesgeschehen, Essen, Wetter und die fünf schönsten Erlebnisse an diesem Tag. An seinem 33. Einsatztag registriert er: „!!!Weihnachten!!!“ – mit sechs dicken Ausrufezeichen.

    Nikolaus, Weihnachten und Fasching in einem

    Nun war Sven Gottschalk als Enkel und Sohn der damaligen Bräustüble-Wirtinnen aufgewachsen. Ganz normale Weihnachtsfeste kannte er gar nicht so recht. Denn Mama Margitta Gottschalk überließ das Bräustüble ihrer Mutter, von der sie es als 23-Jährige übernommen hatte, und entfloh dem Trubel alljährlich auf Gran Canaria. Heilig Abend im dortigen Hotel, das praktisch ausschließlich von Wirtsfamilien aus Deutschland belegt war, begann mit einem Kostümfest und Maskenprämierung. Sven Gottschalk erinnert sich noch an zwei Klassiker: mal war er Indianer, mal Prinz.

    Danach kam der Nikolaus und brachte die Geschenke. Schließlich stand ein festliches Buffet auf der Tagesordnung – genossen im Kreise von Menschen gleichen Schlags. „Man hat sich gefreut, die anderen wiederzusehen“, erinnert er sich, „es war ja immer die gleiche Gruppe.“

    Mulmiges Gefühl wegen Anschlagsgefahr

    Seine Kameraden in Afghanistan hat er nicht selbst ausgesucht. Aber der Einsatz in dem Camp schweißt zwangläufig zusammen. Das christliche Fest in einem Land, in dem 99,9 Prozent Moslems sind, ist zwangsläufig anders. „Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl“, erzählt Gottschalk: „Wie gehen die Muslime damit um, vor allem terroristische ..?“ Anschläge auf das Camp Warehouse hat es davor gegeben, gab es auch danach.

    Weihnachten 2004 bleibt es ruhig. Gottschalks Tag beginnt vier Stunden später als gewohnt, erst um 10 Uhr. „... aber vorher muss hier schon wieder die Hölle los gewesen sein“, notiert er in seinem Tagebuch.

    Versalzene Linsensuppe statt EPA

    Mittags gönnte er sich eine Pause. Normalerweise gab's freitags immer nur EPA, also Einmannpackungen für Soldaten, weil die Küche gereinigt wurde. An Weihnachten machten die Köche eine Ausnahme. „Die Feldküche war eh nicht so gut“, blickt Gottschalk zurück. „Da wurde das Essen schon zum Erlebnis – wenn's mal was Gutes gab.“ An diesem Freitag serviert die Feldküche Linsensuppe mit Bratwurst, an diesem Tag allerdings „extrem versalzen“. Das ärgert den Stabsunteroffizier aus Lohr. „Nicht mal an Weihnachten schaffen es diese Idioten, ein Essen nicht zu versalzen“, nimmt er in seinem Tagebuch kein Blatt vor den Mund.

    „Hab erfahren, dass ich morgen Wachbereitschaft habe“, notiert er dort weiter. „Das heißt: die ganzen Meldungen vorarbeiten – könnte also ein langer Abend werden.“ Das schätzt Gottschalk richtig ein. Das Abendessen verpasst er vor lauter Arbeit. „Aber es gab ja genug Plätzchen ...“

    Soldaten brummeln Weihnachtslieder im Zelt

    Um 21.30 Uhr klappt er sein Laptop zu, besucht er den Feldgottesdienst. Die Christmette im Zelt hält ein Militärpfarrer in Uniform auf deutsch. In den Stuhlreihen ist durchaus noch Platz. Der Alter: ein einfacher Tisch mit weißem Tuch. Dahinter ein schlichtes, mehr als mannshohes Holzkreuz. Links davon zwei Soldaten – einer hinterm Keyboard, der andere mit Gitarre – und ein Weihnachtsbaum mit elektrischen Kerzen. Der Priester singt, unterstützt von einem Soldatenchor, die meisten anderen hätten mehr oder weniger mitgebrummelt, erinnert sich Gottschalk. „Kalt – spartanisch – genial“, beschreibt er die Mette, „eine wunderbare Erfahrung“.

    Überhaupt ist es für ihn ein „Weihnachten der voll komplett anderen Art“. Eines ohne Pomp. Eines, an dem er erfüllt ist „mit Dankbarkeit, dass nichts passiert ist“; eines, das ihm das Gefühl gibt, dass der christliche Feiertag auch von den Muslimen respektiert wird. „Da war einfach nichts. Da war Ruhe“, beschreibt er rückblickend. Wäre etwas passiert, so „wäre ich der erste gewesen, der zurück gemusst hätte auf Station“.

    Hausmacher Wurst aus Partenstein

    So muss er dort erst tags darauf um 5 Uhr wieder antreten. Die Geschenkpakete aus Deutschland – für ihn natürlich mit Hausmacher Wurst einer Metzgerei aus Partenstein – sind alle geliefert worden. „Da hat man wert drauf gelegt, weil davon ja die Stimmung abhängt.“ Auch seine Geschenke sind zuhause angekommen, erfährt er in den Telefonaten mit Mutter und Vater, Oma und Schwester. Nur die damalige Freundin erreicht er erst später, nachdem er Sammel-SMS verschickt hat. „WhatsApp gab's damals noch nicht.“

    Zur Mette geht Gottschalk heute nicht mehr. Von der Institution Kirche habe er sich verabschiedet, erklärt er – wegen solcher Auswüchse wie einem prunksüchtigen Bischof und den vielen Missbrauchsfällen. Das Fest selbst aber ist ihm wichtig geblieben: „Dass alle friedlich zusammen sind, dass nichts passiert, dass es allen gut geht.“

    Tropenstiefel von besonderem Wert

    Geschenke anderer Art sind ihm „total sekundär“ geworden. Seine Mutter allerdings hält eines der seinen in Ehren: das Paar Tropenstiefel, das ihr Sohn in Afghanistan getragen hat. Es steht bis heute, sauber geputzt, neben ihrem Bett im Schlafzimmer – „weil sie ihren Sohn wieder wohlbehalten nach Hause gebracht haben.“

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