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Gummibärchen als Notfallreserve

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Gummibärchen als Notfallreserve

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    Neben den regelmäßigen Treffen unternimmt die "Zuckerteufel"-Selbsthilfegruppe mit der Familie auch Ausflüge, wie hier in den Spessart.
    Neben den regelmäßigen Treffen unternimmt die "Zuckerteufel"-Selbsthilfegruppe mit der Familie auch Ausflüge, wie hier in den Spessart. Foto: FOTO PRIVAT

    Zwischen drei und fünf Jahre waren die Kinder der "Zuckerteufel"-Gruppe alt, als bei ihnen die Krankheit ausbrach. Die Symptome waren ähnlich: "viel getrunken", "ins Bett gemacht" und "garstig geworden".

    Da Kontakte zu anderen Betroffenen helfen, mit der Krankheit besser klar zu kommen, ergriff Heidi Lutz aus Kreuzwertheim die Initiative und erkundigte sich nach mehr Betroffenen im Bereich Main-Spessart: "Auf Anhieb meldeten sich fünf Eltern. Es ist wichtig für die Kinder zu wissen, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind, wie meist in der Schule oder im Kindergarten."

    Diabetes Typ 1 tritt in der Regel bei Kindern und Jugendlichen auf und wird durch einen Mangel an Insulin verursacht. Insulin ist ein Hormon, das spezielle Zellen der Bauchspeicheldrüse, die Beta-Zellen, produzieren. Ohne Insulin kann der Zucker nicht aus dem Blut in die Zellen aufgenommen und dort verarbeitet werden. Diabetes Typ 1 ist eine sehr ernste Stoffwechselerkrankung, die nicht heilbar ist. Diese Endgültigkeit sei das Schlimmste an der Krankheit, so die Eltern der "Zuckerteufel" übereinstimmend.

    Auslöser der Krankheit können verschiedener Art sein: ein Virusinfekt, Veranlagung, Hygiene oder Klima. "Es kommt zum Untergang der Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse, die für die Insulinproduktion verantwortlich sind. Das Immunsystem wird angekurbelt und reagiert mit der Bildung immunogener Eiweiße - Antikörper, die sich gegen die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse richten", erklärt Dr. Stephan Zieher von der diabetologischen Schwerpunktpraxis Dres. Zieher und Albert, Marktheidenfeld. Danach, so Zieher, vollziehe sich eine Autoimmunreaktion. Diese Autoimmunreaktion ist eine Fehlreaktion des Immunsystems und führt zur endgültigen Zerstörung der Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse.

    Ist die Krankheit diagnostiziert, müssen sich nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern in ihren Lebensgewohnheiten umstellen. Alle vier bis sechs Wochen treffen sich die "Zuckerteufel-Kinder", um über ihre Erfahrungen zu sprechen, gemeinsam zu spielen und unter Anleitung der Diabetes-Beraterinnen Ute Zieher und Gabi Gruner in der Praxis Zieher und Albert Neues über Diabetes zu lernen.

    Neben den Kindern treffen sich auch die Eltern regelmäßig zu einem lockeren Gesprächskreis im Antik-Café Marktheidenfeld, um Tipps und Ideen auszutauschen: "Es gibt so viele Dinge, die man lernen muss: andere Ernährung, der Umgang mit dem Insulin, die Wundversorgung, die Hilfsmittel - das ganze System Mensch", so Lutz.

    Vor allem die Ernährung stellt ein Problem dar. Ab dem Zeitpunkt der Diabetes-Diagnose rechnen Kinder und Eltern bei der Ernährung nicht mehr nach "drei Würstchen oder zwei Keksen", sondern ausschließlich in Broteinheiten (BE). Eine BE entspricht zwölf Gramm Kohlehydraten. Die Verstoffwechselung, der Transport der Broteinheiten in die Zelle, erfolgt individuell: Tageszeit, Größe, Gewicht - verschiedene Faktoren sind dafür ausschlaggebend.

    Das Insulin wird injiziert, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Die Dosis muss zuvor genau bestimmt werden und ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Die Injektion wird unter die Haut des Oberschenkels, Bauchs, Pos oder an anderen Stellen, an denen Unterhautfettgewebe vorhanden ist, gespritzt.

    Für das Zuführen des Insulins gibt es verschiedene Möglichkeiten: Spritzen, Insulinpens (Spritzhilfen) oder Insulinpumpen. Bei den "Zuckerteufeln" haben sich die Pumpen, die per Schlauch mit einer Nadel in der Haut verbunden sind, durchgesetzt: "Dabei wird das Insulin kontinuierlich abgegeben; außerdem ist es besser, nur alle zwei Tage die Nadel wechseln zu müssen als viermal am Tag zu spritzen", erklärt Heidi Lutz. Zudem sei mit der Pumpe immer eine Grundversorgung garantiert, die je nach Bedarf korrigiert werden kann.

    Den Blutzucker messen die Kinder oder ihre Eltern acht- bis zehnmal am Tag. Dazu wird ein Tropfen Blut auf einen Messstreifen gegeben, der in ein Blutzuckermessgerät kommt. Der normale Wert beläuft sich zwischen 80 und 120. Er muss regelmäßig gemessen und im Zuckerheft dokumentiert werden.

    Die Eltern bezeichnen sich selbst als "Lebensmittel-Experten", müssen sie doch genau wissen, wie viele Broteinheiten in welchem Essen stecken. Die Eltern berichten übereinstimmend, dass oftmals nicht das Essen-dürfen, sondern das Essen-müssen ein Problem darstellt. Dabei müssen sich die Betroffenen an einen strengen Ernährungsplan halten.

    Da jederzeit die Gefahr einer Unterzuckerung besteht, findet sich praktisch in fast allen Hosen-, Jacken- und Handtaschen von Eltern und Kind eine "Notfallreserve": Traubenzucker, Gummibärchen und 100-prozentiger Fruchtsaft stehen dabei besonders hoch im Kurs. Meist würden die Kinder selbst merken, wenn sie unterzuckert sind: "Sie fühlen sich dann schwach", so eine Mutter. Das größte Problem sei nachts oder wenn die Kinder allein unterwegs sind. Insgesamt sind die Eltern weitaus angespannter als die Kinder: "Die kommen irgendwann damit klar, aber als Vater oder Mutter hast du kaum eine ruhige Minute", so Lutz.

    Bei den "Zuckerteufeln" ist immer nur ein Kind pro Familie von der Diabetes Typ 1 betroffen. Auch das verursacht Ängste: "Im Hinterkopf ist immer die Angst, dass auch eines meiner anderen Kinder erkranken könnte", berichtet eine Mutter.

    Häufig reagieren Eltern ähnlich auf die Diagnose Diabetes Typ 1. Gedanken wie "Warum mein Kind?" oder "Jetzt kommen Probleme auf uns zu", gehen ihnen durch den Kopf. "Der größte Schock war, jetzt ein behindertes Kind zu haben, als man im Krankenhaus zu uns sagte: Wir helfen Ihnen beim Ausfüllen des Schwerbehinderten-Ausweises", erzählt eine Mutter.

    Die "Zuckerteufel-Gruppe" helfe, diese Ängste und Probleme in den Griff zu bekommen und ist landkreisweit offen. Die betroffenen Kinder sollten zwischen fünf und zehn Jahre alt sein. "Jedes Kind mehr bedeutet einen größeren Erfahrungsaustausch", so Lutz.

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    Ansprechpartner: Heidi Lutz ("Zuckerteufel"), Tel. (0 93 42) 2 14 04, und diabetologische Schwerpunktpraxis Dres. Zieher und Albert, Tel.  (0 93 91) 9 81 70.

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