Sein Haus sei leicht zu finden, hatte Norbert Teubert am Telefon erklärt. Neudorfer Straße 17, gleich hinter der alten Schule, dem einzigen Gebäude in Neubessingen, das eine Turmuhr hat. „Wenn Sie zu uns kommen, können Sie auch gleich mal sehen, in was für einem schlechten Zustand die Ortsdurchfahrt ist“, sagte Teubert noch und sprach damit gleich das Thema an, das die Menschen in dem 140-Einwohner-Dorf, dem kleinsten Stadtteil von Arnstein, derzeit am meisten nervt.
Er hatte recht: Besonders stoßdämpferfreundlich ist der Straßenbelag nicht. Es ist 16.30 Uhr, ein Dienstag, knapp eine Woche nach dem Telefonat. Teubert ist der erste Ortssprecher, den die Lokalredaktion der Main-Post für ihre neue Serie besucht. Der 63-Jährige bekommt genau wie allen anderen Ortssprecher im Raum Karlstadt die Gelegenheit, über die wichtigsten Anliegen der Bürger im Ort zu reden. Unendlich viel Zeit hat Teubert für das Interview aber nicht, denn er hat noch etwas vor: Er möchte wieder auf den Friedhof, um weiter bei den laufenden Sanierungsarbeiten zu helfen. Etwa 200 Stunden hat er dort schon mit angepackt.
Frage: Sie scheinen einen guten Draht zur Bürgermeisterin zu haben?
Norbert Teubert: (lacht) Wie kommen Sie darauf?
Weil Sie nach Ihrer Wiederwahl im vergangenen Jahr gesagt haben, dass Sie sich für die Sanierung des Friedhofs einsetzen wollten. Nun wird dort fleißig gearbeitet.
Teubert: Wir haben insgesamt ein sehr gutes Arbeitsverhältnis im Stadtrat. Wenn es nach uns Neubessingern gegangen wäre, hätten wir mit der Sanierung des Friedhofs schon einige Jahre früher begonnen. Als dann endlich die Zusage von Seiten der Stadt kam, wollten wir eigentlich schon im Herbst loslegen. Allerdings hat uns da die Witterung einen Strich durch die Rechnung gemacht, sodass wir erst im Frühjahr anfangen konnten.
Und jetzt geht es gut voran?
Teubert: Ja. Wenn alles nach Plan läuft, werden wir im Juni fertig. Beachtlich finde ich, dass die Neubessinger Bürger schon über 500 Stunden an Eigenleistung erbracht haben. Ohne die Unterstützung des städtischen Bauhofs wären wir aber natürlich nicht so weit. Sehr gefreut haben wir uns, dass entgegen der ursprünglichen Planung doch neue Pflastersteine auf dem Friedhof verlegt wurden.
Sie sind nun 14 Jahre Ortssprecher. Muss man als Vertreter des kleinsten Arnsteiner Stadtteils lauter rufen als andere, um sich Gehör zu verschaffen?
Teubert: Auf jeden Fall – und selbst das ist manchmal noch zu wenig. Wir sind übrigens nicht nur der kleinste Ort, sondern mit zwölf Kilometern auch am weitesten vom Stadtkern entfernt. In der Vergangenheit habe ich mich manchmal an den Spruch erinnert gefühlt: „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Wenn man immer wieder ruft, aber nicht gehört wird, kann das schon ein wenig ernüchternd sein.
Ein Ortssprecher soll nicht nur selbst sprechen – genau so wichtig ist es, dass man mit ihm spricht. Wie oft wenden sich Bürger an Sie?
Teubert: In so einem kleinen Ort sieht man sich ja fast täglich. Da werde ich natürlich immer wieder angesprochen. Bei der letzten Feuerwehr-Versammlung zum Beispiel haben mich einige Kameraden gebeten, bei der Stadt darauf zu drängen, dass bei den Plänen für den Neubau einer Kläranlage endlich einmal etwas vorangeht.
Warum ist das so wichtig?
Teubert: Das Thema Kläranlage beschäftigt uns schon seit Mitte der 1990er Jahre. Bürgermeister Roland Metz hatte damals versprochen, dass sich bald etwas tun würde. Wir wurden immer und immer wieder vertröstet, geschehen ist jedoch nichts. 2002 hat dann das Planungsbüro ProTerra den Auftrag bekommen, zu untersuchen, was für Neubessingen die bessere Alternative ist: ein Anschluss nach Müdesheim oder eine eigene Kläranlage. Die günstigere Lösung wäre der Bau einer so genannten Kompaktkläranlage unterhalb von Neubessingen gewesen. Als Kosten wurde damals rund eine Million Euro genannt, einschließlich des Ortsnetzes. Daraufhin ist leider wieder nichts passiert – bis heute. Mittlerweile werden die Kosten für eine solche Kläranlage aufgrund allgemeiner Preissteigerungen und höherer gesetzlicher Auflagen auf 1,8 Millionen Euro geschätzt.
Das übliche Prozedere ist, dass die Stadt bei einer solchen Investition in Vorleistung geht und die Kosten dann prozentual auf die Bürger umlegt. Selbst wenn es Fördergelder gibt, wäre eine eigene Kläranlage sehr teuer. Wie wollen sich die Neubessinger das leisten?
Teubert: Das ist der springende Punkt. Wir brauchen eine Kläranlage, aber sie muss bezahlbar bleiben.
Wie stellt sich die Situation mit dem Abwasser in Neubessingen denn gegenwärtig dar?
Teubert: Ein zeitgemäßes Kanalnetz, an das alle Haushalte angeschlossen sind, gibt es nicht. Die meisten Grundstücke im Altort haben noch eine Güllegrube. Die neueren Häuser sind in der Regel mit einer Drei-Kammer-Kläranlage ausgestattet. Das darin gereinigte Wasser fließt über einen Mischwasserkanal ab, der vor mehreren Jahrzehnten gebaut wurde. Die Grobteile, die sich in einer Anlage ansammeln, werden regelmäßig von einer Kanalfirma abtransportiert. Aber eine Dauerlösung kann das wirklich nicht sein.
Der Bau einer Kläranlage ergibt nur dann einen Sinn, wenn auch ein dazugehöriges Abwasserleitungsnetz entsteht. Dazu müsste die sanierungsbedürftige Ortsdurchfahrt aufgebaggert werden. Wäre es nicht strategisch und finanziell sinnvoll, die Straße dabei gleich zu erneuern?
Teubert: Sicher. Es ist jedoch nicht ganz so einfach. Die Kläranlage und das Leitungsnetz sind Sache der Stadt, die Sanierung der Ortsdurchfahrt müsste vom Landkreis bezahlt werden. So weit ich weiß, sind die Kosten für die Straße in der Haushaltsplanung des Landkreises berücksichtigt. Nun muss der Kreis Druck auf die Stadt machen, das Kanalnetz in Angriff zu nehmen. Wir können doch nicht erst die Straße sanieren und dann wieder aufreißen. Das wäre ein Schildbürgerstreich erster Güte.
Warum ist die Straße denn in einem so erbärmlichen Zustand?
Teubert: Weil seit Jahrzehnten nichts mehr daran gemacht worden ist. Einen entscheidenden Anteil haben die Panzer, die früher vom Lager Hammelburg aus durch Neubessingen gerollt sind. Die Straße hat Schlaglöcher und Bodenwellen, die Bordsteinkanten sind ramponiert – ich glaube, es gibt selbst im hintersten Sibirien keine Orte mit einem solchen Straßenbild. Neubessingen versteht sich als Eingangstor zum Landkreis Main-Spessart. Dass der Kreis in all den Jahren so wenig dafür übrig hatte, ist ein Trauerspiel.
Bleiben wir beim Thema Verkehr: Bei der Bürgerversammlung wurde beklagt, dass viele Autos, die aus Richtung Wülfershausen kommen, viel zu schnell nach Neubessingen hineinfahren. Die Stadt hat daraufhin eine Geschwindigkeitsmessanlage aufgestellt. Hat das etwas bewirkt?
Teubert: Ja, aber nur vorübergehend. Die Anlage stand ja nur ein paar Wochen am Ortseingang. Inzwischen fahren viele dort wieder genauso schnell wie früher. Wenn sich wirklich etwas ändern soll, müsste eine solche Anlage dauerhaft installiert werden – oder die Polizei müsste öfter mal blitzen.
Vielen Dörfern laufen die Einwohner davon. Ist das auch ein Problem in Neubessingen?
Teubert: Ganz massiv. Vor 30 Jahren hatten wir noch etwa 180 Einwohner, jetzt sind es nur noch 140. Die Landflucht ist natürlich ein generelles Problem – aber solch spezielle Umstände wie das fehlende Abwassernetz animieren junge Menschen nicht gerade zum Bleiben. Dabei würde es sich für die Stadt doch lohnen, in Neubessingen zu investieren. Sie hat hier noch jede Menge eigenes Baugelände, anders als in anderen Ortsteilen.
Warum sollte sich jemand für Neubessingen als Wohnort entscheiden?
Teubert: In so einem kleinen Ort herrscht ein guter Zusammenhalt. Zugezogene werden bei uns sehr schnell in der Ortsgemeinschaft integriert. Die Lage ist herrlich, wir haben es sehr ruhig, sind von Wald umgeben und es gibt viele schöne Wanderwege.
Neubessingen
Neubessingen gehört zu den jungen Dörfern Frankens. Am 24. September 1694 übergab Fürstbischof Johann Gottfried von Guttenberg einer Gruppe von rodungswilligen Bauern den hochstiftischen Forst bei Altbessingen zur Anlage eines neuen Dorfes. Das Datum ist auf einem Bildstock festgehalten, der noch heute an der Straße in Richtung Wülfershausen zu finden ist. 17 Unternehmungslustige gründeten das Straßendorf, das seinen Charakter bis heute beibehalten hat.