Anders war es von Markus Grimm nicht zu erwarten gewesen: Der Schauspieler holte in seiner szenischen Darstellung „Balthasar Neumann – Architekt der Ewigkeit“ am Freitagabend im Rathaussaal Würzburgs berühmtesten Barockbaumeister und seine Zeitgenossen derart begreifbar in die Gegenwart, dass sie für die rund 70 Gäste des veranstaltenden Kunst- und Kulturvereins Lohr zum fesselnden Erlebnis gediehen. Das ist „der Grimm“, so sein Pseudonym, der Preisgekrönte.
Er lebt seine Charaktere, lotet ihre Emotionen aus, spricht ihre Sprache und ihre Dialekte. Historische Handlungsstränge eint er zum Ganzen. Requisiten und Kostüme braucht der 45-jährige promovierte Theologe keine. Seine „Werkzeuge“ sind seine Sprache und der Ausdruck seines Körpers. Das Balthasar-Neumann-Stück basiert auf Grimms gleichnamigem Roman (Echter-Verlag).
Zusammen mit dem in Sommerhausen lebenden Ideengeber und Produzenten Herbert Löw entwickelte der Wahl-Würzburger das Projekt (wir berichteten). Bis auf den Würzburger Wirt Johann Baptist Retz sind alle Charaktere real. Am Abend des 19. August 1753 betritt ein Fremder namens Rohrer dessen Weinstube. Er sei auf der Suche nach Neumann. Dieser sei ihm sein ganzes Leben lang schon über den Weg gelaufen, lässt Grimm ihn sagen. Über der Stadt liegt die Nacht, in den Häusern der Armen sind die Talglichter erloschen. Balthasar Neumann ist tot.
Im Zwiegespräch begeben Rohrer und Retz sich an Neumanns Orte und Baudenkmäler an Main und Rhein. Der Wein in den Gläsern der Männer malt ein Oval. Sie beginnen zu begreifen, wer der einstige Glockengießer aus Böhmen war und worin sein Genie bestand.
Grimm lässt seine Zuhörer in Neumanns Wohnung „Hof Ober-Frankfurt“ in der Franziskanergasse 2 treten und von der Aussichtsplattform „Belvedere“ (im Volksmund Neumannskanzel genannt) auf die Stadt blicken. 1719 erteilt Fürstbischof Philipp Franz Graf von Schönborn Neumann den Auftrag, eine Residenz nach dem Muster des Versailler Schlosses zu errichten. Retz erinnert sich, der Baumeister habe erwidert, er sei mit Kopf, Herz und Hand dabei, doch könnte er zu ungewöhnlicher Baulösung kommen. Während seiner Studienreise nach Paris trifft Neumann auf Robert de Cotte, den premier architecte des französischen Königs.
Beim Anblick der Residenz-Entwürfe ruft dieser: „C'est inacceptable!“ Der Pariser Stararchitekt Germain Boffrand teilt die Meinung seines Kollegen nicht. Neumann selbst sagt, er habe den Raum der Residenz mit seinem Kopf betreten; in ihm sei eine wunderbare Stille. Unter Christoph Franz von Hutten wird der Bau eingestellt. Balthasar Neumann sei von der Stadtbaukommission entbunden worden, erzählt Retz und Rohrer lächelt.
Hatte der Meister also sein wichtigstes Bauvorhaben verloren? Ab 1729 beginnt unter Friedrich Carl von Schönborn die bedeutendste Schaffensperiode des Architekten. Der Fürstbischof ernennt ihn zum Oberbaudirektor für das gesamte militärische, kirchliche und zivile Bauwesen der beiden Hochstifte Würzburg und Bamberg. Neumann, der Visionär, will das Deckenoval der Würzburger Residenz ohne Stützen bis zu den Außenwänden spannen, im asymmetrischen Treppenaufgang sieht er eine dreiläufige Treppe vor. Die Stadt steht in ihrer Blüte.
Rohrer fasst unter sein Wams. Er sei zu spät gekommen, sagt er. Er habe Neumann seine Pfeife zurückgeben wollen. Sein Vater habe sie vor 30 Jahren gestohlen, als er an dem Bau gescheitert sei, den Neumann in einem Geniestreich veredelt habe: das Schloss zu Bruchsal. Die Türme des Würzburger Neumünsters recken sich dem Himmel entgegen, als Balthasar Neumann an diesem Tag im Alter von 66 Jahren stirbt. Die von ihm begonnene Abteikirche Neresheim und die Basilika Vierzehnheiligen bei Bad Staffelstein werden von anderen fertig gestellt.