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LOHR: Markus Grimm schlüpfte in die Haut von Tilman Riemenschneider

LOHR

Markus Grimm schlüpfte in die Haut von Tilman Riemenschneider

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    (ta) Weißes Hemd, schwarze Hose, schwarze Kappe, tiefschwarzes, fast schulterlanges Haar. Der Meister ist da. Tilman Riemenschneider, der Bildhauer und Bildschnitzer. Man kann den Geruch in seiner Werkstatt schier aufsaugen. Es ist Zeitenwende, Wendezeit. So titelt der biografische Monolog, der sich auf der Bühne im Alten Rathaus mühelos das Gehör von 50 Menschen verschafft.

    Man schreibt das Jahr 1493. Da hinein lässt Schauspieler Markus Grimm seine Gäste treten, um sie dann zurückzuführen in die Kinder- und Jugendtage des späteren Großmeisters, der sich erzürnt hatte an der Bezeichnung „Künstler“ und der doch die spätgotische Schnitzkunst zur Vollendung führte. Grimm lässt den jungen Tilman zurückblicken auf den Tag, an dem ihn der Wunsch, Steinmetz zu werden, beseelt hat. 13 war er, mit dem Vater in den Feldern. Beim Bildstock der Heiligen Pieta wusste er es. Noch lässt der „Regisseur“ seinen Protagonisten in jugendlicher Sprache sprechen. Die Zwiegespräche und Dispute, die Riemenschneider mit ihn umgebenden Charakteren führt, sind nirgendwo dokumentiert, auch nicht Riemenschneiders Monologe. Sie alle fußen auf Grimms Fantasie, seiner Stimmung.

    Requisiten braucht der Schauspieler keine, auch kein Bühnenbild. „Ich male mir aus, wie es hätte sein können“, sagt der 41-Jährige. Leidenschaftlich arbeitet er die Parallelen der Epoche Riemenschneider zur Jetztzeit heraus, ihre gesellschaftlichen Verwerfungen, extreme Gegensätze zwischen Reich und Arm, den Umsturz der Werte. Grimms dreigeteilter Monolog zeichnet Riemenschneider von seinen ersten Gehversuchen als Lehrling und feinsinnigem Sucher nach Perfektion beginnend über den Zweifler bis hin zu einem 70-jährigen Zerrissenen, den die Jahre, die Trauer um drei Frauen, die Verleumdung wegen Hochverrats gebeugt haben.

    Auf dem Zenit seines Erfolgs ergreift Riemenschneider, Bürgermeister der Stadt Würzburg, Partei für die revoltierenden Bauern. Er bezahlt dies mit Haft und Folter in der Festung. Der Anblick von abgehakten Gliedmaßen und rollenden Köpfen brennt sich in ihm ein. Künstlerischen Ruhm bringen Riemenschneider unter anderem zwei Figuren für die Würzburger Marienkapelle ein: Adam und Eva. Agil ist er in dieser Schaffensphase, erfüllt von Kraft und der Liebe zu Stein und Holz.

    Doch auf einmal sagt er: „Ich bin so unruhig.“ Indirekt lehnt er sich an das Augustinus-Zitat an. 1501 hat Riemenschneider „zig Aufträge auf meiner Halde liegen“, darunter den Heiligblut-Altar der Jakobskirche zu Rothenburg ob der Tauber, die Szene vom letzten Abendmahl. In seinem gezeichneten Entwurf platziert Riemenschneider Jesus in der Bildmitte; von dieser Position aus reicht er Judas das Brot. Der Bildschnitzer wird diesen seinen ersten Entwurf verwerfen und auf Anregung seiner Frau Anna ein revolutionäres Werk schaffen. In seinem Kopf beginne sich die Passionsgeschichte zu verdichten, sagt der Meister und Anna sagt: „Was wäre Jesus ohne Judas?“ Dieser sei das Urbild des Sünders, er müsse im Zentrum des Altarbildes sein.

    30 Jahre später. „Ich bin müde geworden.“ Die Stimme des Meisters wirkt gebrochen, sein Gang ist gebeugt, die Seele geschunden. Grimm hat den Spagat von der Jugend zum Altersgebrechen meisterlich vollzogen. Ein letztes Mal lässt er Riemenschneider eine Vespergruppe in Stein bilden; da hinein bildet ein alter Mann seinen stummen Schmerz. Am 7. Juli 1531 stirbt Riemenschneider in Würzburg. Von 1483 an war er hier Ratsmitglied und ab 1520 Bürgermeister. 300 Jahre bleibt er fast vergessen. Dann ist Wendezeit.

    Veranstalter des Rezitationsabends war der Kunst- und Kulturverein Lohr und Umgebung.

    Zur Person

    Dr. Markus Grimm Dr. Markus Grimm, 41, studierte Theologie (Priesterseminar) in Freiburg. Danach arbeitete der promovierte Alttestamentler als Uni-Dozent. Er lebt in Würzburg und ist seit zehn Jahren Autor und Schauspieler. Eine Schauspielausbildung hat er nie gemacht. Und dennoch steht er auf der Bühne, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Seine Texte schreibt er selbst, seine Charaktere entwickelt er aus seinem Gefühl heraus. Sie schärft er mit seiner Vorstellungskraft, verleiht ihnen Kontur und Persönlichkeit. Er spielt sie nicht, er ist sie. Über seine Figuren sagt der Künstler: „Man muss die Figuren, die man spielt, lieben.“ Auch die Widerwärtigen? „Klar“, lacht er. Die Schauspielerei ist seinen Worten zufolge „eine Methode, bestimmte Anteile von sich Gestalt werden zu lassen“.

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