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KARLSTADT: Mit Anschub ins Arbeitsleben

KARLSTADT

Mit Anschub ins Arbeitsleben

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    Karriere ohne Gesetz: Birgül Bastürk-Esen aus Retzstadt.
    Karriere ohne Gesetz: Birgül Bastürk-Esen aus Retzstadt.

    Am 29. September 2011 wurde es von Bundestag beschlossen, jetzt muss nur noch der Bundesrat zustimmen: Das sogenannte Anerkennungsgesetz. Es soll helfen, ausländische Berufsausbildungen besser und schneller anzuerkennen. Der Hintergrund: In Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Das birgt Potenzial. Doch wie groß ist der Bedarf vor Ort wirklich? Und wie ist es zugewanderten Fachkräften bisher ergangen? Vier Menschen aus der Region berichten.

    Gurcan Taskara ist Hausfrau und arbeitet als Putzfrau. Dabei ist die 35-jährige Türkin aus Karlstadt eigentlich Buchhalterin. In der Türkei hat sie vier bis fünf Jahre in ihrem Beruf gearbeitet, dann kam die Hochzeit und die Kinder. „Ich habe sogar bei einer deutsch-türkischen Firma gearbeitet“, erzählt sie. An den Wiedereinstig in Deutschland hat sie sich bisher nicht getraut.

    Karriere nicht an erster Stelle

    „Ich habe 1995 aufgehört und Angst, dass meine Computerkenntnisse veraltet sind“, sagt sie. Außerdem stand die Karriere bei Ankunft in Deutschland nicht an erster Stelle. Jetzt, nach drei Jahren Sprachkurs und den nun älteren Kinder ist sie wieder auf der Suche nach einem Job, bisher noch ohne Erfolg. „Ich habe Bedenken, dass meine Sprachkenntnisse nicht reichen. Außerdem fehlt mir jemand, der mich lenkt, mir sagt, wo es lang geht“, erklärt sie.

    Anderthalb Jahre hat Haydar Ali Balli als Journalist in der Türkei gearbeitet, dann kam er nach Deutschland. Die Arbeit für türkische Medien gestaltete sich schwierig. „Die Zeitung Hürriyet rekrutiert ihre Mitarbeiter ausschließlich aus der Türkei“, erzählt Balli.

    Haydar Ali Balli zeigte sich flexibel und eröffnete in Veitshöchheim einen Döner-Laden. Doch er musste wieder verkaufen. Nun ist er seit 19 Jahren in Deutschland, mehr oder weniger erfolglos und dementsprechend unzufrieden. „Mich stört auch, dass die Leute immer noch Vorurteile bei Menschen mit schwarzen Haaren und dunklen Augenbrauen haben“, sagt der Familienvater. Doch all das hindert ihn nicht, Pläne zu schmieden: Als Nächstes möchte er sein Deutsch verbessern und mehr Sprachen lernen.

    Fachkräfte sprachlich schulen

    Auch wenn ihm das neue Gesetz nicht mehr nutzt: Er glaubt, dass sowohl Deutschland als auch hier lebende Ausländer von ihm profitieren werden. Er kennt sowohl einen Physiker, der einen Döner-Laden betreibt, als auch einen Friseur, der aus der Not heraus im Metallfachhandel gelandet ist. Problematisch sieht er die Sprache. „Die Leute haben eine gute Bildung, aber sie können kein Deutsch“, sagt er. Angeworbene Fachkräfte in dieser Hinsicht zu schulen, sollte seiner Meinung nach Aufgabe von Deutschland sein.

    Acht Jahre lang arbeitete Reyhan Ercen als Schneiderin in der Türkei, seit fünf Jahren ist sie in Karlstadt – ohne feste Arbeit. „Ich habe damals auch in einer volkshochschulähnlichen Einrichtung unterrichtet“, erzählt sie. Dann wurde sie von ihrem Mann nach Deutschland geholt. Auch hier näht sie: In erster Linie für die Familie, Bekannte, in seltenen Fällen für Fremde. „Ich habe schon in den örtlichen Modehäusern angefragt, ob sie Ersatzschneider brauchen“, sagt sie. „Wenn jemand ausfällt“, bekam sie zur Antwort.

    Einen richtigen Versuch, sich mit Papieren und Zeugnis zu bewerben hat sie aber noch nicht gestartet. „Als ich damals kam, wurde selbst der Führerschein nicht anerkannt“, erzählt sie von ihren ersten, resignierenden Erfahrungen. Also ließ sie für sie noch wertvoller erscheinende Papiere wie Zeugnisse und Berufsabschlüsse lieber in der Türkei.

    Probezeit endete nach drei Tagen

    „Ich bin glücklich mit meiner Position, würde aber gerne noch mehr erreichen“, sagt Birgül Bastürk-Esen. Die 43-jährige Türkin aus Retzstadt ist Produktionsleiterin bei Uhlmann & Zacher, einem Unternehmen für Elektronische Schließsysteme in Waldbüttelbrunn. Sie ist ein Beispiel dafür, dass man auch ohne neues Gesetz bisher in Deutschland Karriere machen konnte. 2006 fing sie als Montagegehilfin in Waldbüttelbrunn an. „Ich bin durch das Arbeitsamt zu der Firma gekommen“, erzählt sie. Ihr Hintergrund: Technisches Verständnis und Fingerspitzengefühl. Ihre Dokumente: Ihr Abiturzeugnis aus der Türkei. Ihre Probezeit wurde bereits nach drei Tagen aufgehoben, ein Jahr später wurde Birgül Bastürk-Esen Vorarbeiterin.

    „Ich habe allein unter Männern in der Montage gearbeitet und Arbeitsgänge koordiniert und überwacht“, erzählt sie. Dabei bekam sie so manches Vorurteil zu hören. „Wir sind Deutsche und arbeiten hier schon länger, warum ist sie jetzt Vorarbeiterin?“, hieß es. Zudem ist Bastürk-Esen überzeugte Kopftuchträgerin. „Ich habe das im Bewerbungsgespräch geradeheraus angesprochen und gesagt: Ich trage Kopftuch und nehme es auch nicht ab“, erzählt sie. Damit war die Sache geklärt. Genauso wie sie bald in der Mannschaft akzeptiert war. „Ich konnte schon immer gut mit Menschen umgehen, sie managen, war früher Klassensprecherin“, erzählt sie.

    Motto: Offen und direkt sein

    Vor anderthalb Jahren nun ging es noch eine Etage höher und sie wurde Produktionsleiterin. Dazu hat sie zweimal pro Woche je drei Stunden eine Weiterbildung zur Qualitätsbeauftragen bei der IHK gemacht. Nun überwacht sie Termine, kontrolliert die Qualität, überwacht die Mitarbeiter und ist bei Einstellungen mitbeteiligt. „Ich habe seitdem auch ausländische Männer und Frauen ins Team geholt. Mein Motto: Man muss offen und direkt sein“, beschreibt sie. Und Glück mit dem Arbeitgeber haben: Ihre Chefs Martin Uhlmann und Marc Zacher hätten immer hinter ihr gestanden und sie unterstützt.

    Was sie arbeitswilligen Ausländern, die sich mit dem Einstieg schwer tun, rät? „Es liegt immer an einem selbst. Die Dinge, die ich erreicht habe, wollte ich und habe sie mir geholt“, sagt sie. Voraussetzung dafür sei allerdings, deutsch zu sprechen. „Das muss nicht perfekt sein. Ich habe zum Beispiel immer mitgeredet und mitgelacht, wenn ich einen Fehler gemacht habe“, erzählt Bastürk-Esen. Um das Hemmnis Sprache zu umgehen, sei es ihrer Meinung nach sinnvoll, bereits in der Türkei Sprachkurse zu machen.

    Dem neuen Anerkennungsgesetz steht sie sehr positiv entgegen: Schließlich erhofft sie sich dadurch auch einen eigenen Nutzen. Denn Birgül Bastürk-Esen hat schon wieder Pläne: Sie möchte ein Betriebswirtschaftsstudium beginnen. Das hängt davon ab, ob ihr türkisches Abiturzeugnis dazu anerkannt wird.

    Das Anerkennungsgesetz

    Bisher haben nur wenige Personen, die mit beruflichen Qualifikationen nach Deutschland kommen, die Möglichkeit, diese bewerten zu lassen. Das Bundesgesetz soll die Ansprüche auf Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen ausweiten und möglichst einheitliche und transparente Verfahren schaffen.

    Der Antragsteller muss seinen Lebenslauf, einen Ausbildungsnachweis und Arbeitszeugnisse vorlegen, falls notwendig inklusive Übersetzung. Die Stelle hat drei Monate Zeit, um zu prüfen, ob sie die Ausbildung anerkennt. Mehr Informationen im Internet unter www.bmbf.de oder www.anabin.de.

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