Mit Ölen à la "Adventszauber", wie man sie auf Weihnachtsmärkten billig erhält, haben die ätherischen Öle von Beate Reinfurt nichts zu tun. Die Fachkrankenschwester, die auf der beschützten Frauenstation in Haus 5 des Lohrer Bezirkskrankenhauses tätig ist, setzt hundertprozentig naturreine Aromaöle ein. Die machen garantiert kein Kopfweh. Im Gegenteil: "Ich denke, dass wir in den zwei Jahren, seitdem wir mit Aromapflege arbeiten, einiges an Medikamenten einsparen konnten."
Dass ein paar Tropfen Pfefferminze, Orange und Rosmarin Psychopharmaka reduzieren können, mag zunächst erstaunen. Doch wer sich ein bisschen mit dem Thema befasst, versteht, aus welchem Grund Aromatherapie so positive Effekte zeigen kann. Beate Reinfurt hat sich in Schulungen intensiv mit der komplementären Pflegemethode auseinandergesetzt.
Blut-Hirn-Schranke überwinden
Der menschliche Riechsinn, sagt sie, ist etwas ganz Besonderes, denn Riechnerven stellen eine direkte Verbindung zum Gehirn dar. Die winzigen Moleküle ätherischer Öle schaffen deshalb, was vielen Stoffen, die wir über den Mund aufnehmen, nicht gelingt: Sie können die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
Auf der geschützten Frauenstation, wo 27 Patientinnen nach schweren Lebenskrisen therapiert werden, setzen Beate Reinfurt und ihre Kolleginnen die Düfte von belebenden und beruhigenden Ölen fast täglich ein.
Einmal in der Woche, meist am Dienstagabend, findet eine "Aromagruppe" statt. Ein Diffusor, der in der Mitte des Raums auf einem Tisch steht, verströmt angenehme Gerüche. Reinfurt liest mit ruhiger Stimme eine Geschichte vor. Neun Frauen nahmen beim letzten Mal teil. Alle erlebten die duftvolle Zusammenkunft vor dem Schlafengehen als wohltuend entspannend.
Duftherz als Geschenk
Doch nicht nur in der Gruppe wird aromatherapeutisch gepflegt. Inzwischen ist es auf der Station Usus, Patientinnen, die gerade eine schwierige Phase durchmachen, duftende Stoffherzchen zu schenken. "Ich habe schon zwei", berichtet Melanie M. (Name geändert).
Die 21-Jährige wird seit zwei Monaten wegen starker Depressionen im BKH behandelt. Als es ihr, gleich zu Beginn des Aufenthalts, sehr schlecht ging, erhielt sie ihr erstes Herz: "Das trage ich meist in meiner Jackentasche." Ein zweites Herz, beträufelt mit einem anderen Öl, liegt immer in ihrem Bett, wenn sie sich zur Ruhe begibt.
Schon mehr als 700 Herzen wurden inzwischen verschenkt. Möglich ist dies durch das persönliche Engagement von Beate Reinfurt. In ihrer Freizeit fertigt die Fachkrankenschwester die Herzen an. Im Augenblick hat sie fast noch eine ganze Tüte voll. Das sind nahezu hundert Stück.
Duftherzen gegen Ängste
Zwei Stunden braucht Reinfurt, um alle diese Herzen zuzuschneiden, sie mit Watte zu füllen und zusammenzunähen. Die Pflegekraft opfert gern ein wenig von ihrer Freizeit, da es für sie ein unheimlich befriedigendes Gefühl ist, zu erleben, wie gut das "Herzgeschenk" den von Ängsten, Verlusten oder Wahnvorstellungen geplagten Frauen tut.
Mehr als 30 Pflegekräfte des Bezirkskrankenhauses wurden inzwischen durch eine Expertin aus dem Nürnberger Raum in Aromapflege geschult. Wie die einzelnen Stationen die alternative Pflegemethode anwenden, bleibt den jeweiligen Teams überlassen. Patienten Öle über einen Diffusor riechen zu lassen, ist eine verbreitete Methode. Reinfurt: "Man kann aber auch Fußbäder machen."
"Anti-Zicken-Öl"
Auf der geschützten Station von Haus 5 wird vor allem ein Öl immer wieder gern eingesetzt: die Rosengeranie. "Das ist unser ‚Anti-Zicken-Öl'", lacht Reinfurt. Patientinnen, die gereizt sind und sich in diesem Moment selbst nicht recht ausstehen können, erhalten einige Tropfen auf ein Stoffherz geträufelt, an dem sie ein paar Minuten lang schnuppern.
Fast immer gelingt es, sie dadurch wieder runter zu bringen. Selbst bei Panikattacken hat Rosengeranie einen guten Effekt. Wobei das Öl auch von den Schwestern angewendet werden kann und angewendet wird. Es wirkt ausgleichend, harmonisierend und beruhigend - und tut ungemein gut bei großem Stress.