Sie passt. Die Mondsichelmadonna passt so richtig gut in die Lohrer Stadtpfarrkirche, meint der Pfarrer. Schon weil das Gemälde eine mainfränkische Arbeit ist. Und weil es aus einer Zeit stammt, in der das Gotteshaus sein heutiges Gepräge erhielt: Das Bild ist nur wenig jünger als der Taufstein aus dem Jahr 1488 und das große Kreuz im Altarraum. Laut externem Gutachter wurde es in den ersten zehn Jahren des 16. Jahrhunderts gemalt, ist demnach über 500 Jahre alt. Kurz vor dem Kirchweihfest am vergangenen Sonntag wurde es nun im südlichen Seitenschiff der spätgotischen Kirche aufgehängt.
Im Atelier des Restaurators entdeckt
Pfarrer Sven Johannsen strahlt mehr als das frisch restaurierte Gemälde. Mit ihm setzt er quasi „das Tüpfelchen auf das i“ nach der soeben abgeschlossenen Kirchenrenovierung. Dieser hat er es zu verdanken, dass er überhaupt auf das Bild aufmerksam wurde: Entdeckt hat er es nämlich in der Würzburger Werkstatt von Georg Pracher, jenem diplomierten Restaurator, der vor zehn Jahren damit begann, den „reichen Kirchenschatz“ des Lohrer Gotteshauses aufzunehmen und zu untersuchen.
Im Auftrag eines Kunstsammlers aus einer Kleinstadt an der Mosel habe er es restaurieren sollen, erläutert Pracher. Der „ältere Herr“ habe sich verkleinert, das hoch- und großformatige Bild nicht mehr bei sich aufhängen und sich nach mehr als 30 Jahren von ihm trennen wollen. Bei jedem Besuch im Atelier Prachers, mit jeder Firnisschicht, die der Restaurator abtrug, wuchs das Interesse des kunstsinnigen Priesters. Er aktivierte den 2012 für die Kirchenrenovierung gegründeten Förderverein Stadtpfarrei, der postwendend 18 000 Euro von 20 Spendern auftrieb. Um die Madonna zu erwerben, legte dieser noch 15 000 Euro aus Vereinsvermögen drauf.
Ländliche Arbeit, die sich gut einfügt
Ein mainfränkisches Werk sei es, erläutert Johannsen, „kein Grünewald“, eher eine „ländliche Arbeit“ eines unbekannten Künstlers. Es passe nicht nur in die Zeit, sondern auch „in die Struktur der Kirche, wo wir eher Handwerkerarbeiten und Werke lokaler Künstler haben“, schwärmt er. Zudem passe es thematisch gut zu dem modernen Werk des Lohrer Künstlers Roland Schaller, das nur wenige Meter entfernt hängt. Beide haben die „Offenbarung“ – auch Apokalypse genannt – zum Thema, zu finden im letzten Buch des Neuen Testaments, das dem Apostel Johannes zugeschrieben wird.
Das Bildnis der Mondsichelmadonna, auch Madonna im Strahlenkranz benannt, geht auf eine Vision des Johannes von einer kosmischen und von einem Drachen verfolgten schwangeren Frau zurück. Mit Sternen gekrönt, mit der Sonne bekleidet, steht sie auf einer Mondsichel und wird von einem Drachen verfolgt, der ihr Baby verschlingen will. Im letzten apokalyptischen Gefecht besiegt der Erzengel Michael schließlich den Drachen – eine Ankündigung der Endzeit. Die Interpretation ist: „Gott zerstört die Welt nicht, sondern schafft Gerechtigkeit“, so Johannsen. Weil die „himmlische Frau“ seit dem 14. Jahrhundert meist mit einem Kind in den Armen dargestellt wird, werde sie als Maria mit dem Jesuskind gedeutet.
Auf fünf Eichenbohlen gemalt
Kleinformatige Darstellungen, etwa für einen privaten Hausaltar, finde man häufiger, erläutert Pracher, solche großformatige hingegen „sehr selten“. Es misst 104x174 Zentimeter, ist gemalt auf fünf Eichenbohlen, rund 45 Millimeter stark, mit rückseitig einem Klötzchenparkett über den Fugen zur Stabilisierung. Pracher ist sich sicher: Das war einmal ein Altarflügel. Für welche Kirche, ist nicht bekannt.
Die Malerei sei zwar „nicht erster Qualität etwa aus Straßburg“, habe aber Charme, sagt er und erklärt: Für die mainfränkische Herkunft sprächen „die gewisse Einfachheit“, die Form der Haare, die Art, in der das Kind gehalten werde („ein bisschen holprig, aber nicht störend“) und der Faltenwurf des Gewands. Die Art der Strahlen und die relativ spitzen Zacken des Mondes schließlich deuten nach Prachers Einschätzung darauf hin, dass der Maler ein „gängiges Vorlageexemplar“ benutzt hat, das dem Geschmack der Zeit entsprach. Wandergesellen hätten oft Stiche als Vorlagen verwendet und mitgenommen, wenn sie unterwegs waren.
Feinstarbeit über Wochen hinweg
Gereinigt wird ein 500 Jahre altes Gemälde nicht einfach mit einem gewöhnlichen Putzschwamm und Spülmittel. Pracher war über Wochen hinweg damit beschäftigt, 160 Arbeitsstunden, schätzt er – „wenn's langt“. So wundert es nicht, dass die Restaurierung deutlich mehr als ein Viertel des Kaufpreises ausmacht.
Um lose Malschichten wieder an die Tafel zu kleben, benutzt der Restaurator einen Proteinleim aus der Schwimmblase des Störs, das er mit einem ganz feinen Pinsel mit Pumpbewegungen einbringt. Dann beseitigt er die Schmutzschicht, wofür er Watte mit einer Seifenlauge tränkt und damit ein Bambusstäbchen umwickelt, mit einem ganz feinen Schwamm nacharbeitet und einem weichen Tuch trocken tupft.
Schicht für Schicht
Jetzt geht es an den Firnis: Was zum Lösen der Schutzschicht taugt – ob Azeton oder einem Gemisch aus destilliertem Wasser, Ammoniak und Isopropylalkohol – wird am Rand des Gemäldes getestet, mit noch kleineren Wattewicklern gelöst. Das Licht einer UV-Lampe gibt Aufschluss über die Schichtdicke. So wird Quadratzentimeter für Quadratzentimeter bearbeitet, Schicht für Schicht abgetragen. Deren waren es laut Pracher in den fünf Jahrhunderten „mindestens vier“. Schließlich wird Dammarharz als neuer Firnis aufgetragen, auf dieser erst nötige Retuschen vorgenommen, bevor der Endfirnis hauchdünn aufgesprüht wird.
Bei dem ganzen Prozess gehe es darum, „dem Kunstwerk sein Alter zu lassen“, wie Pracher es ausdrückt. „Wenn es nach der Restaurierung wie neu aussieht, hat jemand etwas falsch gemacht.“