Im engeren Spessart wachsen rund ein Dutzend Orchideenarten. Die seltenste und am stärksten bedrohte ist die Herbst-Drehwurz. Es sind nur drei Stellen bekannt, an denen sie vorkommt: Bei Partenstein und Mechenhard (Landkreis Miltenberg) sprießt jeweils nur rund eine Hand voll der Pflanzen. Das mit Abstand größte Vorkommen gibt es auf einer Wiese unweit des Lohrer Stadtteils Rodenbach. Das dortige Vorkommen ist nun Ausgangspunkt eines Artenschutzprojekts, mit dem der Naturpark Spessart das Vorkommen der Herbst-Drehwurz in der Region sichern und möglichst wieder ausbauen will.
Das Zustandekommen des Projekts ist einem Zufall zu verdanken. Denn das als Samenspender für Nachzuchten dienende Vorkommen bei Rodenbach wurde erst 2021 entdeckt. Ein Nebenerwerbs-Schäfer wunderte sich damals über die auf seiner Wiese wachsenden Pflanzen. Er suchte Rat bei den Grünland-Experten des Naturparks. Die waren ob des Funds mit damals noch rund 1000 Exemplaren bass erstaunt.
Schwund durch Wildschweine
Heute wachsen auf der Wiese bei Rodenbach allerdings nur noch rund 700 Pflanzen der Herbst-Drehwurz. Wildschweine habe einen Teil der Wiese umgewühlt, um an die für sie schmackhaften Wurzelknollen der Orchideen zu gelangen. In kürzester Zeit waren rund 300 Pflanzen dahin.
Nach Aussage von Christian Salomon, Gebietsbetreuer für Grünland beim Naturpark, war die massive Wühltätigkeit von Wildschweinen bereits dafür mitverantwortlich, dass vor rund zehn Jahren das einst mehrere Hundert Exemplare zählende Vorkommen der Herbst-Drehwurz bei Partenstein erlosch.

Vor allem jedoch sind es Veränderungen in der landwirtschaftlichen Nutzung von Wiesen, die der seltenen Orchideenart zu schaffen machen. Die Herbst-Drehwurz braucht laut Salomon "raspelkurze Wiesen", damit sie wachsen kann. Dazu müssten die Flächen idealerweise mehrfach im Jahr beweidet werden – auch im Winterhalbjahr. Eine Nutzungsform, die seit Jahrzehnten auf dem Rückzug ist – mit entsprechenden Folgen für die Herbst-Drehwurz.
Der Naturpark will die Entwicklung aufhalten und wenn möglich umkehren. Einen Partner hat er dabei im Botanischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen gefunden. Dieses befasst sich in einem Projekt mit der Nachzucht und dem Auspflanzen von heimischen Orchideenarten.
Vor zwei Jahren schickte Naturpark-Mitarbeiter Christian Salomon bei Rodenbach geerntete Samen der Herbst-Drehwurz nach Gießen. Um die Samen der geschützten Art überhaupt ernten zu dürfen, war eine artenschutzrechtliche Erlaubnis der Behörden erforderlich.
Komplizierte Nachzucht
Wie Christina Müller vom Botanischen Institut der Uni Gießen schildert, ist die Nachzucht der Herbst-Drehwurz eine komplizierte Sache. Die Samenkapseln müssen zunächst sterilisiert und zum Teil gebleicht werden. Über zwei Jahre hinweg werden danach die heranwachsenden Orchideen mehrfach umgepflanzt, von Gläschen zu Gläschen, stets in steriler Umgebung.
Vor wenigen Tagen war der Moment der Auspflanzung gekommen. Sieben Mitarbeiter des Gießener Instituts krochen am Morgen bei Rodenbach über die Wiese. Mit einer Heckenschere brachte Salomon zunächst den Bewuchs in "raspelkurzen" Zustand. Danach setzten die Botaniker die winzigen Pflänzchen in zuvor mit einer kleinen Hacke angelegte Löcher.
Standorte werden nicht genannt
Von Rodenbach ging es weiter in die Partensteiner Flur, von dort weiter nach Mechenhard. Insgesamt rund 700 Pflänzchen waren am Abend an den drei Standorten ausgebracht. Wo genau, das soll nicht verraten werden, "um Orchideentourismus zu vermeiden", sagt Salomon.
Ob die Pflanzaktion den erwünschten Erfolg hat, muss sich noch zeigen. Manche der betreffenden Wiesenstücke wurden zum Schutz vor Wildschweinen kleinflächig eingezäunt. Doch entscheidend, so sagt Salomon, wird die kontinuierliche Beweidung beziehungsweise Pflege der Flächen sein. Auf der Wiese bei Rodenbach lässt der Eigentümer weiter seine Schafe grasen. Um die Fläche bei Partenstein kümmere sich der dortige Schäfer, sagt Salomon, um die Wiese bei Mechenhard der ortsansässige Naturschutzverein zusammen mit der Gemeinde und dem Landschaftspflegeverband.
Die Erfolgskontrolle wird in den nächsten Jahren noch recht mühsam. Denn die Pflänzchen der Herbst-Drehwurz sind klein. Ihre Rosette ist im Gras kaum zu finden. Zur ersten Blüte wird die Orchidee voraussichtlich in vier Jahren ansetzen – sofern nicht vorher die Wildschweine kommen.
Dass sich all der Aufwand für den Erhalt der Herbst-Drehwurz im Spessart lohnt, steht für Salomon außer Frage. "Jede Art zählt", lautet sein Credo. Häufig seien bestimmte Pflanzen mit Insekten oder Pilzen verknüpft, jede Art habe ihre Funktion im Ökosystem. Schon jetzt seien diese Ökosysteme meist deutlich gestört. Der Verlust jeder weiteren Art wirke sich auf die Stabilität dieser Systeme aus.
Verantwortung für Arten
Überdies, so sagt Salomon das Engagement für den Artenschutz, gehe es auch um regionale Identität. Regionen mit besonderen Naturschätzen und Artenreichtum seien attraktiver hinsichtlich der Lebensqualität und auch für den Tourismus. Und schließlich gehe es auch um eine ethische Verantwortung. Jede Region sei für den Erhalt der in ihr vorkommenden Arten verantwortlich. Salomon sagt: "So wie wir von Afrika den Erhalt der Savannentiere erwarten, sollten wir auch unsere heimischen Arten erhalten."