Zu kurz kommt die Sichtweise der Schüler in der Diskussion um das achtjährige Gymnasium, finden Amelie Nöth und Désirée Gumpp. Außerdem fürchten die 18-jährige Abiturientin und die 15-jährige Schülerin des Friedrich-List-Gymnasiums, dass die nötigen Unterschriften für das Volksbegehren zur Wahlfreiheit G8/G9 nicht erreicht werden, da es außer Eltern und Lehrern keine Stimmberechtigten betrifft. Deswegen trommeln die beiden Gemündenerinnen für die Eintragung in die Unterschriftenlisten in den Rathäusern bis zum 16. Juli.
Kein gutes Haar lassen Amelie Nöth und Désirée Gumpp am 2003 eingeführten achtjährigen Gymnasium (G8). 18 gravierende Nachteile der verkürzten Schulzeit haben die Absolventin und ihre Cousine aus der neunten Klasse aufgelistet. Mit Plakaten, Handzetteln und eventuell einem Informationsstand wollen sie die Bevölkerung für das Anliegen der Schüler mobilisieren – dass nahezu alle Schüler ihrer Meinung sind, bezweifeln die beiden nicht. „Mich wird eine Änderung nicht mehr betreffen“, sagt die Neuntklässlerin Gumpp, „aber meine Kinder. Sie sollen einmal Zeit haben, in Ruhe zu reifen.“
Vor allem Zeit hätten heutige Gymnasiasten durch den komprimierten Unterrichtsstoff mit bis zu vier Mal Nachmittagsunterricht in der Woche nicht mehr. 39 Wochenstunden in der elften und 38 Stunden in der neunten Klasse, dazu Hausaufgaben und Vorbereitung von Schultests – das ist mehr, als von Arbeitnehmern verlangt wird. Auswärtige Schüler kommen nach dem Nachmittagsunterricht erst um 17.30 nach Hause. Für Sport, Musik und andere Hobbys bleibe keine Luft mehr. Die beiden Cousinen mussten schweren Herzens das Tennisspiel und den Musikschulunterricht aufgeben. Auch schulisches Engagement, zum Beispiel in der Theater-AG, bleibe bei Vielen auf der Strecke.
Mehr noch: Die beiden Schülerinnen aus Gemünden berichten von Lehrern unter Zeitdruck aufgrund der Stofffülle („Das merkt man bei Nachfragen.“), von Mitschülern mit Schlafstörungen oder anderen, die sich den Wecker stellen, um mitten in der Nacht Vokabeln zu pauken. Vielfach sei Nachhilfeunterricht nötig, was eine Geldfrage und damit eine soziale Benachteiligung sei. Im Chemie-Unterricht gebe es kaum praktische Arbeiten – die teuren Gerätschaften stünden ungenutzt herum.
Als Resultat befürchten die Schülerinnen eine Verschlechterung ihrer Qualifikation: Dass der Abiturdurchschnitt immer besser werde, könnte ein Beleg dafür sein, dass das Schulniveau sinkt. In keinem anderen Bundesland seien die Wiederholerzahlen so hoch wie in Bayern, und das sogenannte Flexi-Jahr verschiebe nur den Druck, nehme ihn nicht.
Dass die im Volksbegehren geforderte Wahlfreiheit G8–G9 in der Praxis problematisch sein dürfte, ist für Amelie Nöth und Désirée Gumpp nachrangig: „Das Volksbegehren soll eine Schulreform anstoßen. Nur weg vom G8!“