Dem verbreiteten Eindruck, die Absolventen allerorten hätten große Bildungslücken, hat Schulleiter Alexander Lutz in seiner Abschiedsrede für die Abschlussklassen der Georg-Ludwig-Rexroth-Realschule Lohr eine klare Absage erteilt. Wir haben nachgefragt, wie er das begründet.
Frage: Worauf fußt Ihre Überzeugung, dass die Schüler keine Wissenslücken haben?
Alexander Lutz: Die Schülerinnen und Schüler des Abschlussjahrgangs 2021 waren bei uns nur vergleichsweise kurz vom Lockdown betroffen. Außerdem konnten wir als digital gut aufgestellte Schule über Nacht auf ein bewährtes System mit digitalem Unterricht umstellen. Die Leistungsmessungen und Abschlussprüfungen unterscheiden sich vom Ergebnis her nicht von anderen Jahrgängen, wir haben wirklich sehr gute Ergebnisse gesehen. Wir Lehrkräfte haben vorrangig die im Hinblick auf die bevorstehenden Prüfungen besonders wichtigen Lerninhalte vermittelt, die uns das Kultusministerium über ein Internetportal zur Verfügung stellte. Wir fanden aber auch noch genügend Zeit für andere Inhalte, weil unsere 10. Klassen dank großer Räume und Hygienekonzepte keinen Wechsel-, sondern Präsenzunterricht hatten.

Konnte der Distanz- oder Wechselunterricht wirklich ebenso viel Wissen vermitteln wie der Präsenzunterricht?
Lutz: In meiner Abschlussrede habe ich mich natürlich auf den Abschlussjahrgang bezogen. Es wäre blauäugig, davon auszugehen, dass sich der Wechsel des Unterrichtsarrangements nicht auswirkt. Dabei haben wir aber interessante Effekte beobachtet. Manche Schüler, die im Klassenverband eher abgetaucht sind, haben von der Situation profitiert, weil sie sich voll und ganz auf den digitalen Unterricht konzentriert haben. Andere haben ohne die Möglichkeit zur Sichtkontrolle durch die Lehrkraft ihre Freiheiten auch ausgenutzt. Es ist aber tatsächlich sehr individuell. Manche Schüler haben profitiert, andere nicht, das hängt von der jeweiligen intrinsischen Motivation ab. Nachdem wir unseren Distanz- und Wechselunterricht mit Videokonferenzen nach regulärem Stundenplan halten konnten, gab es hinsichtlich des Unterrichtsangebots keine Beschneidungen.
Oder ist inhaltliches Wissen gar nicht mehr so wichtig?
Lutz: Reines Inhaltswissen ist heute tatsächlich weniger wichtig, weil übergreifende Fähigkeiten zur Gestaltung von Prozessen und die dahinterstehenden Kompetenzen mehr im Zentrum stehen. Trotzdem braucht es natürlich ein solides Fundament an Wissen.
Wo sehen Sie besondere Stärken des aktuellen Abschlussjahrgangs?
Lutz: Die Stärken des aktuellen Prüfungsjahrgangs liegen in der Fähigkeit zur Selbstmotivation und in der Erfahrung, wie man sich benötigtes Wissen orts- und zeitunabhängig selbstgesteuert aneignet. Sie sind bestens auf digitale Kommunikation am Arbeitsplatz vorbereitet, sind krisenerprobt, verfügen über Flexibilität und können mit Unsicherheiten umgehen. Wir haben tatsächlich positive Effekte gesehen, vor allem, was die Persönlichkeitsentwicklung betrifft. Da stelle ich einen Reifungsprozess fest, auch im Umgang miteinander. Die Freude, sich wieder zu sehen, schlug sich positiv auf das Verhalten und den Respekt unter- und voreinander nieder.
Gilt das für alle Jahrgangsstufen, dass keine Bildungslücken vorhanden sind?
Lutz: Wie gesagt, das ist ein sehr individuelles Phänomen, wie sich Schülerinnen und Schüler leistungsmäßig entwickelt haben. Schwierig ist es vor allem in den Jahrgängen 8 und 9, wo die Pubertät zuschlägt. Das ist kein ungewöhnliches Phänomen. Auch im Präsenzunterricht gibt es Ablenkungen, es kann sogar sein, dass die im Digitalunterricht geringer sind. Unsere Lehrkräfte haben geeignete Schwerpunkte gesetzt und wesentliche Lerninhalte in Präsenz intensiv wiederholt. Daran wird im kommenden Schuljahr angeknüpft. Bei einem inhaltlich vollständigen Angebot von Bildungslücken zu sprechen, widerstrebt mir, weil es so klingt, als sei etwas ausgefallen oder nicht vermittelt worden. Ich würde deshalb den Begriff individuelle Lernlücken bevorzugen, weil es die Situation eher trifft. Flächendeckende Bildungslücken schließe ich daher für unsere Schule aus.
Flächendeckende Bildungslücken gibt es also nicht, aber doch individuelle. Wie groß schätzen Sie das Risiko ein, Kinder bildungsmäßig zu verlieren?
Lutz: Wir haben dieses Jahr niemanden verloren. Auch wenn es in einem Fall knapp war, haben alle den Abschluss geschafft, was nicht immer selbstverständlich ist. Aber natürlich ist die Gefahr immer da, jemanden zu verlieren, die Schüler haben ja auch noch ein Privatleben. Unsere Lehrkräfte bemühen sich in einer Mischung aus Fördern und Fordern, alle bei der Stange zu halten. In den Hauptfächern haben wir vier oder mehr Wochen lang nachmittags Förderangebote gemacht, die bei Bedarf, aber auch wieder individuell unterschiedlich angenommen wurden.
Was erwarten Sie für das kommende Schuljahr?
Lutz: Für das kommende Schuljahr hoffe ich darauf, dass wir den Schülerinnen und Schülern trotz der weiterhin nötigen Vorsicht einzelne Angebote wie Fahrten, Ausflüge oder Gelegenheiten zum sozialen Lernen – allgemein ein buntes Schulleben – zurückgeben können. Wir sind allerdings auch darauf vorbereitet, derartige Angebote punktuell dann zu setzen, wenn es die Lage erlaubt. Eine weitergehende Prognose traue ich mir nicht zu, ich traue mich aber selbstbewusst zu sagen, dass wir auf alles vorbereitet sind und dass ich mit meinem Kollegium ein starkes Team im Rücken habe.
"Digitale Schule"2018 wurde der Georg-Ludwig-Rexroth-Realschule Lohr erstmals das Zertifikat "Digitale Schule" der Initiative "MINT-Zukunft schaffen!" verliehen. Damals waren einige Elemente der digitalen Schulentwicklung noch im fortgeschrittenen Planungsstadium, der Weg wurde aber konsequent fortgesetzt. Das zahlte sich für die Schulfamilie in der Coronazeit aus. Nachdem die erste Woche des Lockdowns im März 2020 noch mit Arbeitsaufträgen vom letzten Schultag überbrückt worden war, ließ Schulleiter Alexander Lutz die digitale Infrastruktur, die sich noch im Teststadium befand, über die Osterferien "scharfschalten". Womit eine voll funktionierende digitale Arbeitsumgebung mit Cloudspeicher, Videokonferenztool und Chat zur Verfügung stand."Dank des Einsatzes der Lehrkräfte und der Neugierde der Schüler und Eltern haben wir uns nach einem etwas rumpeligen Start gemeinsam freigeschwommen", resümiert er. Im Mai 2020 stellte der Landkreis Main-Spessart allen Lehrkräften Tablet-PCs als Dienstgeräte zur Verfügung. Sie waren schon im Herbst 2018 Teil des digitalen Entwicklungsplans, waren 2019 beantragt worden und wurden 2020 geliefert.(ahl)