„Die Schafe sind der Anker in meinem Leben, sie haben mir aus jeder Krise geholfen“ – wenn Josef Tasche auf den Schäferstock gestützt auf der Wiese steht und über die Herde blickt, strahlt er Ruhe aus. Der 59-Jährige ist seit 30 Jahren Schäfer aus Leidenschaft. Seit zwei Jahren führt er die 300-köpfige Herde der Rodener Schäferei Benkert über die Weiden bei Neustadt und Erlach.
Es waren ein schwerer Schicksalsschlag und die Schafe, die den aus der Nähe von Paderborn stammenden Ostwestfalen 2013 zu einer Art Aussteiger werden ließen und ihn in den Spessart brachten. Eineinhalb Jahre zuvor hatte Tasche die niederschmetternde Diagnose erhalten: Mandel- und Lymphdrüsenkrebs. „Es war ein heftiger Krebs, da ist alles flöten gegangen“, blickt er zurück. Mehrere Operationen, insgesamt 40 Bestrahlungen – Tasches Leben hing am seidenen Faden. Dass der Faden nicht riss, schreibt er auch den Schafen zu: „Ich wollte meine Tiere einfach nicht aufgeben.“
Ein Jahr lang kämpfte Tasche gegen den Krebs, musste seine Arbeitsstelle in einer Holz und Kunststoff verarbeitenden Firma verlassen. Gesundheitlich kam er nur langsam wieder auf die Beine. Schließlich stand er vor der Frage, wie er sein Leben neu ordnen, ihm einen neuen Sinn geben könnte.
„Es gibt Gute, und es gibt Provokateure.“
Josef Tasche über das Wesen der Schafe
In dieser Zeit stieß seine Frau im Internet auf eine Anzeige der Schäferei Benkert, die eine Teilzeitkraft zur Betreuung der Schafherde suchte. Tasche reiste in den Spessart, fand Gefallen an der Aufgabe und dem Landstrich, brachte seine Schafe mit – und blieb.
Das erste Jahr wohnte er alleine in einem Wohnwagen nah an den Weideflächen in Neustadt, während seine noch berufstätige Frau nur an den Wochenende anreiste. Mittlerweile haben er und seine Frau sich ein kleines Häuschen am Waldrand gekauft. Tasche will bleiben.
Der hagere Mann erzählt bereitwillig über seine Krankheit und sein Leben. „Vielleicht kann das jemandem Mut machen, nicht aufzugeben“, sagt er. Wobei sich Tasche fast übernommen hätte in seinem Eifer bei der Betreuung der Schafherde. Er sei nach seiner Chemotherapie eigentlich ein Jahr zu früh in den Spessart gekommen. „Der erste Winter war hart, das Füttern im Stall, da hab' ich lange Zähne gekriegt“, erinnert er sich in der ihm eigenen Sprache. Mittlerweile fühlt er sich deutlich besser, „aber zehn Kilo fehlen mir immer noch“, lacht er.
An den Tag, an dem seine Verbindung zu den Schafen entstanden sein muss, kann sich Tasche noch genau erinnern. Ein Schäfer hatte ihn als Kind auf den Rücken eines Schafbocks gesetzt. Später verlor Tasche die Schafe vorübergehend aus den Augen, fuhr mit der Marine um die Welt. Doch dann kehrte er auf den heimischen Hof und zur Schafhaltung zurück.
Es sei das Zusammenspiel der Herde und der Hunde, das ihn an der Schäferei besonders fasziniere. Tasche hat vier Hütehunde, Jack, Ann, Harry und Leo, der älteste mit acht Jahren ein erfahrener Hase, der jüngste mit einem Jahr gerade mal Lehrling. Tasche hat sie alle selbst ausgebildet. Wenige Handzeichen und Kommandos genügen, um mit dem emsigen Gehilfen die Herde auf den Meter genau zu steuern.
„Man muss die Tiere lesen können“, sagt Tasche über die Eigenarten des Hütens. Meist wisse er schon einige Sekunden vorher, was die Schafherde plant. Mit den Schafen sei es wie mit den Menschen: „Es gibt Gute, und es gibt Provokateure.“ Deswegen erfordere das Hüten auch ständige Aufmerksamkeit: „Man ist konzentriert, schaltet aber dennoch ab, weil man alles außenrum vergessen kann.“
Langeweile komme trotz der Monotonie, die Außenstehende im Schafhüten erkennen könnten, nicht auf, sagt Tasche, schon gar nicht, wenn, wie in seinem Fall, auch zwei Dutzend Ziegen zur Herde gehören: „Denen fällt immer irgendwas ein“, beschreibt er das umtriebige Wesen der gehörnten Vierbeiner.
Große Sorge bereitet ihm der Wolf und dessen mögliche Rückkehr in den Spessart: „Ich finde den Wolf wunderbar, aber hier hat er nichts verloren. Das hier ist eine Kulturlandschaft, keine Wildnis“, macht Tasche seine für einen Schäfer nicht verwunderliche Position deutlich. Er rechne jedoch damit, dass es „keine drei Jahre mehr dauert, bis der Wolf im Spessart angekommen ist“.
Ob Tasche dann noch im Spessart Schafe hütet? Seit seine Frau vor wenigen Wochen einen schweren Schlaganfall erlitten hat, ist die Zukunft ungewiss. Tasche indes hofft, dass ihn die Schafe einmal mehr durch einen schwierigen Lebensabschnitt hindurchbringen. „Ich habe meine Erfüllung gefunden und würde gerne auch mit 80 noch bei den Schafen stehen.“