Werner Scherg ist Bäcker mit Leib und Seele. Das mag abgedroschen klingen, ist aber nun mal so. Seit mehr als 40 Jahren steht der 58-Jährige in der Backstube des Familienbetriebs, den sein Opa vor 104 Jahren gründete. Seit zirka 30 Jahren ist er der Chef des Betriebs und versorgt Steinfeld und Umgebung mit frischen Backwaren: mit Brot und Brötchen, Hörnchen und Kissingern, Apfeltaschen und Johannisbeerschnitten und den ganzen anderen Leckereien, die täglich über die Theke gehen.
Daneben aber macht der "Scherge-Beck" noch etwas ganz Besonders: er backt Brotmenschen. "Vielleicht vor zehn Jahren" habe er den ersten gemacht. Insgesamt seien es mittlerweile "vielleicht zehn oder fünfzehn oder so irgendwas", erzählt Scherg.
"Meistens werden Männer oder Frauen verlangt", sagt der Bäcker, ohne eine Miene zu verziehen. Schon im nächsten Moment aber grinst er verschmitzt und verdeutlicht: Wenn ein junger Mann langsam in die Jahre kommt, und immer noch ohne Frau ist, dann kommen eben manchmal Bekannte von ihm auf die Idee: dem müssen wir mal eine backen. Freilich machen sie das nicht selber. Dazu brauchen sie Scherg. Weil der's halt kann.
"Bei manchen Bestellungen", sagt Scherg, werde Wert gelegt auf die Betonung bestimmter Körperteile. Verschmitzt fügt er hinzu: "Bei Brotfrauen zum Beispiel an zweiter Stelle auf lange Beine."
Wenn der Mann dann seine Brotfrau in den Armen hält, was macht er dann mit ihr? Isst er sie auf? "Auf alle Fälle ist sie verspeisbar", hält sich der Meister zunächst bedeckt darüber, was mit einer Brotfrau passiert, nachdem sie die Backstube verlassen hat.
Dann aber plaudert der "Scherge-Beck" doch ein bisschen aus dem Nähkästchen - oder besser gesagt: dem Mehlsack: "Wenn der die Frau isst", schmunzelt Scherg, "kriegt er vielleicht die Kurve und sucht sich doch noch eine." Damit jetzt niemand was falsch versteht: Es sind nicht nur Männer, die eine Frau gebacken bekommen. Es gab auch schon Fälle, in denen eine Single-Frau einen Brotmann abbekommen hat.
In der Regel backt Scherg Normalsterbliche. Sein bislang prominentester Brotmann war der Steinfelder Bürgermeister. Weil der unter Umständen in Berlin ist, um die große Politik zu studieren, wenn an den tollen Tagen sein Rathaus gestürmt wird, dachten sich die Faschingsnarren vor drei Jahren: Wir können uns auch selber einen backen. Klar, an wem die Arbeit hängen blieb: am Bäcker Scherg. Doch der nimmt solche Spezialaufträge gelassen, solange sie nicht überhand nehmen: "E bissle håt ma jå ach sein Spåß drån."
"Eine Stunde dauert's, bis man die Figur hat", schätzt der "Scherge-Beck" und bringt seine Tochter Nina ins Spiel. Die 24-jährige Studentin sei für die Proportionen zuständig. "Nit dass dann der Hals zu dick is oder die Ärm zu dünn", lacht Scherg.
Wenn die Figur dann geformt ist und alles so aussieht, wie der Meister und seine Helferin es haben wollen, "muss man sie halt noch backen". Die Schwierigkeit dabei sei, das so zu machen, dass der Brotteig nicht reißt. Wenn's dann aber doch passiert, ist der Bäcker auch nicht zermürbt. "Dann sag ich dem, das hab ich extra gemacht, du bist ja auch ein bisschen gerissen."
Von Kunstwerken will Scherg bei seinen Brotfrauen und -männern nicht "unbedingt" sprechen. Vielmehr will er mit seinen Figuren an die Bäckerarbeit erinnern. Brotfiguren haben laut Scherg eine lange Tradition. Schon zu Zeiten, als die Leute noch keine Bücher hatten und auch nicht lesen konnten, hätten die Bäcker an religiösen Festtagen so genannte Gebildebrote hergestellt. Mit diesen gebackenen Bildern habe man den Inhalt des jeweiligen Festes illustriert.
Überbleibsel aus diesen längst vergangenen Tagen seien zum Beispiel der Osterlaib, ein Brot mit einem Kreuz darauf oder der Brezel. Der Ring symbolisiert die Unendlichkeit, weiß Scherg, das Schloss die zum Gebet gefalteten Hände.
Auch der Hefezopf hat einen religiösen Hintergrund, weiß Scherg. Vor langer, langer Zeit sei es üblich gewesen, dass sich die Frau beim Tod ihres Mannes den Zopf abschnitt, um ihn ihrem Mann mit ins Grab zu geben. Sozusagen, weil mit ihm ein Teil von ihr gestorben ist. Später dann wollten die vornehmen Frauen ihre Zöpfe behalten. So legten sie dem toten Gatten Zöpfe aus Gold- und Silberfäden ins Grab. Die ärmeren Frauen wichen auf preiswertes Backwerk aus. So entstanden die Hefezöpfe.


Neben seinen Figuren fertigt der "Scherge-Beck" zu besonderen Anlässen auf Bestellung auch Brote "mit Schrift oder irgendeinem Spaß drauf". Sowohl für seine außergewöhnlichen Kreationen als auch für seine Alltags-Brote verwendet er Teig, den er ohne die sonst üblichen Säuerungs- und Quellmittel herstellt. Sein Drei-Stufen-Sauerteig verlangt ihm allerdings auch ein kleines Opfer ab: anderthalb Stunden Mehrarbeit am Abend. "Die ist nicht schwer", sagt er, "aber man ist halt gebunden". Doch das nimmt der Steinfelder Bäcker gelassen. Gebunden sei der Landwirt auch, der sein Vieh versorgen muss . . .