Fleisch kommt heute in vielen Haushalten fast täglich auf den Tisch. Auch beim großen Steinfelder Dorffest am 21./22. Juli werden die Besucher eine reiche fleischhaltige kulinarische Auswahl haben. An Zeiten, in denen Wurst und Fleisch Mangelware waren, kann sich kaum jemand mehr erinnern. Alfred Loschert schon.
Der 92-jährige Metzgermeister aus Steinfeld hat sie hautnah miterlebt, die Zeiten, in denen Lebensmittel rationiert waren und Fleisch selbst in einer Metzgerei nicht zum täglichen Speiseplan zählte.
Loschert war, wie er sagt, ein „Muss-Metzger“. Als Ältester unter den vier Kindern der Steinfelder Metzgerfamilie Loschert hatte er keine andere Wahl, als diesen Beruf zu ergreifen. Allerdings war dies 1933 gewiss nicht die schlechteste Wahl: Loschert war der Einzige in seiner Klasse, der überhaupt eine Lehrstelle ergattern konnte – und zwar im elterlichen Betrieb. 1937 legte er seine Gesellenprüfung als Metzger ab – im damals noch existierenden Lohrer Schlachthaus an der Färbergasse.
Sein Berufsstart fiel in eine Zeit, in der der Fleischverkauf kontingentiert war. Für die Metzgereien bedeutete dies, dass sie nur genau vorgegebene Mengen an Vieh schlachten durften. Auf dem Land habe sich die Kontingentierung noch vergleichsweise wenig ausgewirkt, erzählt Loschert, der heute einer der Ältesten in Steinfeld ist. Metzgereien von Berufskollegen in der Stadt seien jedoch damals regelmäßig ausverkauft gewesen. Allerdings sei es streng verboten gewesen, eine Tafel mit dem Hinweis „ausverkauft“ im Schaufenster auszuhängen. Das Bild von Mangelwirtschaft habe nicht in die Nazi-Propaganda gepasst.
Der Not folgend sei damals beim Schlachten alles verwertet worden. „Es gab keinen Abfall“, erzählt der betagte Metzgermeister. Selbst der Pansen der Rinder sei für den menschlichen Verzehr gekocht, die Kopfhaut gebrüht worden. Die gesamten Kriegsjahre hindurch habe sich daran nichts geändert, sagt Loschert.
Die „Schlachtscheine“, also die Genehmigung zum Schlachten eines Tieres, habe man sich zur Zeit des Nationalsozialismus beim Ernährungsamt in Marktheidenfeld abholen müssen – „mit dem Fahrrad“, schildert Loschert die damals nicht vorhandene Motorisierung.
Sämtliche Auflagen des Schlachtbetriebes seien damals streng überwacht worden. „Wenn man sich hätte erwischen lassen, wäre Dachau nicht weit gewesen“, blickt Loschert zurück. Auch die beim Schlachten der Rinder anfallende Haut musste unter anderem für die Herstellung von Soldatenstiefeln abgeliefert werden. Selbst dabei standen die Metzger unter einer gewissen Beobachtung: „Unsere Soldaten haben es nicht nötig, schlechte Stiefel zu tragen, nur weil Metzger beim Schlachten die Haut beschädigen“, erinnert sich Loschert an einen Satz der Propaganda. Loschert selbst erlebte den Krieg nicht nur durch die Propaganda. Er wurde als Soldat an die Front eingezogen. Das dort Erlebte prägte ihn zeitlebens.
Größte Not nach dem Krieg
Als Loschert nach Kriegsende in die Heimat zurückkehrte, war die Ernährungslage nicht besser. Ganz im Gegenteil: „Nach dem Krieg war die größte Not.“ In Steinfeld sei 1947 „das schlimmste Jahr“ gewesen. Große Trockenheit vermasselte die Ernte, das ganze Dorf war voll mit Kriegsflüchtlingen.
Schweine, die man hätte schlachten können, habe es kaum gegeben, erinnert sich Loschert. Grund: „Alles, was die Schweine fressen hätten können, haben auch die Menschen gegessen.“ Zwei Jahre lang schlachtete die Metzgerei Loschert damals kein Schwein. Was ansonsten geschlachtet wurde, habe man zur Verteilung abgeben müssen. Gebessert habe sich die Lage erst 1948 mit der Währungsreform und der Einführung der D-Mark. „Auf Weihnachten zu hat man gemerkt: Die Mark hält“, schildert Loschert den zarten Beginn des Aufschwungs.
Viehmarkt in Lohr
Mit größeren Umständen war allerdings auch danach noch der Viehkauf verbunden. Dazu musste Loschert mit dem Pferdefuhrwerk nach Lohr fahren, wo der zentrale Viehmarkt war. Dort wurde den Metzgern das zu kaufende Vieh zugeteilt. Einmal sei ihm auf dem Heimweg „eine Spessarter Kuh bei Sendelbach abgehauen“, erzählt Loschert. Ein kurioser Anblick dürfte es gewesen sein, als ihm ein Schäfer mit seinen Hütehunden zu Hilfe eilte, um das widerspenstige Vieh wieder in die richtige Bahn zu lenken.
1950 heiratete Loschert seine Frau Elisabeth. Es folgten ausgesprochen erfolgreiche Jahre. Neun Kinder, fünf Söhne und vier Töchter, gingen aus der Ehe hervor. Und auch das Geschäft entwickelte sich prächtig. Loschert erweiterte den Betrieb in Steinfeld stetig. Lange Jahre unterhielt die Steinfelder Metzgerei eine Filiale in Frankfurt, direkt neben dem Zoo. Auch einen großen Markt beschickte sie mit Wurst. Mehrfach pro Woche wurde Ware ausgeliefert. „Das waren gute Geschäfte: Ware gegen Geld“, erinnert sich der Mann, der 27 Jahre lang auch Innungsobermeister in Main-Spessart war.
38 Jahre in der Selbstständigkeit
1988 übergab Loschert den Betrieb an seinen Sohn Michael, arbeitete jedoch bis zu seinem 81. Lebensjahr mit. Mittlerweile ist schon Enkel Stefan in die beruflichen Fußstapfen getreten. Loschert selbst sagt heute rückblickend auf ein langes und ereignisreiches Leben ganz kurz und knapp: „Ich war und bin zufrieden.“