Zum 25. Mal gibt der Kunst- und Kulturverein Lohr und Umgebung heuer eine Kunstaktie heraus. Gestaltet hat sie Agnes Scherer (28). Die junge Frau, die in Lohr aufgewachsen ist und seit 2009 freie Kunst in Düsseldorf studiert, hält sich zurzeit in Nordamerika auf.
Auf Vorschlag des Kunst- und Kulturvereins hat Scherer in ihrer Kunstaktie – auch vor dem Hintergrund der Diskussion um den ersten Lohrer Kunstpreis, eine baumartige Schneewittchen-Skulptur – das Thema Schneewittchen aufgegriffen.
„In der Diskussion war es ja unter anderem darum gegangen, ob Schneewittchen-Kunst gar zu hübsch geraten kann und wie weit die Schneewittchen-Romantik getrieben werden darf, bevor es geschmacklos wird“, so Scherer.
Sie habe persönlich nicht das geringste gegen abstrakte Kunst und indirekte Ausdrucksformen; sie arbeite selbst oft abstrakt. Sie finde, Wittstadts Ensemble mit Baumskulptur sei „als eine freie und düstere Interpretation der Welt des Schneewittchen-Märchens durchaus angemessen, in der es ja viele Gefahren gibt und die Bosheit der Königin das Schneewittchen überall hin verfolgt“. Außerdem, so Scherer weiter, dienten Märchen auch der Entwicklung von Fantasie und Einbildungskraft „und darin ist die Baumskulptur der Gattung des Märchens ähnlich“.
„Die Frage war, ob Schneewittchen-Kunst gar zu hübsch geraten kann“
Agnes Scherer, Gestalterin der Lohrer Kunst-Aktie
Aber zugleich habe sie sich auch gedacht: „Eigentlich muss Lohr sich bis jetzt keine so großen Sorgen machen, dass die Romantik überhand nehmen könnte.“ Sie finde, dass in Sachen Schneewittchen in Lohr „keine sehr ausgiebige Folklore betrieben wurde“.
Eher scheine es ihr, „als ob man in Lohr ziemlich bald nach der Etablierung des Mythos schon wieder auf Zurückhaltung bedacht war; man wollte mit Schneewittchen auf keinen Fall übertreiben“. Sie frage sich, ob es sein könne, „dass die Lohrer so schnell angefangen haben, fest an die Wahrheit dieser These zu glauben, dass sie eine fast bilderstürmerische Angst bekamen, das Schneewittchen durch zu viel Brimborium entweihen zu können“.
Aber sie denke, „wenn eine Stadt schon für sich in Anspruch nimmt, Schauplatz eines Märchens zu sein, dient das ja zunächst dem Zweck, etwas mehr Romantik aufkommen zu lassen und in der Vorstellung des Zusammenhangs zwischen der Stadt und dem Märchen schwelgen zu können“.
So habe sie sich „als gute Lohrerin“ entschieden, „es mit der Schneewittchen-Kunstaktie eher ein bisschen folkloristisch krachen zu lassen – aber auch nicht allzu sehr“.
Scherers Bild zeigt „den Moment, in dem der Jäger, der von der Königin den Auftrag hat, Schneewittchen zu töten, schon drauf und dran ist, dies zu tun, dann aber Skrupel bekommt, da das flehende Schneewittchen ihm leid tut“.
Nach Scherers Empfinden hat dieser Moment sogar eine politische Dimension, weil der Jäger sich entscheidet, Schneewittchen zu verschonen und damit gegen den Befehl seiner Autorität und gemäß seinem eigenen Moralempfinden zu handeln. „Das kann manchmal sehr wichtig sein.“
Im Vordergrund sieht man ihren Worten nach einen Luchs, „der daran erinnern kann, dass auch der Wald der Schonung bedarf“. Hierin, so Scherer, könne man sogar einen Bezug zu der Baum-Skulptur sehen: „Die Märchen kommen aus der Dunkelheit des Waldes, die wir durch unsere Fantasie mit allem Möglichen aufladen können. Wenn der Wald und seine Tiere zu sehr Schaden nehmen, können wir vielleicht keine Märchen mehr aus ihm schöpfen.“
„Es ist der Moment, in dem der Jäger Skrupel bekommt, Schneewittchen zu töten
Agnes Scherer, Gestalterin der Lohrer Kunst-Aktie
Die von Agnes Scherer gestaltete Schneewittchen-Kunstaktie gibt es in einer Auflage von 28 Drucken im Format DIN A 2 (42 mal 59,4 Zentimeter), wobei einzelne Stellen der Bilder frei von Hand gemalt seien. „Das meiste habe ich jedoch mit diversen kleinen Schablonen und Linol-Druckstöcken gemacht.“
Die Ausführung geschah laut Scherer für jedes Blatt in vielen Einzelschritten, und nicht als einmaliger „Druck“ in einer Presse. „Als Anregung dienten mir die großzügigen, leicht groben Drucke und gestempelten Muster auf den Papier-Artikeln die man hier (in Vancouver, wo ich gerade bin) in Chinatown kaufen kann. Die Aktien sind auch mit chinesischen Wasserfarben gemacht.“ Eine andere Inspirationsquelle sei für sie der italienische Frührenaissance-Maler Pisanello gewesen, „der für seine eleganten Tierstudien bekannt ist, die ich sehr bewundere“.
Die Kunstaktie 2013 liegt in der Stadtbibliothek aus und ist für 90 Euro zu erwerben.
Agnes Scherer
Die Künstlerin studiert seit 2009 freie Kunst an der Düsseldorfer Kunstakademie (Klasse Peter Doig) und wird das Studium voraussichtlich im Sommer abschließen. Zur Zeit reist Agnes Scherer durch Nordamerika und arbeitet dort mit befreundeten Künstlern in verschiedenen Projekten. Vor dem Kunststudium hat Scherer in Tübingen und Wien Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Empirische Kulturwissenschaft studiert und dieses Studium mit dem Titel der Magistra Artium abgeschlossen.