Hans Geulen ist ein umgänglicher Zeitgenosse. Der Wohnmobilist liebt geselligen Urlaub. Auf dem Heck seines Fahrzeugs prangt der fränkische Wunsch: „Bleims xund!“ Dennoch hatte er zusammen mit seiner Ehefrau Ulla vor wenigen Tagen eine Begegnung, auf die er gern verzichtet hätte: An einer Autobahn-Raststätte in der Nähe der belgischen Stadt Gent wurden die Geulens nachts Opfer eines Raubüberfalls. Schon 1990 war Hans Geulen in einer brenzligen Situation: damals als Geisel eines Bankräubers in Frammersbach.
Die Lengfurter Ulla (48 Jahre) und Hans Geulen (66) sind begeisterte England-Fans. Hans Geulen hat in diesem Jahr schon zum 39. Mal die Insel besucht. Seit vielen Jahren begleitet ihn seine Frau. Von ihren Trips über den Ärmelkanal zeugen zahlreiche Souvenirs – vom MSP-Nummernschild in Form eines englischen Kennzeichens über Brille und Uhr im Union-Jack-Design bis hin zum Queen-Püppchen, das solarbetrieben huldvoll mit der Hand winkt.
Wer mit dem Wohnmobil reist, schließt schnell Bekanntschaften auf dem Campingplatz. So hat das Ehepaar längst gute Freunde auf der Insel, die es bei seinen Urlauben gern besucht. Dieses Jahr führte die Reise vom 7. bis 21. Juni nach Südengland, die Küste entlang ins Seebad Brighton, das die Geulens lieben, und zu Freunden nach Wales.
In 20 Jahren mit dem Wohnmobil haben die Globetrotter noch nie schlechte Erfahrungen auf ihren Reisen gemacht, geschweige denn, dass ihnen etwas gestohlen wurde. Doch diesmal kommt es anders: Ulla und Hans Geulen fahren am letzten Tag ihrer Reise nach der Kanalüberfahrt von Dover nach Calais noch bis in die Nacht hinein. Hans Geulen entscheidet, nicht an der Autobahn in Frankreich zu übernachten. „Das erschien mir zu unsicher“, erinnert er sich. Also fährt das Paar auf der belgischen A 10 von Ostende in Richtung Brüssel, als es gegen 2.30 Uhr an der Raststätte Gent tankt und eine Pause einlegt.
„Wir wollten uns nur kurz ausruhen, weil wir am nächsten Tag Verwandtschaft bei Aachen besuchen wollten“, schildert Ulla Geulen die nächtliche Lage. „Wir waren schon den ganzen Tag unterwegs und daher müde.“ Ein Campingplatz kommt um diese Zeit nicht mehr in Frage, also stellt das Paar sein Wohnmobil auf den Parkplatz der Raststätte, der – wie alle Autobahnen in Belgien – nachts hell erleuchtet ist.
Die Deutschen stehen nicht allein in dieser Nacht; um sie herum gibt es andere Fahrzeuge, darunter die auf Autobahnen allgegenwärtigen Lastwagen. Gegen 3 Uhr legen sich die Reisenden schlafen, nicht ohne vorher die Türen der Fahrerkabine, des Wohnbereichs und des Laderaums zu verschließen. Die bordeigene Alarmanlage, die an einen Bewegungsmelder im Inneren gekoppelt ist, bleibt aus, weil sie sonst auf die Insassen reagieren würde; Geulens nutzen sie nur, wenn sie das Fahrzeug verlassen. . .
Es ist gegen 9 Uhr am Morgen, als sie erwachen. Beide haben einen Brummschädel, wie man ihn nach einer durchzechten Nacht vermutet, schieben das aber auf die anstrengende Reise. Ulla Geulen merkt als Erste, dass etwas fehlt – ihre Brille ist weg. Bei der vergeblichen Suche vermissen die beiden immer mehr Gegenstände. Als auch Handtasche, Geldbeutel, Navi, Uhr und Fotoapparat nicht mehr auftauchen, dämmert ihnen, dass sie Opfer eines Raubüberfalls geworden sind.
Hans Geulen informiert sofort eine Raststätten-Mitarbeiterin, die Deutsch spricht, und ruft die Polizei. Kurz darauf erleidet er einen Schock. Er zittert und kann sich kaum auf den Beinen halten. So kommt wenige Minuten später nicht nur die Polizei, sondern auch eine Ambulanz, die ihn in ein Genter Krankenhaus bringt.
Währenddessen muss seine Frau Ulla von der Polizei erfahren, dass solche Überfälle öfter auf den Autobahn-Parkplätzen passieren. Schnell ist die Masche klar: Die Täter beobachten die Rastplätze und suchen sich ein Opfer aus. Nachts, wenn alles schläft, leiten sie zum Beispiel durch die Lüftungsschlitze Betäubungsgas ins Fahrzeuginnere, warten kurz und brechen schließlich in Sekunden eine Tür auf. Rein – einsammeln – raus: Ein Überfall dauert meist nicht länger als fünf Minuten. Die Chancen, die Täter zu fassen, sind gering, gibt die Polizei zu. Möglich, dass sie international operieren; wahrscheinlich, dass sie entlang der Autobahnen zuschlagen.
„Wir übernachten nie mehr auf Raststätten.“
Ehepaar Geulen, Opfer eines Raubüberfalls
Ulla Geulen holt ihren Mann nach ein paar Stunden aus dem Krankenhaus ab. Die Polizei eskortiert sie bis an Krankenbett. Danach setzen die Lengfurter ihre Reise zur Verwandtschaft nach Aachen fort. Bei der nächsten Rast wird dann Ulla Geulen von ihren Gefühlen übermannt: Ohne das nötige Kleingeld für den Toilettenautomaten, steht sie hilflos vor der Barriere. „Ich habe nur noch geflennt“, erinnert sie sich. Das freundliche Personal kommt zu Hilfe und lässt die 48-Jährige kostenlos in die Waschräume.
Wieder zu Hause haben die beiden Lengfurter auch in Marktheidenfeld Anzeige erstattet. Ein Rechtshilfeersuchen geht an die belgische Staatsanwaltschaft. Geulens warten jetzt die Ermittlungen ab. Wie sie erfahren haben, gibt es am Tatort eine Überwachungskamera, deren Aufnahmen noch ausgewertet werden.
Das Ehepaar hat trotz allem Glück gehabt. Das Betäubungsgas war so dosiert, dass es sie nicht getötet hat. Wäre ihr Hund „Garyy“ – er schreibt sich wirklich so – dabei gewesen, hätte sein kleinerer Organismus den Gasangriff wohl nicht überlegt, ist Hans Geulen sicher. Andererseits war so viel Gas im Wohnmobil, dass das Paar den Einbruch nicht mitbekam. Nicht auszudenken, wenn die Opfer aufgewacht und in einen Kampf verwickelt worden wären.
Den hat Hans Geulen erlebt, als er 1990 in Frammersbach von einem flüchtenden Bankräuber aus Hessen kurzerhand als Geisel genommen wurde: Plötzlich stand der Täter mit einer Waffe in Geulens Garage, um sich vor der Polizei zu verstecken. Einen Arm um Geulens Hals, die Waffen in die Hüfte der Geisel gedrückt, zerrte der Räuber sein Opfer über den Hof.
Damals befreite sich Geulen selbst. Ein kräftiger Stoß mit dem Ellenbogen, zwei große Schritte – und er rettete sich in seinen Hausflur. Der Täter wurde gleich darauf von der Polizei überwältigt. Die Geiselnahme sorgte damals für Schlagzeilen. . .
Diesmal geht es nicht um Leib und Leben, sondern um Sachschaden. Zum Glück haben Geulens alle gestohlenen Karten noch am Tatort sperren lassen. Am Ende ihrer Reise hatten sie nur 100 Euro Bargeld bei sich, die nun weg sind. Der Beuteschaden insgesamt summiert sich auf etwa 1200 Euro. Die Hausratversicherung wird ihn wohl ersetzen.
Kostspielig ist auch die Wiederbeschaffung aller Papiere und Karten, ärgerlich der Schaden an der Beifahrertür, die die Einbrecher gewaltsam geöffnet haben. Weil sie den Reserveschlüssel fürs Wohnmobil mitgehen ließen, müssen alle elf Türschlösser ausgetauscht werden. Das allein kostet mehrere Hundert Euro, hat die Werkstatt inzwischen mitgeteilt. Allerdings kommt dafür die Teilkasko auf.
Was bleibt nach dem Schrecken? Hans Geulen ist manchmal „nachts hellwach“ und seine Frau „ganz hippelig“. Selbst im eigenen Haus schließt das Ehepaar nun immer ab und achtet peinlich genau darauf, dass alle Fenster geschlossen sind, wenn niemand zu Hause ist.
Die Marktheidenfelder Polizei hat für diese und andere Reisenden einen guten Tipp: nachts die Türen der Fahrerkabine mit einem Spanngurt von innen sichern. Im Fachhandel gibt es außerdem Gasdetektoren, die anschlagen, sobald ein Gasangriff gestartet wird.
„Wir übernachten jedenfalls nie mehr auf Raststätten“, ist sich das Lengfurter Ehepaar nun einig, „aber mit dem Wohnmobil werden wir weiterverreisen. – Wir sind Optimisten.“