In der Sonderausstellung „Die Lohrer Schulen in der Nachkriegszeit 1945 bis 1949“ zeigt das Lohrer Schulmuseum bis 20. Dezember im Eingangsbereich des Museums einen Zeitabschnitt, der menschlich und schulisch gesehen Schülern wie Lehrern enorme Belastungen abforderte.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs 1945 war „Re-Education“ die pädagogische Forderung der Stunde: Rückbesinnung auf die während des Dritten Reichs verschütteten menschlichen Grundwerte und Anknüpfung an die reformpädagogischen Tendenzen in der Weimarer Republik.
Mit dem Rundschreiben des Lohrer Schulrats an die Lehrer der Landkreise Lohr und Marktheidenfeld vom 24. August 1945 wurden die Lehrer über die zukünftige Ausrichtung der Schulen informiert: „Die Lehrer und Lehrerinnen müssen Bekennerchristen sein, das heißt durch Erfüllung ihrer religiösen Pflichten der Jugend und der Gemeinde ein vorbildliches, nachahmenswertes Beispiel geben.“ In allen Klassenzimmern sollten wieder Kreuze aufgehängt werden.
Ausführlicher definierten die „Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen vom 10. Oktober 1945“ die neuen Erziehungsziele und Aufgaben. Demnach war das Schulleben von allen nationalsozialistischen und militaristischen Spuren zu säubern. Die gesamte Erziehungs- und Unterrichtsarbeit sollte in Zukunft „unterbaut sein von den Normen der Welt des Sittlich-Religiösen“, jenen Grundsätzen, „die uns im Christentum gegeben sind“. Entsprechend waren für den Religionsunterricht vier Wochenstunden einzuplanen. Besonders hervorgehoben wurde die Bedeutung der Volksschule beim Aufbau einer „wahren Demokratie“, in der „weder Blut noch Rasse, noch das Volk“ als höchste Werte gelten sollten, sondern „der einzelne Mensch in seiner Bedeutung, seinem Wert, seinen Rechten und Pflichten“.
Als Grundlage für den stofflichen Rahmen wurde die „Lehrordnung vom 15.12.1926“ bestimmt und Schülerbücher aus der Zeit vor dem Dritten Reich, als Notausgaben nachgedruckt, im Unterricht verwendet. Zusätzlich sollte in größeren Volksschulen Englisch mit drei Wochenstunden als Pflichtunterricht eingeführt werden und zum Ausgleich unter anderem vorläufig der Geschichtsunterricht entfallen. Diese Maßnahme ließ sich so nicht durchführen, englischer Sprachunterricht wurde ab 1946 nur als zusätzliches freiwilliges Wahlfach angeboten. Der Geschichtsunterricht blieb Bestandteil des Sachunterrichts auf der Oberstufe. Er endete allerdings 1815 mit dem „Wiener Kon-greß“. Die „Richtlinien für den Geschichtsunterricht“ von 1948 bezogen sich zwar auch auf die jüngste Geschichte, aber mit sehr allgemein gehaltenen Formulierungen, ähnlich dem „Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen 1950“.
Kein Wort zum Holocaust
Bemerkenswert ist, dass sich in den Geschichtsbüchern der Nachkriegszeit kaum Hinweise auf das Thema „NS-Verbrechen“ finden. In dem Schülerbuch „Geschichte für Jedermann“ (Schulausgabe 1953, Verlag Georg Westermann), in Gebrauch an Lohrer Schulen, wird seitenlang über den Verlauf des Zweiten Weltkriegs berichtet und dass „entgegen allem Völker- und Menschenrechte etwa 6,5 Millionen Deutsche mitleidlos von Haus und Hof“ vertrieben wurden – der Holocaust aber wird mit keinem Wort erwähnt.
Ungewöhnliche Belastungen und Arbeitseinsätze für Schule und Schüler ergaben sich durch die allgemeine schwierige Versorgungslage. Neben der obligatorischen Kartoffelkäfersuche sollten sich die Schüler an zahlreichen Heilpflanzensammlungen beteiligen. Nach Möglichkeit sollten auch die während des Dritten Reichs in den Schulgärten angelegten Maulbeeranlagen zwecks Seidengewinnung reaktiviert werden.
Diese und andere Einsätze erschwerten ein geregeltes Schulleben und verschlechterten die Leistungen in der Schule.
Hinzu kamen übergroße Klassen mit bis zu 80 Schülern, Schichtunterricht und Lehrmittelmangel. Viele Einträge der Lehrer in den Schülerbögen zeugen auch von den zeitbedingten menschlichen Problemen der Schüler, zum Beispiel: „Flüchtlingskind! Emil ist sehr ängstlich und nervös. Rudolf hat eine furchtbare Rechtschreibung. Das Fehlen des Vaters (er ist noch in Kriegsgefangenschaft) macht sich sehr unangenehm bemerkbar.“
Amerikanische Speisen
Mit der „Schulspeisung“ versuchte man ab 1947 bis 1950, der Un-terernährung vieler Schulkinder entgegenzuwirken. Die Schüler erhielten in der Schule eine Mahlzeit, deren Zusammensetzung auch auf den Spender, die USA, hinwies: Grießbrei mit Rosinen, Haferflockenbrei mit Marmelade, Mehlmus mit Dessert Powder und ähnliches. Manches Pausenmenü war für deutsche Schülermagen gewöhnungsbedürftig.
Die Sonderausstellung vermittelt viele Informationen über die schulische Entwicklung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit Fotos, Dokumenten und Gegenständen aus der bayerisch-deutschen Schulgeschichte von 1945 bis 1949.
Ergänzungen zur Sonderausstellung findet der Besucher in der ständigen Ausstellung des Schulmuseums in Sendelbach, beispielsweise „Das geteilte Deutschland“, „Von der Diktatur zur Demokratie“, „Das Ende des Schreckens“, „Schulanfang 1945“ usw.
Hinweis: Das Schulmuseum in Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis Sonntag jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können nach vorheriger telefonischer Absprache (Tel. 0 93 52-49 60 oder 0 93 59-317) außerhalb der Öffnungszeiten das Museum besuchen. Internet: www.lohr.de/schulmuseum
Fakten und Eindrücke
Klassenbildung an der Lohrer Grundschule für das Schuljahr 1945/1946:
Klasse Nr. 1: 1. Jahrgang, 45 Knaben, Klasse Nr. 2: 1. Jahrgang, 50 Knaben
Klasse Nr. 3: 1. Jahrgang, 70 Mädchen
Klasse Nr. 4: 2. Jahrgang, 73 Knaben
Klasse Nr. 5: 2. Jahrgang, 80 Mädchen
Klasse Nr. 6: 3. Jahrgang, 73 Knaben
Klasse Nr. 7: 3. Jahrgang, 63 Mädchen
Klasse Nr. 8: 4. Jahrgang, 66 Knaben
Klasse Nr. 9: 4. Jahrgang, 64 Mädchen
Auszüge aus Schülerbögen in der Nachkriegszeit:
„Flüchtlingskind! E. ist sehr ängstlich und sehr nervös.“
„R. hat eine furchtbare Rechtschreibung. Das Fehlen des Vaters – er ist noch in Kriegsgefangenschaft – macht sich sehr unangenehm bemerkbar.“
„D. ist sehr liederlich und oberflächlich. Das Lesen und Rechnen machen ihm noch große Schwierigkeiten. Für die Schule hat er so gut wie gar nichts übrig. Der Vater ist noch in Kriegsgefangenschaft und die Mutter hat nicht die Zeit, sich mit ihm zu befassen.“
„Bei W. ist der Vater endlich aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Nun weht ein anderer Wind.“