Mit der Reformation hat sich evangelisches Leben im 16. Jahrhundert in Karlstadt entfaltet, sagt der Historiker Dr. Philip Hahn, der über dieses Thema auch einen Vortrag in der Kirche St. Johannis gehalten hat. Jedoch mit der Einführung der Gegenreformation und der Vertreibung der Protestanten aus Karlstadt durch den Würzburger Fürstbischof Julius Echter im Jahr 1585 endete diese kurze Blütezeit. Spuren aus dieser Zeit sind aber dennoch in Karlstadt zu erkennen. Philip Hahn hat eine Assistentenstelle im Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität Tübingen, derzeit ist er allerdings in Elternzeit.
Martin Luther hatte 1517 seine 95 Thesen verfasst. Zur Feier des Reformationsjubiläums veranstaltet die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Johannis eine Vortragsreihe, an der sich Hahn beteiligt.
In seinem Referat stützt er sich auf die Forschungen von Dr. Jürgen Emmert, der über Karlstadts Pfarrei und das religiöse Leben seine Doktorarbeit geschrieben hat. Hahn hat diese aber um eigenen Recherchen ergänzt.
Ein Beispiel dafür ist das Haus in der Kellereigasse 7 in Karlstadts Altstadt. Hahn ist überzeugt, dass es vor 1586 im Besitz eines Protestanten gewesen ist, denn dafür gibt es Hinweise. Die Inschrift in der Kammer im 1. Obergeschoss: „Der gantzen Wellt Placke und Verdeckte Luegn Gottes Wort bleibt Ewig Stehen“ ist für Hahn eindeutig lutherisch. Luther und andere Reformatoren hatten das Wort Gottes in den Mittelpunkt gerückt – die zweite Hälfte der Inschrift (lateinisch „Verbum domini manet in aeternum“) war im 16. Jahrhundert der zentrale Wahlspruch der Protestanten.
Weitere Spuren evangelischem Lebens gibt es im Gasthaus „Zur Rose“. Dort ist in der Deckenbemalung ein Zitat aus einem Gedicht eines bekennenden protestantischen Autors verewigt. Auch ein Relief über einen Torbogen in der Unteren Viehmarktstraße 7 mit dem Spruch „Du bist auch ein Nar(r)“ steht in humanistischer Tradition. Für Hahn sind dies Beweise, dass humanistisches und reformatorisches Bildungsgut im Karlstadter Bürgertum präsent war und bei der Hausgestaltung verwendet worden ist.
„Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wenden sich immer mehr Karlstadter dem evangelischen Glauben zu.“
Dr. Philip Hahn Historiker
Zudem war Karlstadt Geburtsort bedeutender Vertreter der Reformation wie Andreas Bodenstein. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde Bodenstein 1486 in Karlstadt im Gasthaus zum Goldenen Ochsen (heute Textilgeschäft „street one“ und Fahrschule Breitenbach) geboren. Er wendete sich gegen Ablasshandel und Bilder in der Kirche und führte die deutschsprachige Abendmahlsliturgie ein. Im Jahre 1525 hat er den Überlieferungen nach in der St. Andreaskirche in Karlstadt den ersten evangelischen Gottesdienst abgehalten.
In seiner Gesellschaft gibt es weitere „Karlstadter Humanisten“. Sie gehören zwei Generationen an: Johann Schöner (geb. 1477), Johannes Drach (geb. 1494); dann Michael Beuther d. J. (geb. 1522), der ein Neffe Drachs war. „Es sind berühmte Söhne der Stadt, sie verließen diese aber schon als Kinder beziehungsweise Jugendliche“, so Hahn. Daher hält Hahn für die Entwicklung des Protestantismus in Karlstadt jene Schüler für wichtiger, die im 16.
Jahrhundert an protestantischen Universitäten studierten und dann als Evangelische nach Karlstadt zurückkehrten. Als Beispiel nennt Hahn Markus Gerhard und Dietrich Scherenberger. Beide seien spätestens ab 1551 wieder in Karlstadt gewesen.
Das zeigte Wirkung: „Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wenden sich immer mehr Karlstadter dem evangelischen Glauben zu“, so Hahn. An Ostern 1579 seien nur noch 221 von zirka 2000 Karlstadtern zur Kommunion in St. Andreas gegangen. Mit der Gegenreformation endete aber diese Entfaltung evangelischen Lebens für Jahrhunderte. Mit den Juden mussten auch die Karlstadter Bürger die Stadt verlassen, die sich zur evangelischen Lehre bekannten. Lediglich während des 30-jährigen Krieges kam es zu einem kurzen evangelischen Intermezzo in der Stadt. Vom Sommer 1633 bis zum Sommer 1634 wirkte der evangelische Pfarrer Wolfgang Colewald in St. Andreas.
Erst in der Mitte des 19. Jahrhundertes kamen wieder evangelische Christen nach Karlstadt. Als 1887 die Portland-Cement-Fabrik gegründet wurde, zogen leitende Angestellte und Arbeiter aus protestantischen Gebieten nach Karlstadt. Zunächst wurden die Evangelischen durch die Pfarrei Thüngen betreut. Fabrikdirektor Paul Steinbrück aber engagierte sich für die Gründung einer privaten evangelischen Bekenntnisschule im Jahre 1892 (19 Kinder) und stellte finanzielle Mittel für die Lehrkraft zur Verfügung.
Allerdings bald nach Gründung der Schule entsteht Unfrieden, berichtet Hahn. Es habe Meinungsverschiedenheiten zwischen Pfarrer Johannes Hahn (Thüngen) und Paul Steinbrück wegen der Finanzierung der Schule gegeben. Nach Meinung des Pfarrers sollte das Zementwerk dauerhaft die Schule tragen. Steinbrück betonte, er habe nur seine persönliche Unterstützung zugesagt, nicht die des Zementwerks. Infolgedessen haben sich Steinbrück beziehungsweise das Zementwerk aus der Finanzierung zurückgezogen. Dadurch kam es zur Gründung des Evangelischen Vereins am 6.6.1899 als neuen Träger. Wenig später am Ostermontag, 13. April 1903, wird der Grundstein von St. Johannis gelegt und mit dem Bau der Johanniskirche hat sich das evangelische Gemeindeleben in Karlstadt verfestigt.
Im Rahmen des Reformationsjubiläums veranstaltet die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Johannis eine Vortragsreihe rund um das Thema Reformation. Weitere Vorträge sind geplant:
• Freitag, 20. Januar, 19:30 Uhr, "Luther und die Juden", Referent: Georg Schirmer.
• Mittwoch, 15. Februar, Luther kulinarisch, „EinBlick" in Herrn Käthes Küche
Referentin: Katharina Vautrin-Hofmann.
In diesem Jahr wird eine Broschüre von Dr. Philip Hahn mit dem Titel „Evangelische Spuren in Karlstadt – von der Reformation bis zum Kirchenbau (1903/04)“ in Druck gehen, die vom Historischen Verein herausgegeben und in der Tourist-Information zu erwerben sein wird.