Zum Jahreswechsel gehört traditionell, Bekannten, Freunden und Verwandten Gesundheit, Zufriedenheit und Erfolg zu wünschen. Es gibt aber auch Traditionen kulinarischer Art. Auf jeden Fall muss am Neujahrstag Kraut auf den Tisch. „Damit das Geld nicht ausgeht“, sagen nicht nur die Großmütter in Franken. Der Brauch ist auch in Hessen und im Badischen verbreitet. Dazu gibt es je nach Geschmack, Bratwürste, Ripple oder Haspel und Kartoffelbrei. Metzgermeister Norbert Lutz aus Langenprozelten bestätigt, dass kurz vor Neujahr die Nachfrage nach diesen Sauerkrautbeilagen spürbar steigt.
Tradition zum Jahresanfang
Eine nicht weniger traditionsreiche Spezialität zum Jahresanfang hat sein Nachbar, der Bäckermeister Berthold Rüb, zu bieten: die Neujahrsbrezel. Es gibt sie in Süddeutschland in verschiedenen Varianten: süß, salzig, groß und klein, aus Hefe-, Blätter- oder Laugenteig. Allen Varianten gemein ist die Symbolik als Glücksbringer. Das Gebäck soll vor Krankheit, Unglück und Hunger schützen.
Die verschlungene, runde Form steht außerdem für die Verbundenheit mit den Verwandten. Da liegt es nahe, dass Onkel oder Tante für das Patenkind zum Jahresbeginn eine Brezel besorgen. Beim Neujahrsbesuch wird das leckere Stück neben dem finanziellen „Neujährle“ zum „Prost Neujahr-Wunsch“ überreicht.
In Langenprozelten und den umliegenden Dörfern hat sich dieser Brauch gut gehalten, so haben die beiden Bäckermeister, Vater Berthold und Sohn Thomas, alle Hände voll zu tun, um in zwei Tagen insgesamt 1500 Brezeln in den Ofen zu schieben. Bis es so weit ist, ist das Können der Meister gefragt, denn Brezel ist nicht gleich Brezel.
Die Rübs fertigen ihre Stücke nach den Vorgaben von Bertholds Großvater Alfred Feser, der 1928 die Bäckerei übernommen hatte. Dem Familienrezept liegt ein mürber, gesalzener Brezelteig mit Pflanzenmargarine, Hefe und viel Milch zugrunde. Die Mischung der frischen Zutaten und das handwerkliche Geschick machen die Qualität aus, erklären die Bäckermeister der dritten und vierten Generation.
Sie müssen sich wie viele ihrer Kollegen gegen Billigangebote in den Supermärkten und Tankstellen behaupten, deren Teiggrundlagen oft aus Billiglohnländern kommen, wie sie berichten. Aus diesem Grund wünsche man sich in Deutschland generell etwas mehr Wertschätzung für hochwertige und gesunde Lebensmittel, wie sie beispielsweise die Nachbarn in Frankreich schon immer haben.
Der Kameradschaftsverein erhält für sein in den 1930er Jahren ins Leben gerufenes Brezelkarten das Gebäck mit einer besonderen Rezeptur. Wer in einer der Vierer-Kartrunden im Gasthaus Betz viermal gewonnen hat, bekommt auf den Zuruf „Brezel“ ein mit reinem Butterfett gefertigtes Exemplar. Der Gesamtsieger, der „Brezelkönig“, darf sich am Ende das große Einzelstück, sozusagen den gebackenen Lorbeerkranz, umhängen.
Um überhaupt die gewünschte Stückzahl produzieren zu können, beginnen die Vorbereitungen fürs Brezelbacken gleich nach Weihnachten. Butter wird in den Teig eingeschlagen, dann werden die Teiglinge abgewogen, mit dem Drückholz gedrückt und geformt, bevor jeweils fünf Brezeln auf den Backblechen landen, die anschließend zum Frosten in den Kälteraum kommen. Am Tag des Preiskartens, in diesem Jahr war es der 30. Dezember, wandern sie in den Ofen und die knackig-braunen Kringel gehen danach frisch an die Kartenspieler.
In sechs verschiedenen Größen
Die normale Neujahrsbrezel bietet Berthold Rüb in sechs verschiedenen Größen an, wobei die Preisspanne von 50 Cent bis sechs Euro reicht. Der Vorteil seines Gebäcks liegt an der vielseitigen Verwendung. Weil es ein Salzteig ist, verträgt sich die Brezel mit süßer Marmelade oder Nutella genauso wie mit Butter, Käse oder Wurst. Das sei bei süßen Brezeln, wie sie manchmal in anderen Gegenden Süddeutschlands üblich seien, nicht so einfach – ganz zu schweigen von den oberbayerischen Laugenbrezeln, die mittlerweile maschinell hergestellt würden.
Seine Kundschaft erhalte immer noch handgefertigte Einzelstücke, was sie auch schätze, meint der Chef beim Schlingen der Brezeln, die eigentlich mehr wie Kränze aussehen. Für die Beliebtheit des Gebäcks spricht die Nachfrage auch nach Neujahr. Weil die Leute die Brezel vor allem am Wochenende zum Kaffee genießen wollen, habe er das ganze Jahr über an den Samstagen zwei Sorten im Angebot – „auch, um nicht aus der Übung zu kommen“, meint der Brezelspezialist lächelnd.