Der Winter 1962/1963 war einer der längsten und strengsten des 20. Jahrhunderts. In Franken war der Main, in Österreich die Donau, in der Schweiz der Zürichsee und Anfang Februar 1963 schließlich sogar der Bodensee vollständig zugefroren, was zuletzt 1880 passiert war.
In Lohr begann der Winter am 9. Dezember 1962 mit einem Wettersturz. Die Kirchgänger, die auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst noch wenig Probleme hatten, fanden auf dem Heimweg die Straßen mit einer Schicht Glatteis überzogen vor. Am 21. Dezember begann es stark zu schneien, die Lohrer erlebten weiße Weihnachten, begleitet von extremer Kälte mit Temperaturen von minus 17 bis minus 20 Grad. Am Heiligen Abend war die Christmette in der Stadtpfarrkirche – vermutlich wegen der Kälte – nicht so gut besucht, wie in den Jahren zuvor.
Main mit Eisdecke
Der Main hatte eine fast geschlossene Eisdecke von der Quelle bis Aschaffenburg. Für abgelegene Gemeinden wirkte sich der lange und strenge Winter besonders schlimm aus. So war Hofstetten, das über keine ausgebaute Straßenverbindung verfügte und nur mit der Fähre von Langenprozelten erreichbar war, durch die Eisbarriere wochenlang vom Rest der Welt abgeschnitten. Auch die Fähre zwischen Erlach und Neustadt verkehrte ab Weihnachten nicht mehr. Hätten die in Erlach wohnenden Arbeiter nicht ohnehin Weihnachtsurlaub gehabt, hätte wohl mancher, der auf die Bahn von Neustadt aus angewiesen war, seinen Arbeitsplatz nicht erreicht. Anfang Januar bildete sich dann zwischen Neustadt und Erlach eine feste Eisbrücke, die sogar zum Fußballspielen genutzt wurde.
Halsbach war wegen meterhoher Schneeverwehungen zeitweise nicht mehr erreichbar. Selbst Schneepflüge kamen dagegen nicht an. In Wiesen konnte nur mit Mühe wenigstens die Straßenverbindung nach Frammersbach frei gehalten werden. Die Bundesbahn hielt zwar ihren Verkehr in Nordbayern uneingeschränkt aufrecht. Die Reisenden mussten allerdings lange Verspätungen in Kauf nehmen.
Polizisten retten Blässhühner
An einem Rodelwettbewerb der Katholischen Jugend an der Hohen Bahn in Lohr am 2. Februar 1963 beteiligten sich 140 Buben und Mädchen. Am 11. Januar leitete die Lohrer Wasserschutzpolizei eine Lebensrettungsaktion für auf dem Eis des Maines festgefrorene Blässhühner ein. Die Männer brachten rund 20 Tiere zum Aufwärmen in das Maschinenhaus des nahen Sägewerks Mayer.
Am Morgen des 3. Januar fiel noch einmal kräftig Schnee. Das Eis auf dem Main ging nur sehr langsam ab. Am Montag, 7. Januar fuhr der in Aschaffenburg stationierte Eisbrecher „von Pechmann“ mainaufwärts bis Steinbach. Von Würzburg aus kam ihm am nächsten Vormittag der Eisbrecher „Arthur Kaspar“ entgegen und am Nachmittag zusätzlich die „Frankenwarte“. Trotzdem wagte sich kaum ein Schiff in die freigemachte Fahrrinne, zumal die Meteorologen eine neue Kältewelle prognostizierten. Die Eisdecke auf dem Main wuchs von Bamberg bis Aschaffenburg bis zur Monatsmitte auf 30 Zentimeter an.
Beim Forstamt Ruppertshütten zwangen am 20. Januar anhaltende Kälte und hoher Schnee dazu, die Waldarbeiten einzustellen. Damit wurden 34 Waldarbeiter arbeitslos und der Arbeitslosenstand im Ort stieg auf 79 an.
Infolge der anhaltenden Kälte wurden Unmengen von Holz und Kohlen verfeuert, Streusalz und Sand verbraucht. Die Menschen atmeten schon auf, wenn einmal für ein paar Tage die Kälte bis auf minus acht bis minus fünf Grad nachließ. „Dar Winner könne mer geroet!“ („Auf diesen Winter können wir verzichten“) zitierte die Lohrer Zeitung einen alten Lohrer.
Die Industrie- und Handelskammer erklärte, dass eine „momentane Notlage auf dem Gebiet der flüssigen und festen Brennstoffe“ bestehe. Deshalb wurde eine Reihe von Transporterleichterungen zugelassen: Flüssige und feste Brennstoffe durften in jeder Größenordnung auch durch Fahrzeuge erfolgen, die sonst nur für den Nahverkehr zugelassen waren. Für den lebensnotwendigen Bedarf wurde auch der Einsatz von Bundeswehr-Fahrzeugen und solchen der amerikanischen Armee in die Wege geleitet.
Viele Wasserleitungen eingefroren
In Lohr und in vielen Gemeinden kam es zu Versorgungsproblemen, weil Wasserleitungen zufroren. Trat dann Tauwetter ein, platzten die Leitungen. Dazu kam, dass viele Einwohner – vor allem dort, wo noch keine Wasserzähler eingebaut waren – das Wasser Tag und Nacht laufen ließen, um das Einfrieren zu verhindern. Die Folge waren leere Hochbehälter.
Die Feuerwehren warnten, weil im Brandfall die Hydranten nicht funktionierten und weil der Main, die Lohr und die Bäche zugefroren seien stehe vielfach auch diese Möglichkeit der Löschwasserentnahme nicht zur Verfügung. In Partenstein musste das Wasser rationiert werden. In bestimmten Ortsteilen stand Trinkwasser nur noch stundenweise zur Verfügung
In der zweiten Februarhälfte setzte schließlich Tauwetter ein. Glücklicherweise schmolzen Schnee und Eis so langsam, dass die befürchtete Hochwasserkatastrophe ausblieb. Die Schäden an Straßen, Wasserleitungen und anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen durch den Jahrhundertwinter waren aber enorm. Ihre Beseitigung nahm noch Monate in Anspruch und riss große Löcher in die öffentlichen und privaten Haushalte.