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ZELLINGEN: Wie viel Mathe kann der Affe?

ZELLINGEN

Wie viel Mathe kann der Affe?

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    Ein Schimpanse.
    Ein Schimpanse. Foto: Johanna Eckert

    Ihr Arbeitsplatz ist ungewöhnlich: Es ist eine mit Regenwald bedeckte, etwa 40 Hektar große Insel in Uganda. Ihre Arbeitskollegen sind noch ungewöhnlicher: Es sind verwaiste und aus illegaler Haltung konfiszierte Schimpansen. Die Biologin Johanna Eckert aus Zellingen (Lkr. Würzburg) erforscht für ihre Doktorarbeit das Verhalten der Menschenaffen. Ihre Arbeitgeber sind die Universität Göttingen und das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Die 29-Jährige ist bereits zum dritten Mal auf der Insel. Kurz vor ihrem Abflug berichtet sie von ihrem Arbeitsalltag in Uganda, von der mathematischen Intelligenz der Affen, ihren individuellen Charakteren und von einheimischen Bayern-München-Fans.

    Frage: Warum forschen Sie ausgerechnet in Uganda?

    Johanna Eckert: Wir forschen auch im Leipziger Zoo mit Schimpansen. Doch für einige Studien brauchen wir eine größere Stichprobe oder Tiere, die noch keine Erfahrungen mit Forschern gesammelt haben.

    Wo kommen die Schimpansen her?

    Eckert: Alle Tiere haben eine ähnliche Geschichte. Sie sind in freier Wildbahn geboren und leben ungestört, bis Wilderer die Schimpansengruppe finden. Die Mütter werden umgebracht, ihr Fleisch als „Bushmeat“ angeboten und die niedlichen Babyaffen als Haustiere an Privatpersonen oder an Bars verkauft. Manche werden als „Schmuggelware“ am Flughafen aufgegriffen, andere von aufmerksamen Nachbarn den Behörden gemeldet. Mitarbeiter der Auffangstation besuchen die Besitzer der Tiere und klären sie darüber auf, was sie mit der illegalen Haltung anrichten. Viele Schimpansen haben dann schon Schlimmes erlebt.

    Zum Beispiel?

    Eckert: Einer der Schimpansen wurde aus einem kleinen Schuppen ohne Fenster befreit. Sein Besitzer hatte ihm ein kurzes Seil um den Bauch gebunden, damit er nicht fliehen konnte. Er wurde mit Küchenabfällen mehr schlecht als recht am Leben erhalten. Als die Mitarbeiter der Auffangstation das Tier befreiten, hatte sich das Seil schon tief in seinen Bauch eingeschnitten, so dass er schwer verwundet war. Diese Tiere werden auf der Insel erst einmal so lange medizinisch versorgt, bis sie fit genug sind und in die bestehende Gruppe integriert werden können.

    Wie viele Tiere sind vom illegalen Tierhandel in Uganda betroffen?

    Eckert: Der illegale Wildtierhandel ist ein großes Problem in Uganda – nicht nur für Schimpansen. Es gibt Dörfer, in die niemand von außen hineinkommt. Man weiß nicht, wie viele Tiere illegal gehalten werden.

    Warum gibt es die Auffangstation für Schimpansen?

    Eckert: Schimpansen stehen auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten. Es gibt Auffangstationen für fast alle bedrohten Tierarten, die sich in Gefangenschaft halten lassen. Berggorillas zum Beispiel sind in Uganda vom Aussterben bedroht. Aber sie lassen sich nicht in Gefangenschaft halten.

    Die Schimpansen leben also auch auf der Insel in Gefangenschaft?

    Eckert: Die Insel umfasst 40 Hektar. Auf zwei Hektar wohnen Tierpfleger, Wissenschaftler und Touristen. Der Rest der Insel ist bewaldet und das Revier der Schimpansen. Sie können sich dort frei bewegen. Doch man könnte die Affen nicht sich selbst überlassen. Der Wald könnte eine so große Schimpansengruppe nicht ernähren. Sie würde nicht überleben. Am Waldrand gibt es eine Lichtung mit einer Aussichtsplattform, auf der sich Touristen das Areal ansehen können. Dort werden die Tiere mit Obst und Gemüse gefüttert. Wenn die Sonne untergeht, können sie in ein Schlafgehege kommen: mit Futter, Hängematten und Heu. Die meisten verbringen sehr gerne die Nacht im Gehege und gehen am nächsten Morgen wieder raus. Einige übernachten auch im Wald.

    Sind Schimpansen Fleischfresser?

    Eckert: Ja. In freier Wildbahn jagen sie schwarz-weiße Stummelaffen oder kleine Antilopen. Oft ist die ganze Gruppe an der Jagd beteiligt.

    Was fressen Schimpansen am liebsten?

    Eckert: In meinen Tests benutze ich Erdnüsse. Die lieben sie. Sie mögen auch süße Früchte und Bananen sowie Gemüse, um satt zu werden.

    Wie alt werden Schimpansen?

    Eckert: In freier Wildbahn werden sie etwa 50 Jahre alt, in Gefangenschaft bis zu 60 Jahre.

    Wird die Insel irgendwann zu klein für die Gruppe?

    Eckert: Um den Platz für konfiszierte Tiere zu bewahren, wird keine Nachzucht betrieben. Die Affen erhalten Hormonimplantate. Manchmal kommt es trotzdem zu Unfällen. Bislang wurden drei Schimpansenbabys geboren. Das erste heißt „Surprise“ („Überraschung“). Noch gibt es Kapazitäten auf der Insel. Doch die Tiere sind alle noch relativ jung.

    Was ist das Thema Ihrer Forschungen?

    Eckert: Das Thema meiner Doktorarbeit ist die Evolution statistischen Denkens. Wir Menschen nutzen Statistik in komplexer Form, um Daten zu analysieren. Es gibt aber eine viel simplere intuitive Form der Statistik. Diese nutzen wir im Alltag immer dann, wenn wir anhand proportionaler Informationen abschätzen, wie wahrscheinlich ein Ereignis eintritt.

    Zum Beispiel?

    Eckert: Ich habe zehn Mal in einem Supermarkt Avocados gekauft. Nur drei Mal waren sie gut. Bei meinem Gemüsehändler um die Ecke habe ich drei Mal Avocados eingekauft. Zwei Mal waren sie gut. Absolut gesehen habe ich mehr gute Avocados im Supermarkt bekommen. Proportional gesehen weiß ich aber, dass die Wahrscheinlichkeit, gute Avocados zu bekommen, beim Gemüsehändler höher ist. Diese Art intuitiver Statistik ist uns Menschen in die Wiege gelegt. Babys, die noch nicht sprechen können, nutzen proportionale Informationen, um Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen. Die Frage, die wir Wissenschaftler uns stellen, ist: Ist das etwas typisch Menschliches? Dafür betrachten wir unsere nächsten lebenden Verwandten: die Affen.

    Dafür betrachten Sie Affen?

    Eckert: In der Tat. Wir lernen etwas über die Evolution unseres Denkens: Was macht uns Menschen so besonders? Zum anderen lernen wir etwas über Menschenaffen und nähern uns dem Geheimnis, ob und wie Tiere denken. In Uganda versuche ich herauszufinden, ob Affen die intuitive Form der Statistik beherrschen. Wenn wir unser Wissen über die Tiere vergrößern, können wir sie auch besser schützen.

    Mit welchem Ergebnis?

    Eckert: Sowohl die Menschenaffen in Leipzig als auch die Uganda-Schimpansen nutzen proportionale Informationen. Sie können abschätzen, wie wahrscheinlich ein bestimmtes Objekt aus einer größeren Menge an Objekten gezogen wird.

    Wie testen Sie das?

    Eckert: In meinen Studien sehen die Schimpansen zwei transparente Eimer, gefüllt mit zwei Futtertypen: Erdnüsse, die die Tiere lieben und Karotten, die sie nicht so gerne mögen. In einem Eimer sind mehr Erdnüsse als Karotten. Ich ziehe aus jedem Eimer zufällig und verdeckt ein Futterstück heraus. Ich halte die beiden Stücke in meinen geschlossenen Fäusten. Die Tiere können sich entscheiden, welche Hand sie wählen. Ich will sehen, ob sie aus dem proportionalen Erdnuss-Karotten-Verhältnis der Eimer schlussfolgern, bei welchem Eimer die Wahrscheinlichkeit höher ist, eine Erdnuss zu ziehen.

    Das durchschauen die Affen?

    Eckert: Das können sie erstaunlich gut. Im nächsten Schritt teste ich, ob sie statistische Informationen auch mit anderen Informationstypen kombinieren. Zum Beispiel, ob sie verstehen, dass Ziehprozesse nur in manchen Fällen zufällig sind.

    Ein Beispiel, bitte!

    Eckert: Einmal ziehe ich. Ich habe eine Präferenz für Erdnüsse. Dann zieht meine Kollegin. Sie bevorzugt Karotten – auch wenn der Eimer mehr Erdnüsse enthält.

    Die Schimpansen können einzelne Menschen und ihre Vorlieben unterscheiden?

    Eckert: Sehr gut sogar.

    Welcher Versuch kommt als nächstes?

    Eckert: Ich plane, die Affen wie bei einer Art Kaugummiautomat selbst an einer Schnur ziehen und ein Futterstück herausholen zu lassen. Ich teste, ob sie verstehen, dass es auch auf die räumliche Verteilung des Futters ankommt: zum Beispiel, wenn die Erdnüsse alle weit oben sind und es so unwahrscheinlicher wird, eine von ihnen unten herauszuziehen.

    Welche Affen testen Sie?

    Eckert: Ich teste alle Affen, die freiwillig bei meinem Versuch mitmachen wollen und kein Problem damit haben, etwas länger im Schlafgehege zu bleiben: Männchen wie Weibchen. Es scheint keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu geben. Die Tiere sind zwischen 10 und 33 Jahren alt. Babys können sich noch nicht so lange konzentrieren.

    Können Sie die Affen in Aussehen und Verhalten voneinander unterscheiden?

    Eckert: Jeder Affe ist speziell. Stellen Sie sich vor, Sie sehen eine Gruppe von 30 blonden, jungen Frauen. Im ersten Moment können Sie niemanden auseinander halten. Aber sobald Sie mit Einzelnen interagieren, sehen Sie die Individuen. Ähnlich verhält es sich mit Schimpansen. Der eine hat viel graues Haar auf dem Kopf, der nächste eine auffällige Nase. Mittlerweile erkenne ich die Einzelnen schon von hinten oder aus der Ferne. Charakterlich sind die Unterschiede noch deutlicher.

    Wie unterscheiden sich die Charaktere?

    Eckert: Es gibt Tiere, die auf Werkzeuge spezialisiert sind. Bei der Fütterung landen oft ein paar Obststücke vor dem Zaun. Es sind immer die gleichen Spezialisten, die warten, bis die anderen weg sind und sich dann mit Stöcken die Äpfel heranholen. Andere sind verspielt. Sie drehen sich gerne im Kreis, spielen Fangen oder ziehen sich gegenseitig mit einem Seil. Es gibt Tiere, die gerne lausen: eine Verhaltensweise, um soziale Bindungen zu stärken. Wenn ich bei einem meiner Tests mein Knie nahe am Gehege habe, kann es passieren, dass der ein oder andere anfängt, mir das Knie zu lausen. Dann gibt es aggressivere Charaktere, die wir nicht testen.

    Ist immer eine Barriere zwischen Ihnen und den Affen?

    Eckert: Ja, gerade wir Forscher, die wir die Tiere nicht so gut kennen wie die Tierpfleger, würden nie mit ihnen zusammen in ein Gehege gehen. Es sind unberechenbare, wilde Tiere, die extreme Kräfte besitzen.

    Wie sieht Ihr Alltag in Uganda aus?

    Eckert: Wir machen uns den Umstand zunutze, dass die meisten Tiere nachts ins Gehege kommen. Morgens, bevor sie wieder in den Wald gelassen werden, machen wir unsere Tests. Mittags kocht der Inselkoch meist Maisbrei mit Bohnen für alle. Nachmittags tragen wir unsere Daten ein. Wir haben ein kleines Büro mit Internetzugang. Die Station wird mit Solarstrom versorgt. Oder wir denken uns eine Beschäftigung für die Tiere aus, die verletzt sind und im Gehege bleiben müssen. Einmal haben wir Wasserballons mit Saft befüllt. Da hatten sie viel Spaß.

    Das klingt nach Kinderbeschäftigung...

    Eckert: Ein wenig. Sobald die Affen hören, dass wir im Büro sind, stehen sie am Gitter und schauen, ob wir wieder etwas basteln.

    Wie sehen Ihre Abende in Uganda aus?

    Eckert: Wir genießen die Sonnenuntergänge auf der Insel und beobachten die vielen seltenen Vogelarten. Häufig sitzen wir mit den Tierpflegern im gemeinsamen Wohnzimmer und schauen Fußball oder Nachrichten auf Luganda – tatsächlich manchmal auch Nachrichten aus Deutschland, die uns die Einheimischen übersetzen. Viele sind Bayern-München-Fans. Sie kennen alle einzelnen Spieler beim Namen.

    Tierpfleger für einen Tag: Besuch bei den Schimpansen Die Auffangstation für verwaiste und aus illegaler Haltung konfiszierte Schimpansen „Ngamba Island Chimpanzee Sanctuary“ in Uganda gibt es seit 1998. Dahinter steht die NGO „Wildlife Conservation Trust“, die sich über Spendengelder und Tourismus finanziert. Seit 13 Jahren arbeitet das Max-Planck-Institut in Leipzig mit der Station zusammen. 49 Schimpansen leben dort derzeit, darunter zwei Babyaffen. Etwa zehn Menschen wohnen und arbeiten in der Station. Die Insel im Viktoriasee ist 40 Hektar groß. 95 Prozent der Fläche sind bewaldet und dienen den Affen als Lebensraum. Den Großteil ihrer Zeit verbringen sie ungestört im Wald. Durch einen Elektrozaun getrennt leben, arbeiten und übernachten Tierpfleger, Wissenschaftler und Touristen. Dort gibt es ein Gehege, in dem die Affen freiwillig die Nacht verbringen können: mit Hängematten und Futter am Morgen. Touristen werden vom 23 Kilometer entfernten Festland mit dem Schnellboot (45 Minuten) auf die Insel gebracht. Eine Tour mit den Tierpflegern kostet inklusive Bootstransfer 60 Dollar. Wer übernachten und selbst als „Tierpfleger“ mit den Affen interagieren möchte, bezahlt 500 Dollar für die erste und 150 Dollar für jede Folgenacht. akl

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