Selbst beim Zigarettenkaufen wird Jaco Rittmann bereits erkannt: Wie es ihm gefalle und wann er wieder nach Hause fliege, hat man den verwunderten Namibier in Karlstadt gefragt. Auf „Gemlisch“, einer Mischung aus Deutsch und Englisch, hat er geantwortet. Auf „Gemlisch“ stellt er auch seine Fragen, wenn er im Training beim Zementwerk Schwenk neben den deutschen Kollegen an den Maschinen steht.
Für fünf Monate, von April bis Ende August, lebt, wohnt und arbeitet Jaco Rittmann gemeinsam mit vier weiteren Namibiern in Karlstadt. Sein Arbeitgeber: Das Zementwerk Schwenk. Sein Ziel: Möglichst schnell möglichst viel erfassen, aufnehmen und lernen. Denn nach der Rückkehr wird sein neuerworbenes Wissen über die Zementherstellung sofort gefordert: im neu gebauten Zementwerk in seinem Heimatland.
Warum man sich bei Schwenk für Namibia entschieden hat? „Es gibt dort noch kein Zementwerk“, sagt Werkleiter Johann Trenkwalder. Auch nicht in den angrenzenden Ländern Angola oder Simbabwe. In einem landesweiten Bewerbungsverfahren hatte das Werk nach rund 300 potenziellen neuen Mitarbeitern gesucht. 20 von ihnen, die meisten aus der Minen- und Schiffsindustrie, schickte man nach Deutschland. Verteilt auf die vier Schwenk-Werks-Standorte Bernburg, Allmendingen, Mergelstetten und Karlstadt werden sie derzeit in einem Trainingsprogramm zu Zementwerk-Spezialisten geschult.
„Ich habe vorher in einer Mine gearbeitet, aber ich wollte schon immer in ein Zementwerk“, erzählt Jim Horaeb. In Namibia ist er zukünftig Control-Room-Operator, das heißt er überwacht Drucke, Temperaturen oder chemische Qualitäten in der Zementproduktion. Was man hier falsch machen kann? „So einiges, zum Beispiel die Anlagen überhitzen oder im schlimmsten Fall zum Stillstand bringen“, erklärt Trenkwalder. Deshalb durften die 20 Namibier in der ersten Woche nur im Bernburger Werk am Simulator den Ofen- oder Zementmühlenvertrieb steuern. Nun aber stehen sie auch in Karlstadt neben den deutschen Kollegen im Schichtbetrieb.
„In Namibia ist es nicht normal, dass sich der Chef, wenn es sein muss, mal die Hose dreckig macht“
Johann Trenkwalder Werkleiter Schwenk Karlstadt
„Uns ist wichtig, den Leuten nicht nur fachliches Wissen zu vermitteln, sondern auch die Schwenk'sche Unternehmenskultur“, so Trenkwalder. Gerade bei Teamarbeit und dem Umgang miteinander gebe es unterschiedliche Vorstellungen. „In Afrika sind die Unternehmen sehr hierarchisch strukturiert. Da ist es nicht normal, dass sich der Chef, wenn es sein muss, mal die Hose dreckig macht“, sagt Werkleiter Johann Trenkwalder. Dass sie in Karlstadt zu jedem Zeitpunkt jeden Mitarbeiter ansprechen können und eine ausführliche Antwort bekommen, davon sind sie sehr überrascht und angetan, erklärt Tommy Besser.
Und auch sonst mögen sie das fränkische Städtchen, genießen „Beer and Beef“, nehmen am Fußballtraining teil, lassen sich die Altstadt zeigen oder flanierten erst kürzlich zwischen all den tausend anderen Besuchern über die Kulinarische Meile. „Die Leute sind sehr hilfsbereit“, erzählt Tommy Besser. Und wenn es mit der Verständigung auf „Gemlisch“ mal nicht so klappt, helfen Hände und Füße. Nach anfänglicher Verwirrung verstehen sie nun auch, was mit „genau“, „ach so“ und „servus“ gemeint ist.
Ende August geht es nun wieder zurück zu Familie und Freunden nach Namibia. Welche Souvenirs sie im Gepäck haben? Für die Familie gibt es T-Shirts von Lukas Podolski. Sich selbst haben alle fünf Karlstadter Namibier einen neuen Computer gekauft – so können sie zumindest virtuell immer mal wieder in Karlstadt vorbeischauen.