(lsw) In der Mannheimer „Straßenschule“ können junge Erwachsene ihren Schulabschluss machen. Für viele die letzte Chance, den Absprung aus dem bisherigen Leben zu schaffen.
Schüler wie David sind eigentlich der Traum der Lehrer: Rund 20 Minuten vor Unterrichtsbeginn ist er schon da, lobt die Pädagogen und deren Konzept und hat im letzten Schuljahr kaum gefehlt. Doch das war nicht immer so: David ist bereits 20 Jahre alt und hatte vor vier Jahren die Hauptschule nach der 7. Klasse abgebrochen, kam mit den Lehrern dort nicht zurecht. Erst durch die Mannheimer Straßenschule fand das ehemalige Heimkind wieder zurück und entwickelte den Ehrgeiz, doch noch einen Abschluss zu machen. Im Spätsommer war es soweit, erzählt er stolz: „Ich hab gesagt, ich mach den Hauptschulabschluss mit 2,0. Und ich hab das auch geschafft.“
Individuelles Lerntempo
So wie David sollen es viele Schulverweigerer oder Abbrecher im zweiten Anlauf schaffen. Das Kompetenzzentrum Straßenkinderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Freezone/StreetNight, eine betreute Anlaufstelle mit Notschlafunterkunft, gründeten deshalb vor rund einem Jahr die Schule. Genau an dem Ort, an dem sich Betroffene eh schon aufhalten. Zudem setzen die Sozialpädagogen und angehenden Lehrer auf Einzelbetreuung anstelle von Frontalunterricht, um junge Erwachsene auf eine Abschlussprüfung vorzubereiten, sagt Ute Schnebel, die Projektkoordinatorin. Im Sommer gelang das neben David zwei jungen Frauen an einer Realschule; landesweit haben mit ihnen nach Angaben des Kultusministeriums rund 250 weitere sogenannte „Schulfremde“ ihre Mittlere Reife erhalten.
Alexandra Danner sitzt mit einer jungen Frau in dem kleinen Raum an einem Tisch und diktiert ihr Vokabeln. „Ich wollte Praxiserfahrung sammeln“, begründet die Studentin ihr Engagement. In der Realität sei vieles doch ganz anders. Gewöhnen musste sich die 25-Jährige auch daran, dass ihre Schüler kaum jünger sind als sie selbst. An den Tischen nebenan nehmen andere Tandems teilweise dieselben Übungsblätter in Deutsch oder Englisch durch, und üben Erörterungen oder Vokabeln – aber jeder Schüler in seinem individuellen Tempo.
Zum Start der Straßenschule habe man zunächst den Unterricht in Gruppen versucht, da seien manche Schüler aber nicht mitgekommen und hätten sich benachteiligt und unwohl gefühlt, erzählt Ute Schnebel. Nun kümmern sich an jedem der vier Abende pro Woche durchschnittlich fünf Lehrer um die maximal zwölf „Schüler“. „Das ist ein großer Aufwand, aber das ist nötig“, sagt die Sozialpädagogin. Denn viele hätten ein Problem damit, „wenn da vorne einer steht“ und kämpften mit Konzentrationsschwierigkeiten.
Der Erfolg gibt den Initiatoren der Straßenschule recht. Ute Schnebel nennt das Beispiel einer jungen alleinerziehenden Mutter, die für ihre Mittlere Reife in der Straßenschule vorbereitet wurde und erfolgreich die Schulfremdenprüfung in einer Realschule ablegte. Leicht sei das aber nicht gewesen: „Sie hatte in ihrer Zeit hier auch eine Krise und wir wussten nicht „Bleibt sie dabei?“ In solchen Fällen, die „typisch sind für hier“, sei es die Kunst, die Teilnehmer wieder zurückzuholen, erzählt Schnebel. Im Fall der jungen Mutter wie auch bei den meisten anderen habe das geklappt.
Auf Spenden angewiesen
Die Straßenschul-Initiatoren überlegen deshalb, das Angebot auf neue Standorte auszudehnen, um eine weitere Hürde für diejenigen zu beseitigen, die kaum Fahrtgeld aufbringen können. „Wir möchten die Schülerzahl natürlich steigern“, sagt die Sozialpädagogin. Was fehlt ist Geld, denn nicht alle Lehrer arbeiten ehrenamtlich, zudem muss Material besorgt werden. Jeder Schüler soll 50 Euro im Monat zahlen, auch wegen der Wertschätzung des Angebots. Es gebe aber individuelle Vereinbarungen, für die, die nicht so viel zahlen können, sagt Schnebel. Das Projekt ist deshalb vor allem auf Spenden angewiesen. Denn der Bedarf ist auch nach einem möglichen Schulabschluss groß. David sucht einen Ausbildungsplatz und will „erstmal Geld verdienen“. Ein Anschreiben zu verfassen, fällt ihm schwer. Doch er weiß, dass er Hilfe ebenfalls in der Straßenschule bekommen kann.