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ROTTENDORF: Ersthelfer haben alles richtig gemacht

ROTTENDORF

Ersthelfer haben alles richtig gemacht

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    Fast genau ein Jahr ist es her, dass das Paar aus Rottendorf auf einer Kurierfahrt bei Wittighausen unterwegs ist. Katharina Wagner lenkt den Transporter, Jörg Weiß blättert in seinen Unterlagen, und Mischlingshündin Cassy schaut aus dem Fenster. „Da sah ich plötzlich eine Staubwolke aufsteigen“, erzählt Katharina Wagner. Erst glaubt sie, jemand sei von der Straße abgebogen – aber wohin bloß? Spontan entscheiden die beiden: „Schauen wir mal nach.“

    Auf den ersten Blick ist die Leitplanke intakt, doch auf der Fahrbahn liegt ein Schuh. Dann entdecken sie einen umgeknickten Pfosten. Jörg Weiß steigt über die Leitplanke und steht vor einem abgetrennten Bein. „Mach mal einen Notruf, aber ich glaube, es ist umsonst“, ruft Jörg Weiß seiner Freundin zu. Er steigt die Böschung hinab und macht sich auf die Suche nach dem Unfallopfer. Auf dem Weg nach unten entdeckt er Wrackteile des Motorrads, aber nicht den Fahrer.

    Auf halber Höhe sieht er Bewegung in einem Busch. Dort hängt Michael Seethaler, in seinen Rucksack verheddert. Ein Blick auf die Motorradkombi des jungen Mannes verrät Jörg Weiß, dass auch das andere Bein abgetrennt ist. „Er war ansprechbar, stand aber unter Schock“, erzählt der Retter.

    Der heute 21-jährige Motorradfahrer hat nicht mitbekommen, was ihm vor wenigen Sekunden passiert ist und will sich aufrappeln, um zum Volleyballtraining weiterzufahren. Jörg Weiß muss ihn niederringen, ehe er seine Hände über den klaffenden Wunden in die Beine drücken kann, um die Blutung aufzuhalten.

    Währenddessen steht Katharina Wagner mit ihrem Handy oben an der Straße und hält Kontakt mit der Rettungsleitstelle. „Ruf den Hubschrauber, alles andere macht keinen Sinn mehr“, ruft ihr Freund. Zum Glück ist der Hubschrauber ganz in der Nähe gerade in der Luft und landet Minuten später auf der Wiese.

    Inzwischen ist auch ein Bekannter des Opfers angekommen – zufällig ein Rotkreuzler. Während Jörg Weiß wartet, dass der Fliegerarzt übernimmt, kommen ihm „abwegige Gedanken“. Zum Beispiel, dass ihn das Geschwirre der Bremsen nervt, die vom Blut angelockt werden.

    Michael Seethaler wird in den Hubschrauber verfrachtet und nach Würzburg in die Uniklinik gebracht. Auf der Landstraße bleibt das Paar aus Rottendorf mit seinem Hund. Es steuert die Werkstatt an, bei der es eine Lieferung machen muss. Der blutbefleckte Jörg Weiß wird dort befremdet angestarrt. „Ich sah aus wie ein Axtmörder“, erinnert er sich.

    Zu Hause bleibt den beiden nichts übrig, als mit Freunden über das Geschehene zu sprechen. Eine Rückmeldung über das Befinden des Opfers ist nicht üblich. Und so erfahren Jörg Weiß und Katharina Wagner erst vier Wochen später von Seethaler selbst, dass er überlebt hat.

    „Mach mal einen Notruf, aber ich glaube, es ist umsonst.“

    Lebensretter Jörg Weiß am Unfallort zu Katharina Wagner

    Jörg Weiß kann wohl mit Fug und Recht als „Unfall-Profi“ bezeichnet werden. Durch seine Kuriertätigkeit ist er viel unterwegs und kam schon zu vielen Unfällen dazu. Auch solchen, wo keine Hilfe mehr möglich war. Seethaler ist erst der zweite, der sich bei seinen Rettern meldet, um sich zu bedanken. Später lädt die Familie die beiden zum Essen ein. „Das war die unwirklichste Situation in meinem Leben“, sagt der Lebensretter. Die Mutter des jungen Mannes sei unglaublich dankbar gewesen, und er habe gar nicht gewusst, wie er damit umgehen solle. Die Mutter ist es auch, die die Rottendorfer für die Lebensretter-Medaille des Landes Bayern und von Baden-Württemberg vorschlägt. Letztere wird im Rathaus von Wittighausen am Dienstag verliehen, und auch ihre Heimatgemeinde ehrte die beiden. Jörg Weiß und Katharina Wagner freuen sich darüber: „Es zeigt einem, dass man etwas richtig gemacht hat“, sagt Weiß.

    Und dass sie es richtig gemacht haben, beweist Michael Seethaler an jedem Tag seines Lebens durch seinen unglaublichen Elan. Der Physikstudent hat das Gehen auf zwei Prothesen erlernt, und nicht nur das. Der Wittighäuser arbeitet auf seine Teilnahme als Sprinter bei den Paralympics hin. Sein Studium hat er auch längst wieder aufgenommen.

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