Ein klassisches Streicher-Bläser-Oktett und – zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte dieser Konzertreihe - eine Komponistin zeitgenössischer Musik in persona präsentierten sich bei der jüngsten Veranstaltung der Tauberbischofsheimer Schlosskonzerte – dieses Mal wieder im restlos voll besetzten Rathaussaal.
Die „Ludwig Chamber Players“, eine Formation aus Mitgliedern des SWR-Symphonieorchesters und Preisträgern des ARD-Musikwettbewerbs, haben sich der Gründung 2013 neben Aufnahmen des klassischen Repertoires von Mozart bis Prokofjew auch für Werke der zeitgenössischen Musik offen gezeigt. Einige Kompositionen wurden speziell für sie geschrieben.
Eine Auftragskomposition für das Ensemble stellt auch das Konzertstück „Yume mono gatari - Traumgeschichte“ von Susanne Zargar Swiridoff dar. Sie ließ es sich nicht nehmen, der Uraufführung ihrer jüngsten Schöpfung im Rathaussaal persönlich beizuwohnen und einige erläuternde Worte vorauszuschicken.
Standard für alle Oktett-Formationen
Der restliche Teil des Programms blieb verständlicherweise der Klassik vorbehalten – mit einem sehr gewichtigen Beispiel, nämlich Franz Schuberts Oktett in F-Dur, einem der berühmtesten Werke der Gattung. 1824 entstanden und seither im Ansehen immer weiter gewachsen, ist es mittlerweile ein Standard für alle Oktett-Formationen und gilt, nicht nur aufgrund seiner ungewöhnlichen Länge (mit nahezu einer Stunde Spieldauer) als eines der bedeutendsten Kammermusikwerke des 19. Jahrhunderts. Es wird sowohl als Nachfolgewerk von Beethovens ein Vierteljahrhundert zuvor entstandenem Septett gesehen, als auch als Vorbereitung Schuberts für die folgende große C-Dur-Symphonie.
Sozusagen als Kostprobe zu Beginn des Abends hatten die "Chamber Players" schon ihre Version der Ouvertüre zu Rossinis „Barbier von Sevilla“ serviert. Man muss in diesem Zusammenhang wieder einmal betonen, welch wunderbare Akustik der Rathaussaal gerade für diese Art Klangkörper bereit hält: Ein Oktett, das heißt eine fast gleichgewichtige Verbindung von fünf Streichern und drei Bläsern vermag unter diesen Bedingungen orchestrale Klangfülle zu entfalten. Zugleich sind alle beteiligten Instrumente bis ins Detail durchhörbar, in Farbe und individuellem Ausdruck permanent lebendig und gegenwärtig, zumal wenn es sich um solch ein Klasseensemble handelt.
Überraschende Tempowechsel, dynamische Nuancen
Klanglich rund, plastisch und voll Liebe zum Detail geriet so die Rossini-Ouvertüre, auch weil die Musiker und Musikerinnen der Versuchung widerstanden, durch ein anfangs übermäßiges Tempo südliches Temperament und „Italianitá“ zu suggerieren, eine Wirkung, die sie vielmehr viel schöner durch überraschende Tempowechsel und dynamische Nuancen erzielten.
Nach der Pause schließlich als einzige Nummer Schuberts Oktett mit seinen sechs Sätzen: Dabei ist man unschlüssig, was man mehr loben soll – die Transparenz und farbensatte Sinnlichkeit des Gesamtklangs, die Liebe und Sorgfalt, die das Ensemble jedem einzelnen Satz angedeihen ließ, die hinreißenden Bläser-Kantilenen im Adagio, die rustikale Unbekümmertheit des Scherzos, die beschwingte Delikatesse des Menuetts, die facettenreiche Vielfalt des endlos scheinenden Variationensatzes oder den unwiderstehlichen Schwung des Finales.
Minutenlanger Beifall im Rathaussaal
Für den minutenlangen Beifall im Rathaussaal bedankten sich die „Ludwig Chamber Players“ mit zwei launigen Unterhaltungs-Zugaben, darunter auch eine zum Mitklatschen, die „Petersburger Schlittenfahrt“.
Die 1955 in Schwäbisch-Hall geborene Komponistin Susanne Zargar Swiridoff, die seit 1979 an der Staatlichen Hochschule für Musik in Stuttgart lehrt und neben ihrem Musikschaffen auch als Galeristin tätig ist, kann mittlerweile auf ein stattliches Werk mit über 90 Titeln zurückblicken, darunter vier Opern, Orchester-, Kammer- und Vokalmusik sowie auf zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen.
Der japanische Titel der Komposition „Yume mono gatari – Traumgeschichte“ verweist auf Swiridoffs Interesse an außereuropäischen Kultur- und Musiktraditionen. Dass sie sich auch von literarischen Vorbildern inspirieren lässt, deutete sie in einer längeren Einführung mit Verweisen auf Edgar Allan Poe und Rainer-Maria Rilke an. Sie verglich die Aufführung mit einer Reise in Neuland, zu der sie das Publikum einlud – zu einem vorbehaltlosen Sich-Einlassen auf ein Beispiel zeitgenössischer Musik mit ihrer Verbindung von Bekanntem und Unbekanntem oder Neuartigem.
Dialog zweier unterschiedlicher Welten
In der Tat bietet das Stück so etwas wie eine Interaktion, ein Wechselspiel beziehungsweise einen Dialog zweier unterschiedlicher Welten: Derjenigen der herkömmlichen Dur-Moll-Dreiklänge, die von den drei Holzbläsern intoniert werden und so etwas wie einen wiederkehrenden Orientierungspunkt, eine halbwegs verlässliche Basis für den Hörer bilden, mit der freieren, ungebundenen Welt der fünf Streicher, die mit einer Vielfalt von (ehemals) ungewöhnlichen und unüblichen Techniken und Tonabständen sowie extremen Tonlagen aufwarten und damit so etwas wie eine antagonistische Gegenwelt repräsentieren.
Sie erzeugen geisterhafte Wirkungen und rufen damit in dieser „Traumgeschichte“ eine Welt des Irrationalen und Fantastischen auf, wo wie im Traum die vertraute Logik außer Kraft gesetzt wird. Auch für jemanden, der sich bisher nicht mit zeitgenössischer Musik beschäftigt hat, aber nicht in steriler Abwehr verharren will, wird diese Uraufführung zu einem anregenden Hörerlebnis geworden sein.