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SCHWEINFURT: 45 Minuten richtig alt: Was Schüler daraus lernen können

SCHWEINFURT

45 Minuten richtig alt: Was Schüler daraus lernen können

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    Wie fühlt es sich an, älter zu sein? Zahnmedizinische Fachangestellte der Ludwig-Erhard-Schule können diese Erfahrung im Unterricht machen. Die Staatliche Berufsschule II hat ein sogenanntes Plus-Programm zur Alterszahnheilkunde aufgelegt.
    Wie fühlt es sich an, älter zu sein? Zahnmedizinische Fachangestellte der Ludwig-Erhard-Schule können diese Erfahrung im Unterricht machen. Die Staatliche Berufsschule II hat ein sogenanntes Plus-Programm zur Alterszahnheilkunde aufgelegt. Foto: Foto: Ulrike Hoch

    Fünf Minuten bin ich 76. „Gert“ zieht und zerrt an mir, das Laufen fällt schwer, die Bandagen an Knien und Ellbogen machen die Bewegungen steif. Gewichte an Fesseln, Oberkörper und Handgelenken simulieren die fehlende Beweglichkeit. Doch das schlimmste ist, dass man weder gut sehen noch hören kann. Eine Brille täuscht das eingeschränkte Sehen im Alter vor, ein Kopfhörer dämpft jedes Geräusch um mich herum, auch die Worte meines Gegenübers. Ich laufe wie eine „alte Frau“, vorsichtig die Treppe hinunter, Schritt für Schritt, sagt Ulrike Hoch später. „Das ist bei jedem so.“

    Es liegt an „Gert“. So heißt der Simulationsanzug, den die Ludwig-Erhard-Schule für ihr Plus-Programm angeschafft hat, das seit Anfang des Schuljahres läuft. Gezahlt hat die Stadt, und das problemlos, denn auch dort hat man gleich erkannt, wie zeitgemäß das Thema und das Programm der Berufsschule II sind, sagt Joachim Koch, stellvertretender Schulleiter. Idee und Ausarbeitung stammen von Ulrike Hoch. Einmal die Woche wird ihre zehnte Klasse fit gemacht in Sachen Gerostomatologie, Alterszahnheilkunde. Abgesegnet ist das Ganze vom Kultusministerium, das mit der Freigabe von Plus-Programmen die Möglichkeit eröffnet, Stoffe aufzugreifen und zu vertiefen, die im Lehrplan nicht vorgesehen, aber wichtig sind.

    Neue Anforderungen in der Zahnmedizin

    Und das ist, davon sind Ulrike Hoch und Joachim Koch überzeugt, bei dem Plus-Programm Alterszahnheilkunde absolut der Fall. Schließlich, und das ist kein Geheimnis, wird die Gesellschaft immer älter. Nach Schätzungen des Bundesamtes für Statistik stehen im Jahr 2030 100 Erwerbsfähigen 71 Senioren gegenüber. Und diese Entwicklung, so Ulrike Hoch, hat auch Auswirkungen auf die Zahnmedizin, in der die Alterszahnheilkunde in Zukunft eine große Rolle spielen werde und neue Anforderungen stellt – an Zahnärzte, Zahntechniker und eben Zahnmedizinische Fachangestellte, wie die Zahnarzthelferinnen und -Helfer heute heißen.

    Auch sie beraten die Patienten – wie putze ich richtig, wie sieht eine Ernährung aus, die auch den Zähnen gut tut? Fragen, in denen die Schüler im Plus-Programm ebenso fit gemacht werden wie in anderen Bereichen. Beispielsweise, was die körperlichen und psychischen Veränderungen bei älteren Patienten betrifft, wie eine seniorengerechte Praxis aussehen sollte, wie man mit älteren Patienten umgeht, mit ihnen spricht oder welche Erkrankungen die Behandlung beeinflussen können. Am wichtigsten aber ist Ulrike Hoch, dass die Schüler Erfahrungen machen, beispielsweise mithilfe des Simulationsanzuges erleben, wie sich Ältere fühlen. Etwa 30 Jahre nimmt „Gert“ von der Beweglichkeit seines Trägers, Brille und Kopfhörer simulieren die Sinnesbeeinträchtigung eines weit älteren Menschen.

    Jede Woche lässt sich ein anderer Schüler den Anzug anlegen, nimmt so am Unterricht teil, freiwillig. Wie sich das anfühlt? Nicht gut, meinen drei Schüler, die sich bereit erklärt haben, mit der Redakteurin zu reden. Sich zu bewegen ist anstrengend, das Hören extrem schwer, die Kopfhörer haben die meisten schnell abgesetzt, weil sie sonst kaum etwas vom Unterricht mitbekommen hätten. Ganz ehrlich, sagt Jelisa Donnert, da „hat man keinen Bock alt zu werden“. Der Wechsel von normalem Körpergefühl hin zu „bleischwer“ ist krass.

    Einen Gang herunterschalten

    Aber, da ist sie sich mit Laura Pretzer und Adrian Felsen einig: Sie können sich nun viel besser in die älteren Menschen hineinversetzen, die zu ihnen in die Praxis kommen. Wissen, dass diese Patienten länger brauchen, schlechter hören, dass man langsamer gehen muss, um sie ins Zimmer zu führen, deutlicher reden sollte. Geduld haben, einen Gang herunterschalten – und das im normalen, manchmal hektischen Praxisalltag, erklärt Adrian.

    Allein dafür, dass die Schüler sensibler geworden sind für die Bedürfnisse älterer Menschen, hat sich das Programm schon gelohnt, sagt Ulrike Hoch. Im Juli will die Klasse ein Lehrvideo drehen, vorgestellt werden das Programm und der Anzug auch bei dem Projekttag „LEBS ist bunt“ am 19. Juli.

    Plus-Programme an Berufsschulen Das Kultusministerium eröffnet mit den sogenannten Plusprogrammen den Schulen die Möglichkeit, Themen aufzugreifen und zu vertiefen, die so im Lehrplan nicht vorgesehen sind. Trends und Veränderungen lassen sich damit aufgreifen. Die Ausarbeitung des Programm-Inhalts ist Sache der Schulen. Um Zeit für die Plus-Programme zu haben, darf pro Woche eine Stunde Deutsch oder Sozialkunde ersetzt werden. Das Plusprogramm für Zahnmedizinische Fachangestellte ist nicht das einzige an der Berufsschule II in Schweinfurt, das seit diesem Schuljahr läuft. Ein zweites beschäftigt sich mit dem Datenverarbeitungsprogramm SAP. Ein drittes, für Groß- und Außenhändler, soll nächstes Jahr dazukommen.

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