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SENNFELD: Äthiopischer Flüchtling im Sennfelder Posaunenchor

SENNFELD

Äthiopischer Flüchtling im Sennfelder Posaunenchor

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    Alec zeigt Hochzeitsfoto und das mit seinen Kindern.
    Alec zeigt Hochzeitsfoto und das mit seinen Kindern. Foto: Foto: Hannes Helferich

    Die Gesamtsituation trieb Alemayehu Tibebu Kidaneword fast in den Wahnsinn: 2012 hat der studierte Studiotechniker sein Heimatland Äthiopien aus politischen Gründen verlassen. Frau und zwei Kinder müssen zurückbleiben. In der Schweinfurter Unterkunft teilt er sich mit zwei Asylbewerbern ein Zimmer. Arbeiten darf er nicht. Der Flüchtling wird depressiv. Die Mitbewohner erkennen das und ergreifen die Initiative.

    Das Trio unternimmt ausgedehnte Spaziergänge. Im Mai 2013 landen sie bei einem solchen Ausflug zufällig in Sennfeld, hören sich ein Konzert an. Heute ist Alec, wie sie ihn alle im Reichsdorf nennen, Mitglied im Evangelischen Posaunenchor Sennfeld. Er hat im Ort eine Lehrstelle bekommen und wird möglicherweise bald in Sennfeld wohnen.

    Alec wollte das Konzert im Saal des evangelischen Pfarrheims am Plan unbedingt hören. In seiner Schule in Addis Abeba hatte er Posaune gespielt. Das ist zwar zehn Jahre her, aber die Möglichkeit, sich mit Musik die Zeit zu vertreiben, die wollte er nutzen.

    Nach dem Konzert geriet der 35-Jährige über das Chormitglied Ingilt Grüne an Sigrid Heinemann, die zweite Chorleiterin und Ausbilderin der Jungbläser. Bei der nächsten Probe war Alec schon dabei. Er sei „sehr aufgeregt“ gewesen, weil er ja nicht wusste, wie die Musiker reagieren. Es sei aber „unglaublich“ gewesen, sagt er in einem schon recht guten Deutsch: „Ich wurde sehr herzlich aufgenommen.“

    Anfangs verständigte man sich „viel in Englisch und ein wenig in Deutsch“. Englisch ist zwei Jahre später nicht mehr nötig. Für Alec war alles neu, vorneweg die Lieder im Repertoire des Posaunenchors. Aber mit seiner Unbekümmertheit („Ich dachte mir, spiele einfach Musik“), die er schnell wieder gefunden hatte, kam er prima zurecht.

    „Er hat sich unheimlich schnell angepasst“, sagt Wolfgang Röder, „Alec gehört einfach dazu“, sagen andere. Der Posaunenchor hat dem Flüchtling ein Instrument gestellt. Damit er den Weg in die Schweinfurter Sattlerstraße nicht immer zu Fuß gehen muss, vermittelt ihm Emil Heinemann – Ehemann von Sigrid, Chormitglied und Bürgermeister – ein Fundrad aus dem Bauhof.

    Noch heute ist es „in Betrieb“.

    Weil die Behörden Alec keinen Deutschkurs finanzierten, sammelte Sigrid Heinemann beim Posaunenchor und dem von ihr geleiteten Sonnenstrahlen-Chor. Alec hat alle sieben Module durchlaufen. Übrigens: Sigrid hatte er gefragt, ob man ihn, sollte ihn die Sennfelderin Deutsch lehren, dann auch in ganz Deutschland versteht. Dann sagt er selbst in bestem Fränkisch: „Schau mä ämol.“ Alec „ist musikalisch und menschlich eine Bereicherung“, sagt Chormitglied Barbara Vogel.

    Bei der Probe sitzt Chormitglied Martina Volkmann neben ihm. Sie ist jetzt auch seine „Chefin“. Bei der Maschinenbaufirma Volkmann in Sennfeld fing Alec im November 2014 als Aushilfe an, im Juni und Juli 2015 folgte ein Praktikum, seit 1. August ist er Azubi. Die Lehre zum Maschinen- und Anlageführer dauert zwei Jahre. Die Option aufzustocken besteht. Nach weiteren anderthalb Jahren wäre Alec Zerspanungsmechaniker.

    „Alle reden von sozialer Integration, wir leben sie“, sagt Martina Volkmann. Schon im Praktikum zahlte man das Lehrlingsgeld. Statt zwei gibt es heuer eben drei Lehrlinge, berichtete Volkmann. Weil Alec als noch nicht anerkannter Flüchtling keinen Anspruch auf Stützunterricht hat, den es für Lehrlinge mit Defiziten gibt, organisierte das „Netzwerk Posaunenchor“ einen solchen. Alec bekommt jetzt zusätzlich „Nachhilfe“ in Deutsch und Sozialkunde, Chormitglied Heinz Fischer lehrt ihn Mathematik und Technik. Auch eine kleine Wohnung war gefunden. Ein Umzug ist aber erst nach drei Jahren Aufenthalt möglich. Im September wird Alec einen Antrag stellen.

    Warum Posaune? In seiner Schule in Äthiopien wurde Musikunterricht angeboten. „Die Lehrerin hat das bestimmt, weil ich lange Arme hatte“, lacht er. Und seine Zukunft? Die ist ungewiss. Sein Asylantrag ist noch nicht endgültig beschieden. Sein Aufenthalt wird stets befristet verlängert. Zurück kann er aber keinesfalls, zumal er als Mitglied der Oppositionspartei und weiterhin aktiver Blogger mit einer langen Haftstrafe rechnen muss. Alec will seine Frau Weinesnet und die Kinder Amen (6) und Markon (3) nach Sennfeld holen, sobald er anerkannt ist. Sennfeld, das hat er tatsächlich gesagt.

    Der Bürgermeister hat Kontakt zum Anwalt von Alec aufgenommen, um den derzeitigen Status zu erfahren. Aus der Erfahrung mit Alec müssten sich die Gesetze, die zu Zeiten mit weniger Flüchtlingen sicher ihre Berechtigung hatten, ändern, angepasst werden. „Das dauert alles zu lange“, sagt Emil Heinemann, für den Alec der klassische Fall gelebter Integration ist. „Er will, wir wollen, in seiner Lehrfirma ist er anerkannt.“ Wenn Alecs Frau kommen darf, bekommt Sennfeld vielleicht eine neue junge Familie dazu. Und der Evangelische Posaunenchor profitiert ja auch. In Planung ist ein äthiopisches Volkslied. Geübt wird es schon. Und am Wochenende bei der Sennfelder Kirchweih ist Alec mit dem Posaunenchor im Einsatz.

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