Eigentlich wollte sie Grundschullehrerin oder Kunstpädagogin werden, doch dann hat sich Kerstin Krammer-Kneißl einen ihrer größten Träume selbst erfüllt: Die „Papierwerkstatt“ in Rügshofen ist ihr eigener kleiner Laden, in dem sie individuell gestaltete Fotoalben, kleine, handgeschöpfte Dekoartikel, abstrakte Bilder und vor allem handgearbeitete Briefkarten anbietet. Diese sind nicht nur von der Künstlerin selbst beschrieben oder mit schönen Details gestaltet worden, sie verwendet für deren Herstellung sogar selbst geschöpftes Papier.
Gelernt hat sie dieses uralte Handwerk, welches vor rund 2000 Jahren in China entstand, in einem Kurs während ihres Studiums. Es ging darum, Grundschülern den Umgang mit Papier nahezubringen. „Ich war sofort Feuer und Flamme“, sagt Krammer mit der Überzeugung einer waschechten Idealistin.
Handarbeit
Beim Papierschöpfen werden gerissene Papierschnipsel in Wasser eingeweicht und mit einem Mixer zu einem Papierbrei, der sogenannten Pulpe, verarbeitet. „Die Papierfetzen müssen gerissen werden“, erzählt Krammer, „damit die Zellulosefasern möglichst lang bleiben und sich beim Schöpfen optimal verbinden. Dass man dabei aus nicht mehr benötigtem Kopier- oder Schreibpapier wieder Neues erschaffen kann, hat mich schon an der Uni fasziniert.“ Beim zeitaufwendigen Zerreißen des Grundmaterials hilft auch die Familie aus, nicht nur die Eltern, sondern auch die Schwester und deren Kinder, besonders, wenn die Nachfrage nach individuell gestalteten Geschenken und Papierartikeln groß ist.
Die Fasern sollten zwei bis drei Tage im Wasser weichen. Dann wird der pürierte Brei in ein Becken mit Wasser gegeben und durchmengt. Mit einem Spezialsieb, der die Form des späteren Papierblatts hat, wird alles abgeschöpft. Das Sieb besitzt einen abnehmbaren Deckel, wie eine Art Rahmen. Nun folgt das „Abgautschen“: Der Deckel wird entfernt und die feuchte Papierschicht vorsichtig auf ein Abgautschfilz übertragen. Dieser Vorgang wird einige Male wiederholt, wobei man die Filze abwechselnd mit den Papierbögen aufeinander schichtet. So entsteht die Grundlage für das spätere Papier.
Der Pack Stoff-Papierbrei-Schichten kommt unter eine Presse, um das überschüssige Wasser herauszudrücken und die Fasern fest miteinander zu verbinden. Das Trocknen auf dem Siebwagen dauert etwa einen Tag – wenn es warm ist, lassen sich die fertigen Papierbögen schon nach wenigen Stunden vom Filz lösen, wenn sie an der Wäscheleine aufgehängt werden. Im Winter wird oft die Wärme eines Kachelofens genutzt.
Natürlich lässt sich aus dem Recyclingstoff nicht nur helles Papier herstellen: Mithilfe von lichtechten Batikfarben oder Naturfarben, wie Roter Beete, Tee und Gewürzen, lassen sich unterschiedlichste Farben und Strukturen gewinnen.
Handgefertigte Werkzeuge
Sämtliche Werkzeuge zur Papierherstellung sind in Handarbeit gefertigt. Der Vater der Künstlerin fertigte die unterschiedlichsten Formate an Schöpfsieben, verschiedene Holzmodeln zur Herstellung von Papierobjekten, und die Papierpresse entstand aus einem ausrangierten Wagenheber.
Das Papierschöpfen selbst ist für Krammer ein „schöner Ausgleich zum stillen Werken am Schreibtisch“, damit meint sie das Gestalten der Karten und Alben aus dem handgeschöpften Papier, welches einen Großteil ihrer Arbeit ausmacht. Ob Hochzeits-, Glückwunsch- oder Trauerkarten, Einladungen, Menü- oder Tischkärtchen – in ihrem Sortiment findet sich zu fast jedem Anlass etwas. Und jedes Stück ist anders: Das in sorgfältiger handwerklicher Arbeit hergestellte Papier wird mit der Schere in kleine Motive geschnitten. So unterscheidet sich jedes noch so kleine Herzchen oder Blümchen vom anderen – den Einsatz einer Stanze lehnt die Kunsthandwerkerin kategorisch ab. Dass jede Karte mit einem Titel in Handschrift vollendet wird, macht sie rundherum zum Unikat. Farben und Formen werden für jeden Auftrag mit den Kunden besprochen und ausgeführt.
Gewerbeschein zum Examen
Bei der Frage nach den Anfängen der Geschäftsidee sagt Krammer: „Noch während des Studiums entstanden viele Karten und Papierobjekte für Freunde und die Familie, es gab erste Testverkäufe auf Kunsthandwerkermärkten. Der eigentliche Türöffner zur Papierwerkstatt war aber mein Mann: Er schenkte mir nach dem Examen einen Gewerbeschein zum Geburtstag und gab mir damit den letzten Anstoß für den Schritt in die Selbstständigkeit.“
Noch immer macht sie alles alleine. Es sei einfach ihre Leidenschaft, erklärt sie. Wenn sie jemanden einstellen würde, wäre es nicht mehr ihre eigene Art der Gestaltung. Wenn sie mal nicht in der Werkstatt schöpft oder Karten und Alben gestaltet, trifft man die Künstlerin auf vielen Kunsthandwerkermärkten in der Umgebung, aber auch überregional.
Krammer hat weitere Talente. Als Gästeführerin zeigt sie Touristen und Interessierten die Stadt Gerolzhofen oder die Museen. Sie kann dabei nicht nur Kenntnisse aus ihrem Zweitstudium Kunstgeschichte anwenden, sondern findet das Zusammenkommen mit positiv gestimmten Gruppen sehr bereichernd und „eine wunderbare Ergänzung zum stilleren Leben in der Werkstatt“.
Wer die Künstlerin und ihre Werke persönlich kennenlernen möchte, kann einen Termin vereinbaren; ihr Laden ist auf Anfrage geöffnet. Infos im Internet unter www.papierundschrift.de