So viel wir auch lesen, schauen und zuhören mögen, wir im Westen werden nie wirklich nachvollziehen können, wie es damals war in der DDR, wie die Menschen gelebt – und wie im Fall des Künstlers Hartwig Ebersbach – auch rebelliert und gekämpft haben. Vielleicht erklärt dieses Manko die Zurückhaltung, mit der Ebersbach den Zuhörern seiner Lesung in der Kunsthalle zumindest anfangs begegnet. Er gibt sich so ernst wie auf dem Titelfoto des Buches, aus dem er vorliest: Ateliergespräche mit Hartwig Ebersbach.
Am Schluss zeigt er doch seine humorvolle Seite, die Kuratorin Andrea Brandl schon angekündigt hatte und erklärt den grimmigen Gesichtsausdruck auf dem Foto mit einem ordentlichen Kater. Am Abend vor dem Fototermin habe er Wodka mit Neo Rauch getrunken und dann sehe er eben so aus. Apropos Alkohol. Auf den kommt er ziemlich schnell zu sprechen. Er verdanke dem Alkohol eine Menge von Halluzinationen und Träumen als Literatur für seine malerischen Exkursionen. Hätte es damals schon Drogen gegeben, liest er vor, er hätte sie ausprobiert. Er wollte auf diesem Weg seinen Urgrund finden, seine uralte Seele.
Das Buch, in dem Ebersbach so intime Einblicke in sein Leben und Sein ermöglicht, hat der Autor Norbert Wartig verfasst, der den Maler von 2005 bis 2009 immer wieder besucht und bei seiner Arbeit begleitet hat. Aus den intensiven Gesprächen und Briefen zwischen den beiden Männern – der eine 1940 in Zwickau, der andere 1973 in Leipzig geboren – ist ein ungewöhnliches und sehr spannendes Buch geworden, eine Mischung aus Briefroman, Porträt und Interview. Außerdem hat Wartig einen Film über Ebersbach gedreht, in dem nicht nur der selbst zu Wort kommt, sondern eine Reihe von Kunsthistorikern und Galeristen, die eine Einordnung von Ebersbach Werk versuchen.
Der Film bildete den Auftakt des Abends, die Lesung den zweiten Teil. Wartig übernimmt im Buch den Part des Erklärers, der in bewusst steifer, ja fast sperriger Sprache beschreibt, wie das damals war in der DDR, wer wichtig war, wie Entscheidungen getroffen wurden. Er wollte sich so abheben von der direkten Sprache Ebersbachs, die den Leser (oder Zuhörer) sofort packt und hineinzieht in die Welt des Kaspars und des Haruspex, des Leberbeschauers und Vorzeichendeuters.
Damit sind wir endlich bei der Kunst von Ebersbach, die in Schweinfurt nicht unbekannt ist seit seiner beeindruckenden Werkschau in der Sparkassengalerie 2006 und der Ausstellung „20 Jahre Deutsche Einheit“, bei der er mit einem großen Triptychon vertreten war. Der Traum von einem brennenden Mann war das Schlüsselerlebnis. Bis zu diesem Moment Mitte der 1960er hatte der junge Leipziger in der Tradition der Alten Meister gemalt. Nun musste er eine neue Form suchen. Der brennende Mann, das war er, mit den zwei Polen Anima und Ratio, dem glühenden Bauch und dem kühlen Kopf. „ich und es“ nannte er es fortan.
Die Themen kamen im Traum, wurden ihm geschenkt, wie er es dankbar empfindet. Der brennende Mann, der brennende Kirschbaum, vor allem der Kaspar, sein alter ego, der in seinen wilden Zeiten alle Rollen gespielt hat – auch die des Jesus Christus. Der Kaspar wurde Ebersbachs Schutzschild in der DDR, zu Zeiten, als der Staat ihn kontrollierte, ihm Haft androhte, seine Kunst harsch kritisierte. Der Kaspar konnte sagen, was Eberhard nicht sagen durfte.
Längst hat der Kaspar ausgedient. Ebersbach träumt weniger, fühlt sich „Lethe“ näher, dem mythischen Ort des Vergessens. In seiner Malerei nähert er sich der Kalligrafie, sucht jetzt in der Einfachheit seinen Ursprung, träumt von einer universellen Schrift. Im Film ist zu sehen, wie diese Bilder entstehen. Mit einem langen Stock zeichnet er Linien auf die Leinwand, dann trägt er mit einer Maurerkelle Ölfarbe in dicken Batzen auf: weiß, rot, gelb, blau, grün. Er zieht Schuhe und Strümpfe aus und tritt barfuß ins Bild, das er in tiefer Konzentration tanzend vollendet. Eines dieser Werke mit dem Titel „Haruspex. Töten und Zerlegen eigen Fleisch und Blutes II“ ist in der Dauerausstellung „Diskurse“ der Kunsthalle zu sehen.
„Ateliergespräche mit Hartwig Ebersbach“, LNW Verlag Leipzig, 19,90 Euro, erhältlich auch im Shop der Kunsthalle.