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Bescheidenheit in einer Wüste aus Wasser

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Bescheidenheit in einer Wüste aus Wasser

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    Windstärke 8. Der Autopilot schafft es nicht mehr. Ich habe Wache, also muss ich ans Steuer. Über das Boot schießen brechende Wellen. Sie kommen auf einen zu, türmen sich sieben bis neun Meter auf – jetzt heißt es: Richtig gegensteuern und Nerven behalten. Im Auto würdest du bei solchem Unwetter rechts ranfahren. Geht hier nicht, mitten im Atlantik zwischen den Azoren und Portugal.“

    Wenn Harald Eckstein (55) aus Niederwerrn berichtet, staunt man als „an den Schreibtisch gefesselte Landratte“, wie Ismael aus „Moby Dick“ einmal die zu Hause Gebliebenen spöttisch nannte. Eckstein ist gerade zurück von einem 14-tägigen Segeltörn von den Azoren nach Lissabon. Er hat manches erlebt auf seiner Reise über 800 Seemeilen, was fast 1500 Kilometern entspricht.

    Natürlich gibt es auch „anständige Wellen“, die flach ankommen: „Der Bug geht sanft in die Höhe, hebt sich über den Horizont. Für einen Moment scheint er in der Luft zu stehen, bevor er sich in das anrollende Wellental senkt. Du stehst am Steuer, bist fasziniert von diesem Schauspiel der Natur, bei dem du selber Akteur bist.“

    Ein Skipper, fünf Crewmänner

    Die „Beryll“, eine klassische 14,5-Meter-Segelyacht, sollte im Auftrag des Eigners nach Lissabon überführt werden. Ein Hamburger Team stellte dafür den Skipper Helge und suchte und fand fünf begeisterte Segler als Crew. Dieser Törn kostete 590 Euro, dazu kam eine Umlage für Verpflegung, Diesel, Hafengebühr sowie Kosten für An- und Abreise.

    Eckstein: „Nachtwache. Du bist allein auf Deck. Allein im Dunkel und im fahlen Licht der Sterne. Bei Vollmond kannst du das Spiel der Wellen beobachten. Ungestört. Es gibt nur noch die natürlichen Geräusche des Windes, der Wellen und des arbeitenden Bootes. Diese stille Einsamkeit ist ein unbeschreibliches Gefühl, schafft Raum für Gedanken. Da musst du es schon gut mit dir selbst aushalten können.“

    Die Crew ist bunt gemischt: Vom Universitätsprofessor über den Kfz-Meister bis zum Rentner. Zwei haben mehr Begeisterung als Segelerfahrung mitgebracht. Wurde auch nicht verlangt. Auch die vorgeschriebene Ausrüstung ist nicht immer komplett, muss im Hafen von Horta noch besorgt werden. Doch an Bord wird Helge, der Skipper, schon für Ordnung sorgen.

    Zuerst erklärt er das Boot: Der empfindlichste Teil einer Segelyacht ist die Toilette, genauer die Handpumpe zur Entsorgung. Verstopft sie, muss sie der Skipper reparieren. Laut Helges Anordnung darf deshalb nur das in die Toilette, was vorher durch den Körper gegangen ist. Toilettenpapier hat jeder zu sammeln und über Bord zu werfen. Übrigens – über Bord pinkeln ist nicht nur für die einsame Nachtwache verboten. Kommentar Helge: „Du bewunderst verträumt den Strahl, verlierst das Gleichgewicht und bist schon über Bord.“

    Arbeiten rund um die Uhr

    Auch an andere Gegebenheiten muss man sich erst gewöhnen: Dusche und Toilette haben zusammen einen Quadratmeter Grundfläche, das Wasser ist rationiert. Man arbeitet im Urlaub rund um die Uhr, sitzt mit sechs Männern ununterbrochen in einem Boot, ohne ihnen entkommen zu können. Denn einer ist garantiert dabei, der mit Sonderwünschen und Quengeleien ständig nervt. Wie die Vorliebe des Skippers, all seine Mahlzeiten mit Corned Beef zuzubereiten. Ein Trost, es wird abwechselnd gekocht.

    Eckstein: „Gerade hat ein kleiner Vogel versucht, an Bord zu kommen, ist aber abgetrieben worden. Der arme Kerl – sieht man aber oft auf See: Der Wind treibt sie vom Land ab, sie können sich nicht mehr ausruhen und fressen. Irgendwann fallen sie runter und werden ein Opfer des Meeres.“

    Während die „Beryll“ Horta mit Nordwind verlassen hat, dreht der Wind am vierten Tag immer mehr nach Osten. So ist Lissabon nicht zu erreichen. Die Crew muss kreuzen, einen Umweg fahren. Kurs Madeira wird eingeschlagen, jetzt steht der Ostwind seitlich, das Boot gewinnt wieder Fahrt. Allerdings in die falsche Richtung, deshalb muss dieses Manöver zum richtigen Zeitpunkt korrigiert werden.

    Eckstein: „So vergeht die Zeit. Manchem mag es trist vorkommen, acht Tage lang nur Wasser zu sehen; dazu der Bordalltag aus Schlafen, Kochen, Essen, Wache. Doch es ist auch eine Herausforderung und ein großes Glück: Langsam kommst du zur Ruhe, findest zu dir selbst, besinnst dich auf das Leben. Bescheiden wirst du sowieso – auf ein paar Metern Holz inmitten einer stampfenden Wüste aus Wasser.“

    Land in Sicht. Die Crew ist noch etwa 30 Seemeilen vor der Küste Portugals. Schon werden die Handys hervorgeholt, probiert, ob Empfang ist. Aufräumen, putzen. Komisch: „Da fährt man 800 Seemeilen mit einem Schnitt von fünf Knoten (zehn Kilometer pro Stunde), hat alle Zeit der Welt. Kaum naht die Abreise, wird man hektisch. Wir sind wieder im realen Leben. Zum Glück hat das Skipperteam in Hamburg noch eine Menge anderer Törns in seinem Programm.“

    Zur Person

    Der 1952 in Kitzingen geborene Harald Eckstein lernte schon während seiner Tätigkeit als Bauingenieur den Duft der weiten Welt kennen: Nigeria, Libyen, Hongkong oder China waren seine Auslandsstationen, sein Spezialgebiet Konstruktion und Bau von bis zu 20 Meter tiefen Fundamenten für Wolkenkratzer und Großprojekte. Schlauchbootfahren auf dem Niger weckte Lust auf mehr: Zurück in Deutschland erwarb er als erstes den Bootsführerschein, Voraussetzung für Segeltörns im Mittelmeer und in der Adria. Diesmal war ein Langzeittörn auf dem offenen Meer angesagt, „Blauwasser-Segeln“ – Training für eine Atlantiküberquerung?

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