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Blind vertrauen kann man lernen

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Blind vertrauen kann man lernen

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    Erlebnispädagogik: Blind vertrauen – Natur genießen, das sind Bestandteile der Wochenenden für Geschwister behinderter Menschen.
    Erlebnispädagogik: Blind vertrauen – Natur genießen, das sind Bestandteile der Wochenenden für Geschwister behinderter Menschen. Foto: Foto: Lebenshilfe

    Schweinfurt

    „Ich bin halt damit aufgewachsen, das war normal.“ Als Sebastian L. (17) zur Welt kam, war sein vier Jahre älterer Bruder durch einen tragischen Unfall bereits schwerstbehindert. Christina W. (26) hat zwei jüngere Geschwister, beide sind geistig behindert. Auch sie sagt: „Als Kind hat mich das nicht gestört, ich kannte es ja nicht anders.“

    Sebastian wurde erst mit Schuleintritt bewusst, dass sein Bruder anders war als andere Kinder, „aber er war halt trotzdem mein Bruder“, erinnert er sich. Und als sein Bruder vor vier Jahren starb, war es nicht anders als wäre ein gesunder Bruder gestorben.

    Christina war schon 20 Jahre alt, als sie begann zu begreifen, was es für sie heißen könnte, zwei geistig behinderte jüngere Geschwister zu haben. „Ich habe viel gegrübelt und Angst bekommen: Was ist, wenn meine Eltern einmal weg sind?“ Von klein auf war sie mit dem Gefühl aufgewachsen, sie müsse sich kümmern.

    Schlechtes Gewissen

    Durch Zufall kam Christina in Kontakt mit Ingrid Koch-Stuchels. Die Heilpädagogin leitet ein Projekt der Lebenshilfe, das Geschwister von behinderten oder chronisch kranken Kindern unterstützt und begleitet. Ihre Beratung war für Christina ein Segen: „Ich habe gelernt, dass ich auch Nein sagen darf und mich nicht immer nur kümmern muss.“

    Koch-Stuchels kennt die Problematik. „Die Gegenwart nervt, aber die Zukunft ist für Geschwisterkinder belastend“, weiß sie. Schon kleine Kinder fühlen eine emotionale Verantwortung für ihren Bruder oder die Schwester. Ein Achtjähriger fragte einmal seinen Vater: „Papa, was wird aus meiner Schwester, wenn ihr einmal gestorben seid?“

    Der Schritt in die Beratungsstelle ist aber nicht nur für die Geschwisterkinder heilsam. „Neulich kam eine Mutter zu mir, deren behinderte Tochter mit 18 Jahren in ein Wohnheim umgezogen ist. Die junge Frau fühlt sich dort sehr wohl und die Mutter hat kein schlechtes Gewissen mehr.“

    Das schlechte Gewissen ist der größte Feind beim Zusammenleben mit Menschen mit Behinderung, stellt die Heilpädagogin immer wieder fest. Dieses führe dazu, dass die Behinderten bis ins Erwachsenenalter hinein überbehütet werden. „Eltern leisten jahrzehntelang die tollste Arbeit, und wenn die 20-Jährigen dann in ein Wohnheim ziehen, haben sie ein schlechtes Gewissen.“ Auch Menschen mit Behinderung werden erwachsen und müssen ins Leben entlassen werden, meint Koch-Stuchels.

    Neben ihrer Beratungsarbeit bietet sie auch Freizeitgestaltung für Geschwisterkinder an. Für die Jüngeren hat sie ein Kunstprojekt ins Leben gerufen, die Älteren werden zu Wochenenden eingeladen.

    Der Austausch mit anderen Kindern und Jugendlichen in derselben Situation „ist total entlastend“, findet Sebastian. „Da wird offen geredet und es tut gut, wenn man merkt, dass es anderen genauso geht.“ Sebastian war schon bei neun Wochenenden dabei und hat jedes einzelne genossen. „Das hat mir sehr geholfen, die Leute waren freundlich und richtig gut drauf“, erinnert er sich.

    Geschwister von Menschen mit Behinderung sind in der Regel sehr angepasst, erlebt Koch-Stuchels. Sie genießen es, einmal die ganze Aufmerksamkeit zu bekommen und selbst im Mittelpunkt zu stehen. Sebastian hat an diesen Wochenenden „echte Freude gefunden“. Und was ihn besonders freut, nachdem er inzwischen für diese Wochenenden zu alt geworden ist: „Die Ingrid ruft immer wieder einmal bei mir an und erkundigt sich, wie's geht.“

    Die Wochenenden habe jedes Mal drei feste Bereiche, erklärt Ingrid Koch-Stuchels. Da gibt es einen kreativen Teil, in dem die eigenen Erfahrungen gestaltet werden. Erlebnispädagogik in der Natur ist ein fester Bestandteil, „ein Steckenpferd aller Kinder“, stellt die Projektleiterin fest und glaubt nicht mehr an das Vorurteil, Kinder und Jugendliche würden nur am Computer sitzen. Und dann ist da noch das „Familien zeigen“.

    Mit Bausteinen stellen die Geschwister ihre Familie dar und reden über die Situation zu Hause. „Alles, was hier erzählt wird, bleibt im Raum“, sichert Koch-Stuchels zu und immer wieder wundert sie sich, wie lange und aufmerksam die Kinder und Jugendlichen einander zuhören.

    Das nächste Wochenende für Geschwisterkinder findet vom 28. bis 30 Juni um KJG-Haus in Schonungen statt. Es steht unter dem Thema „Nenn ich dich, so kenn ich dich“.

    Anmelden kann man sich bei Silke Gramann, Tel. (0 91 31) 7 54 61 50, E-Mail: silke.gramann@lebenshilfe-bayern.de. Informationen hat Ingrid Koch-Struchels, Tel. (0 97 21) 20 74 15, E-Mail offene-hilfe@lebenshilfe-schweinfurt.de

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