Carmichael heißt eigentlich Michael Adam. Er ist Tuk-Tuk-Taxifahrer im indischen Madras. Einer unter Tausenden in der Millionenmetropole. Sein Taxi heißt „Ursula Eva“. Das Haus, in dem er lange Jahre lebte, heißt „Ernst Haus“. Das unterscheidet Carmichael von seinen Kollegen. Und es ist Indiz für seinen Bezug nach Deutschland – genauer nach Schweinfurt.
1978 reiste der heimische Künstler Ernst Herleth nach Ceylon – auch aus beruflichem Interesse. Anschließend tourte er noch durch Indien und landete in Madras, wo er D. D. Adam kennenlernte. Der inzwischen verstorbene Vater von Carmichael war auch Taxifahrer. Das Zusammentreffen kurios. Herleth stand am Flughafen vor einer Schlange Taxen. Er wusste, dass Touristen gerne „abgezockt“ werden. Und tatsächlich waren überall die Taxometer defekt. Nur bei einem freundlichen Chaffeur mit Zwirbelbart (Herleth: „Dar Mann sah aus wie Dali.“) ganz hinten in der Reihe funktionierte der Zähler. Dort stieg er ein.
Im Hotel angekommen lautete die Rechnung auf zwölfeinhalb Rupien – etwa 20 Cent. Herleth verdoppelte den Fahrpreis, der Fahrer bedeutete ihm zu warten und eilte davon. Wenig später tauchte er auf mit zwei Orangen in der Hand – kleine Geschenke für seine großzügigen Fahrgäste und der Beginn einer langen Freundschaft. Der Schweinfurter Künstler unterstützte D. D. Adams in den Folgejahren, wo immer er konnte. Als die Kleidersendungen für die Kinder und die Warensendungen für die Familie (D. D. hatte sechs Kinder und bis 2006 stolze 14 Enkel) zunehmend geöffnet und ausgeräumt ankamen, schickten Ernst und Ursula Herleth Geld – kleine Scheine in neutralen Umschlägen. Als auch diese den Transport nicht mehr überstanden, richtete das Schweinfurter Ehepaar in Madras ein Bankkonto für D. D. Adams ein und überwies regelmäßig.
Mit der Familie hielten die Herleths engen Kontakt. „Manchmal waren wir zweimal im Jahr unten“, erinnert sich Ernst. Vor Ort zog er gemeinsam mit D. D. Adams und dessen Sohn Carmichael los, um Steine zu kaufen. Er wollte den Indern den den Traum vom eigenen Haus erfüllen. Und tatsächlich entstand so mit der Zeit ein zweistöckiges Heim mit Dachterrasse für die Adams – das Ernst Haus. Die Geschichte ginge locker durch als Märchen aus Tausendundeiner Nacht – hätte es nicht im vergangenen Jahr einen hässlichen Bruch gegeben.
Denn da starb D. D. Adams. Und Carmichael, der zweitälteste Sohn, musste das gemeinsame Haus verlassen. „Zu dem ältesten Bruder hatte ich nie einen Draht“, sagt Ernst Herleth. Er hat ihm letztlich zwar ein Haus finanziert, doch nach dieser Zäsur galt sein Interesse nur noch Carmichael und dessen kleiner Familie. Allerdings: „Nach und nach wuchs das ganze etwas über meine finanziellen Verhältnisse“, bekennt Herleth. Weshalb er im vergangenen Jahr erstmals Freunde und Bekannte mit ins Boot nahm.
Denn der Taxifahrer Carmichael wohnt jetzt zur Miete. Er träumt aber nach wie vor, seinen beiden Töchtern Jennypria und Lakshmi den Hochschulabschluss zu finanzieren. Noch drei Jahre fehlten diesen damals zum „Master of Business Administration“ (MBA). Und die Privatschule kostet pro Kopf und Jahr 500 Euro. So veranstaltete Ernst Herleth gemeinsam mit dem Freund und Fotografen Johannes Bräutigam inzwischen zwei Benefizabende für „seine Inder“. Vergangenes Wochenende kamen dabei rund 60 Schweinfurter zusammen. Es gab Madrasfleisch und Bier, das Schrannen-Gastronom Werner Gärtner spendiert hatte. Gemälde von Herleth und Fotografien von Bräutigam standen zum Verkauf. Und es gab eine Spendenbox. Am Ende kamen stolze 900 Euro zusammen – ein Jahr Hochschule für die beiden jungen Inderinnen. Jennypria – in deren Ausweis als zweiter Vorname „Ursula“ eingetragen ist als Reminiszenz an die deutsche Gönnerin – und Lakshmi werden ihren Weg gehen. So wie schon ihr Vater Carmichael, auch mit Unterstützung aus Schweinfurt. Ernst Herleth will nicht locker lassen bei seinem ungewöhnlichen Engagement. Und Johannes Bräutigam, in dessen Atelier der Benefizabend stattfand, ist infiziert. Es gebe noch Bilder, teilt er mit, man könne sie besichtigen und kaufen und damit die Adams in Madras unterstützen. Wer sich interessiere, könne telefonisch einen Besichtigungstermin vereinbaren (Tel. 0 97 21 / 18 69 69).