„Niemand braucht heute mehr Schmerzen haben“ - ein gern geglaubter Irrtum. Während akute Schmerzen mit Warn- und Leitfunktion nach einer Diagnose und Therapie wieder abklingen, ist der chronische Schmerz weitaus schwieriger zu behandeln. In Deutschland leiden etwa sechs Millionen Menschen an chronischen Schmerzen, zehn Prozent davon kann man nicht ausreichend mit einer rein medizinischen Therapie helfen.
Ein brennendes Thema, sollte man meinen. Doch zum Vortrag der Leopoldina-Tagesklinik für Schmerztherapie waren nur zwei Dutzend Zuhörer gekommen. Die Diplom-Psychologinnen Helga Zier und Birgit Ort sprachen über „Bedeutung von Achtsamkeit in der Therapie chronischer Schmerzen“. Das Achtsamkeits-Training ist ein Baustein der so genannten Multimodalen Schmerztherapie, die in der Klinik für Schmerztherapie im Leopoldina praktiziert wird.
Helga Zier stellt die Hauptmerkmale akuter und chronischer Schmerzen gegenüber: Akute Schmerzen sind kurz, die Ursache ist bekannt, die akute Behandlung bringt eine schnelle Linderung der Schmerzen. Bei lang anhaltenden chronischen Schmerzen sind die Ursachen oft unbekannt oder vielschichtig, die langfristige Behandlung zielt auf eine Verringerung der schmerzfördernden Bedingungen, das Ziel ist der bessere Umgang mit den Schmerzen.
Der Schmerz geht auf die Psyche
Menschen mit chronischen Schmerzen sind oft depressiv, leiden unter einem Gefühl der Hilflosigkeit, sie entwickeln passive, schonende Bewältigungsstrategien und ein soziales und körperliches Rückzugsverhalten. „Sie ziehen sich aus ihrem Verein zurück, wollen niemandem zur Last fallen“, erläutert Helga Zier. Aus der ursprünglichen Schmerzursache entwickeln sich durch die Chronifizierung neben den körperlichen auch psychische und soziale Veränderungen.
Und diese seelischen Veränderungen sind mannigfaltig: Man erlebt weniger positive Energie, dafür Ärger, Wut, Zukunfts- und Existenzangst, Funktionsverluste, Inaktivität, negative Gedanken. Hier setzt die Schmerztherapie an mit den Zielen: Erhöhung der Lebensqualität, ein verbesserter Umgang mit chronischen Schmerzen und eine Verringerung der Beeinträchtigung durch sie. Letztlich: Statt Schmerzfreiheit Schmerzlinderung, statt Kampf gegen die Schmerzen deren Akzeptanz.
Die Haltung der Achtsamkeit ist eigentlich eine wesentliche Richtung buddhistischer Meditationspraxis, die der amerikanische Arzt Dr. John Kabat-Zinn unter dem Namen MBSR (Mindfullness-Based Stress Reduction) als Achtsamkeitstraining zuerst für chronische Schmerzpatienten weiterentwickelte. Nach Kabat-Zinn ist die Achtsamkeit eine nicht-wertende und annehmende Haltung gegenüber Empfindungen und Gefühlen angenehmer, unangenehmer oder schmerzhafter Art, die sich auf den augenblicklichen Moment bezieht.
Es geht darum, zu lernen, den für unser tägliches Leben benötigten „Autopiloten“ auch mal abzustellen: Ständig planen, erinnern, denken, grübeln, sorgen, mit Gedanken woanders sein, bewerten, etwas ändern wollen, vor lauter Hektik getrieben und „außer sich“ sein – Stopp!
Die Achtsamkeit dagegen ermuntert und verhilft dazu, bei sich zu sein, in sich zu ruhen, im jetzigen Moment zu sein, zum Innehalten, zum Annehmen wie es ist, zum absichtslosen Betrachten.
„Diese Unterbrechung eingeschliffener Verhaltensmuster nutzen wir auch für unsere Therapie“, betont Birgit Ort. Ziel der Achtsamkeit bei chronischen Schmerzen sei letztlich, den Schmerz anzunehmen, ohne ihn zu bewerten, ihn aufmerksam zu beobachten, ohne gegen ihn anzukämpfen. Sich frei zu machen von schmerzverstärkenden Gedanken und Gefühlen. Dies sei ein längerer Weg, der vom Patienten Eigeninitiative und Disziplin verlange, doch er verspreche auch langfristige Erfolge.
Tagesklinik für Schmerzpatienten
An der anschließenden Diskussion mit den Zuhörern beteiligt sich auch Chefärztin Dr. Jutta Albrecht. Sie erläutert das Konzept der Schmerztagesklinik, in der chronisch Schmerzkranke in Gruppen bis maximal acht Patienten teilstationär behandelt werden. Angeboten werden Hauptgruppen (vier Wochen a fünf Tage), Seniorengruppen (zehn Wochen a zwei Tage) und Basisgruppen als Schnupperkurs. Am Anfang einer solchen Therapie steht immer ein Vorgespräch in der Ambulanz der Schmerzklinik, notwendig ist eine stationäre Einweisung. Im Moment beträgt die Wartezeit sechs Monate.
Klinik für Schmerztherapie, Chefärztin Dr. med. Jutta Albrecht, Leopoldina-Krankenhaus Tel. (0 97 21) 7 20 64 05, schmerztagesklinik@leopoldina.de