Es bleibt schwierig mit Rückert. „Wer viel schreibt, muss offenbar damit rechnen, dass er etwas früher als andere wenigstens ausschnittweise vergessen wird“, schreibt Dietrich Fischer-Dieskau in Band 19 der „Rückert-Studien“, dem Jahrbuch der Rückert-Gesellschaft, das am Montag vorgestellt wurde. „Des Dichters phänomenale Erfindungsmacht erschwert es, sich ein vollkommenes Panorama seiner vielseitigen schriftstellerischen Beschäftigungen zu entwerfen.“ Vielleicht deshalb, so vermutet Fischer-Dieskau, sei Rückerts Name aus vielen Lexika unserer Zeit verschwunden.
Der neue Band ist Rückert und der Musik gewidmet. Ralf Georg Czapla, geschäftsführender Herausgeber und Vorsitzender der Rückert-Gesellschaft, hat das Thema in der Annahme gewählt, dass sich das Werk Rückerts „vielleicht über die Musik am besten vermitteln lässt“. Jedenfalls hat er selbst so den Zugang gefunden: Seine Frau schenkte ihm einst eine CD mit Schubert-Liedern. Besonders „Du bist die Ruh'“ beeindruckte Czapla, und er fragte sich: „Wer ist der Dichter?“
Ralf Georg Czapla ist heute Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur an der Uni Freiburg, beim Germanistikstudium in Frankfurt waren Goethe und Lessing die Hausgötter. Rückert spielte keine Rolle. Über Schubert und später Arno Schmidt entdeckte er den Dichter. 1998 wurde er Mitglied: „Ich hatte erfahren, dass es so etwas wie eine Rückert-Gesellschaft gibt.“ 2006 wurde er ins Herausgeber-Gremium der Rückert-Studien berufen, seit 2009 ist er Vorsitzender der Gesellschaft.
Rückert gehört zu den meistvertonten Dichtern deutscher Sprache. Doch so naheliegend das Thema Rückert und die Musik ist, so schwierig war es, geeignete Autoren zu finden: Literaturwissenschaftler, die sich für Musik interessieren, und Musikwissenschaftler, die sich für Literatur interessieren. „So viele Wissenschaftler mit so breitem Profil gibt es nicht mehr.“ Mit Fischer-Dieskau und dem prominenten Bariton Christian Gerhaher kommen zwei Praktiker zu Wort, die sich intensiv mit Rückert auseinandergesetzt haben und äußerst kundig Auskunft geben können – Gerhaher übrigens in einem spannend zu lesenden Interview.
Weitere Beiträge befassen sich mit den Vertonungen von Schubert, Schumann, Reinecke, Mahler oder Strauss und Aspekten wie „Rückert und das Volkslied“ oder „Rückert und das Musiktheater“. Etwas verwirrend das Verzeichnis der Rückert-Vertonungen, das ein Nachtrag von 2009 zum Gesamtverzeichnis von 1988 ist, das die Rückert-Gesellschaft verwaltet. Immerhin tauchen darin neben den bekannten Lied-Komponisten und einer Reihe kleinerer Meister auch Namen wie Tschaikowsky, Smetana oder Alban Berg auf, die man nicht unbedingt im ersten Moment mit Rückert verbindet. Ein besondere Tragik für den Rückert-Freund wird aber immer darin liegen, dass Schubert seine großen Zyklen zu Gedichten von Wilhelm Müller geschrieben hat, von denen keines mit den besten Rückert-Gesängen Schritt halten kann, so Fischer-Dieskau.
Friedrich Rückert die Musik: Band XIX der Rückert-Studien der Rückert-Gesellschaft, herausgegeben von Hartmut Bobzin, Ralf Georg Czapla, York-Gothart Mix und Thomas Pittrof, Ergon-Verlag, 290 Seiten, 28 Euro.